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Buchmesse will nicht länger öffnen

Jürgen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse, schließt ungeachtet des Besucheransturms längere Öffnungszeiten für die nahe Zukunft aus. Die Veranstalter trügen den Interessen der Fachbesucher sowie des breiten Publikums Rechnung, sagte er. Mit drei Fachbesucher-Tagen sowie zwei Tagen für die Leser sei im Moment ein relativ guter Weg gefunden.

Moderation: Klaus Remme | 04.10.2006
    Klaus Remme: Vor der Sendung habe ich mit dem Direktor der Frankfurter Buchmesse, Jürgen Boos, gesprochen. Meine erste Frage war: Was verpasst in seinen Augen derjenige, der es in diesem Jahr nicht zur Buchmesse schafft?

    Jürgen Boos: Das hängt ganz davon ab, was er erwartet, weil ich glaube, das Angebot, das wir auf der Buchmesse haben, deckt so ziemlich sämtliche Wünsche ab, die man sich vorstellen kann; ob ich einen berühmten Autoren sehen will, ob ich Bildbände sehen will, ob ich das Gastland Indien kennen lernen will. Also wir bieten sehr, sehr viel.

    Remme: Was würden Sie denn besonders bedauern, wenn er es verpasst?

    Boos: Ich denke insbesondere Indien. Das ist eine einmalige Chance, das Land Indien kennen zu lernen, wie man es eigentlich sonst nicht kennen lernt.

    Remme: Indien ist als erstes Land bereits zum zweiten Mal Themenschwerpunkt. Warum dieser Akzent in diesem Jahr?

    Boos: Indien war 1986 zum ersten Mal Schwerpunkt. 2006 haben wir nun die ganz besondere Situation, dass in den letzten zwei, drei Jahren Indien zu einer ökonomischen Wirtschaftsmacht geworden ist, gleichzeitig aber die Kultur zu kurz kam. Und wir hatten uns vorgenommen, eben die unbekannte Kultur Indiens bekannt zu machen. Und in den letzten 20 Jahren hat sich da so extrem viel getan, dass wir eigentlich sehr froh waren, dass wir die Chance hatten, das jetzt in Angriff zu nehmen.

    Remme: Wie entsteht denn eigentlich die Entscheidung für ein Gastland, Herr Boos?

    Boos: Wir setzen uns in der Regel hier in der Frankfurter Buchmesse zusammen, drei Jahre bevor wir ein neues Gastland planen, und diskutieren inwieweit die Literatur eines Landes interessant sein könnte, wie weit es interessant sein könnte für Übersetzungen - immer ein Übersetzungsprogramm ist Bestandteil des Gastlandprogrammes. Was für politische Dimensionen spielen mit? Wir haben uns jetzt dafür entschieden, die Türkei nach Frankfurt zu holen in 2008 in Hinsicht auch auf die EU-Diskussion. Also wir möchten, dass das Gastland möglichst viel Interessantes mitbringt.

    Remme: Also die Türkei 2008, das ist ja, wenn ich es richtig sehe, eine Entscheidung, die Sie getroffen haben. Während Indien und das nächste Jahr, die katalanische Kultur noch Entscheidungen Ihres Vorgängers waren. Stimmt das so?

    Boos: Die Entscheidungen meines Vorgängers waren, die ich aber absolut mitgetragen habe, weil wir das natürlich auch noch diskutiert hatten. Ich bin ja inzwischen auch schon fast zwei Jahre hier.

    Remme: Die Absetzung von "Idomeneo" in Berlin war ein Aufreger der vergangenen Woche. Müssen wir ähnliche - und viele würden sagen, übertriebene - Rücksichten auf den Islam durch die Buchmesse befürchten?

    Boos: Nein, ganz bestimmt nicht. Ich meine, unser großes Thema ist Meinungsfreiheit. Wir stehen absolut gegen jede Form von Zensur. Und diese Schutzhaft der Kunst, das würde genau dem widersprechen, was wir hier vorhaben.

    Remme: Das ganze nennt sich Buchmesse, Herr Boos. Die Zahl der digitalen Medien steigt rasch. Und jetzt gibt es zum ersten mal einen Nonbook-Bereich. Wird diese Messe langsam zur Mogelpackung?

    Boos: Nein, ganz sicher nicht zur Mogelpackung. Also das Elektronische ist schon viele Jahre da. Wir hatten vor einigen Jahren sogar eine eigene Halle "Elektronische Medien", die inzwischen so zur Selbstverständlichkeit geworden ist, dass jetzt die Verlage es wieder in ihr normales Programm integriert haben. Insofern, nein ganz bestimmt nicht. Unser Thema ist Inhalt. Ob der jetzt elektronisch dargeboten wird oder auf Papier, das ist dann erst sekundär.

    Remme: Wenn die Massen am Wochenende auf die Messe strömen, dann hat man fast den Eindruck, das Land feiert sich hier als Kulturnation. Und gleichzeitig reden wir wie jetzt rund um den 3. Oktober von ganzen Schichten, vor allem im Osten, die sich verabschieden vom politischen Diskurs. Beschäftigt Sie diese Kluft im eigenen Land?

    Boos: Das beschäftigt uns sehr stark. Ich denke, gerade vor dem Hintergrund, dass wir jetzt auch einen neuen Schwerpunkt auf der Buchmesse haben, nämlich den Schwerpunkt Bildung, "Zukunft Bildung", und das unter dem Begriff in erster Linie als auch Literacy, Lesefähigkeit interpretieren. Ich denke, gerade wenn man sich mit Büchern beschäftigt, wenn man die Möglichkeit hat, sich mehrere Stunden zu konzentrieren auf ein Buch, das allein schon die Voraussetzung, um überhaupt politisch zu denken.

    Remme: Diese Bildung, die Sie gerade ansprachen, der thematische Schwerpunkt, Stichworte sind da ja neben dieser Alphabetisierungskampagne der Lehrerkongress. Ist das ein einmaliger Schwerpunkt, oder wird er jetzt zur ständigen Einrichtung?

    Boos: Wir wollen das fortsetzen. Deswegen haben wir den Begriff "Zukunft Bildung" absichtlich sehr offen gewählt, um jedes Jahr einen bestimmen Fokuspunkt aufzugreifen. Das Thema Lesefähigkeit werden wir auf jeden Fall fortsetzen unter diesem Überbegriff genauso wie natürlich den Lehrerkongress.

    Remme: Was muss man sich denn unter so einer Alphabetisierungskampagne konkret vorstellen?

    Boos: Die Aufgabe der Frankfurter Buchmesse ist es ja immer wieder Plattform zu sein. In diesem Fall bringen wir internationale Organisationen an einen Tisch, die sich mit dem Thema Lesefähigkeit beschäftigen, sich austauschen. Wir haben jetzt ein Programm von Frau Schavan aufgesetzt, das ungefähr 30 Millionen Euro für die nächsten fünf Jahre plant. Wir wissen, dass zum Beispiel in England ein Betrag von ungefähr irgendwo zwischen 500 und 700 Millionen Pfund unterwegs sind für den selben Zeitraum. Das ist ganz spannend dann, diese beiden Parteien zum Beispiel an einen Tisch zu bringen.

    Remme: Von heute bis Freitag ist die Messe den Fachbesuchern vorbehalten. Am Wochenende kommen dann die Massen. Wenn diese Messe mehr und mehr Eventcharakter bekommt, kann das breite Publikum dann in Zukunft auf längere Öffnungszeiten hoffen?

    Boos: Wir sind etwas limitiert mit den Öffnungszeiten, einfach was das Messegelände betrifft. Und wir sind immer gezwungen, den Spagat zu machen zwischen den Interessen der Fachbesucher und dem Interesse des Publikums. Ich finde, wir haben einen relativ guten Weg im Moment gefunden mit drei Tagen zu zwei Tagen. Ich glaube, dass wir den nicht verlassen können in der nahen Zukunft.

    Remme: Es war schon schwierig einen Aufzeichnungstermin für dieses Gespräch zu finden, Herr Boos. Kommen Sie zur Zeit zum Lesen?

    Boos: Ja sicher, ich brauche den Moment auch immer noch mal vor dem Einschlafen eine halbe Stunde oder ein bisschen länger sogar zu lesen. Und im Moment natürlich hier auf der Messe werde ich mit so vielen Geschichten über Bücher konfrontiert, dass so viele neue Sachen da sind, die mich einfach interessieren und dass es gar nicht geht ohne Lesen.

    Remme: Und was liegt auf dem Nachttisch?

    Boos: Im Moment natürlich Ilja Trojanow immer noch. Ich denke, die Shortlist des Deutschen Buchpreises, da gibt es noch einiges zu entdecken.

    Remme: Jürgen Boos war das, Direktor der Frankfurter Buchmesse.