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Bücher und Begegnungen in Berlin

Die Suhrkamp-Mitarbeiter sind in der Hauptstadt angekommen. Der Umzug von Frankfurt am Main nach Berlin hatte für reichlich Schlagzeilen gesorgt. Nun hat der Verlag seine Arbeit im neuen Domizil im Prenzlauer Berg aufgenommen.

Von Claudia van Laak | 08.01.2010
    Das Kissen fehlt. Das abgewetzte Kissen, das zu dem Sessel gehört, auf dem Peter Suhrkamp saß, nachdem er 1945 in Berlin als erster Deutscher eine Verlagslizenz erhielt. Das Kissen ist verloren gegangen auf dem Weg von Frankfurt nach Berlin - und mit ihm eine ganze Reihe anderer Dinge und Personen. Die Hälfte des Suhrkamp-Personals zum Beispiel - und damit viel Erfahrung und intellektuelles Potenzial. Die Vergangenheit des Verlags ist verloren gegangen - verkauft an das Marbacher Literatur-Archiv. Und die Suhrkamp-Kultur, so prophezeien es einige.

    "Das wollen wir mal sehen. Die wird es natürlich in Berlin geben, so wie es sie immer in Berlin gegeben hat, genauso wie in Frankfurt, in Hamburg und in München. Das ist ja nicht etwas Ortsspezifisches, das ist der Anspruch eines Bücherprogramms."

    Der Anspruch eines Bücherprogramms: kritische Fragen stellen und die Verhältnisse nicht als gegeben annehmen. Das macht für Thomas Sparr, den Vertreter der Verlegerin Ulla Berkéwicz, die Suhrkamp-Kultur aus.

    "Die Produktionsstätte, da wo das entsteht, da sollte man drauf achten, dass man Kommunikationsströme hat, dass man einen Resonanzraum hat. Da haben wir uns für Berlin entschieden, weil das ein Ort der Zukunft ist, aber auch ein Ort der sehr lebendigen Gegenwart, die wir hier haben."

    Diese Gegenwart dürfte für so manch gesetzten Frankfurter bereits zu lebendig sein. Übergangsweise ist der Suhrkamp-Verlag in einem ehemaligen Finanzamt im Stadtteil Prenzlauer Berg untergekommen. Nebenan die Thai-Massage: "zertifiziert und seriös". An der U-Bahn vietnamesische Zigarettenhändler. Gegenüber des Verlagsgebäudes fordert ein Plakat: "Destroy your career", die Fensterscheibe daneben eingeschlagen. Wenn die Suhrkamp-Leute zur Arbeit gehen, verlassen Berlins Partygänger die Clubs.

    "Frankfurt hat ein, wie ich finde, beeindruckendes, für die Größe der Stadt ganz einzigartiges geistiges Klima der Sammlung und Konzentration, aber auch der Tradition. Während sich in Berlin die Dinge neu finden, Ost und West zusammenwächst, aber auch die verschiedenen Kulturen zusammenprallen."

    "Natürlich ist das in Berlin hier ein bisschen aufgeregter, schneller; aber auch anregender, muss ich sagen. Man kriegt einfach mehr Impulse, es ist lebendiger","

    … fasst Winfried Hörning, Leiter der Suhrkamp-Taschenbuchabteilung, seine ersten Arbeitstage in der Hauptstadt zusammen. Durs Grünbein und Christoph Hein sind schon über die noch unausgepackten Umzugskisten gestiegen. Volker Braun, Christa Wolff, Ralf Rothmann, Sybille Lewitscharoff und viele andere werden folgen. Das ehemalige Finanzamt: ein Treffpunkt der Berliner Literaten. Vielleicht ist das die neue Suhrkamp-Kultur im Jahr 2010, in dem der Verlag seinen 60. Geburtstag feiert.

    "Für mich ist ein eklatanter Unterschied, dass ich jetzt näher an den Autoren bin, aber auch an den Agenturen, das ist ein extrem wichtiger Unterschied."

    "Es ist für einen Verlag schon ein Vorteil, wenn man am Ort ist, wo die meisten Autoren sind. Also die Suhrkamp-Autoren lieben Berlin so, dass sie zum Großteil hier wohnen. Aber wir haben hier auch eine äußerst neugierige Presse und wir haben Personal, das wir so an anderen Orten nicht finden."

    Berlin als Zukunftsort. Lebendig, anregend, modern, international. Vor allen Dingen jung. Eine Verjüngungskur kann dem Suhrkamp-Verlag nicht schaden - über den steinzeitlichen Internetauftritt des Verlags lacht die digitale Boheme der Hauptstadt.