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Bücher und Bits gegen Berlusconi

In Italien ist die allzu innige Beziehung zwischen dem Ministerpräsidenten Silivio Berlusconi und den italienischen Zeitungen, Fernseh- und Radiosendern ein bekanntes Problem - aber jetzt regt sich journalistischer Widerstand und das nicht nur im Internet.

Von Korbinian Frenzel | 06.11.2010
    Bücher waren schon immer Lorenzo Fazios Sache. Seine Leidenschaft, sein Beruf. 2007 hat er gemeinsam mit anderen einen eigenen Verlag gegründet. Der Name: Chiarelettere – das heißt so viel wie "Klartext" – und den wollten Fazio und seine Mitstreiter endlich sprechen, Klartext über die Zustände im eigenen Lande:

    "Was den Zugang zu Informationen und auch die Qualität von Informationen angeht, muss man eine unglaubliche Anomalie in Italien konstatieren. Deswegen haben wir dieses Verlagsprojekt gestartet, das es Autoren ermöglicht, frei und unabhängig über aktuelle gesellschaftliche und politische Themen zu veröffentlichen."

    Das Fernsehen, weichgespült und kontrolliert vom mächtigsten Mann des Landes, Premierminister Silvio Berlusconi, die Zeitungen im Besitz einiger weniger Bauunternehmer und Magnaten anderer Sorte. Chiarelettere setzt die spitze Feder regierungs- und gesellschaftskritischer Autoren dagegen. Die, die in den klassischen Medien keinen Platz mehr finden. Und die von den Lesern in Italien offenbar schmerzlich vermisst werden. Denn der Verlag aus Mailand produziert einen Bestseller nach dem anderen mit seinen aktuell zusammengestellten Dossiers. Etwa über den Vatikan, die Zustände bei der italienischen Staatsbahn oder – natürlich - über Berlusconi und seine ökonomischen Verstrickungen. Letzteres verkaufte sich über 200.000-mal.

    Es ist ein altes Medium, mit dem Chiarelettere den Mann herausfordert, der über das neue Medium Fernsehen reich geworden ist. Doch die Arbeit der kritischen Verleger findet auch im neuesten Medium statt, im Internet. Etwa durch tagesaktuelle Blogs bekannter Journalisten. Das Netz, ein Raum, der in Italien eine ganz besondere Rolle spielt. Das haben die Untersuchungen von Professor Luigi Ceccarini von der Universität Urbino ergeben, die er Anfang dieser Woche bei einer deutsch-italienischen Journalistenkonferenz in Rom präsentierte:

    "Unsere Untersuchungen zeigen uns, dass das Internet für die Italiener das freieste und unabhängigste Medium ist, also weniger beeinflusst von der Politik. Das gilt gerade im Vergleich zum Fernsehen und zu bestimmten Zeitungen. Und insbesondere für junge Leute gilt, dass sie das Netz als natürlichen freien Raum ansehen, aber eben zunehmend auch für ältere."

    Va bene? Wie es den Medien wohl gehe, das wollten Goethe-Institut, Adenauer-Stiftung und Bundeszentrale für politische Bildung bei der Tagung ergründen. Und siehe da, der italienische Journalismus, das europäische Sorgenkind, beginnt sich langsam zu emanzipieren von seinen verkrusteten Medienstrukturen. Dafür spricht auch das, was Marco Travaglio, einem der bekanntesten Schreiber des Landes, und seinem Redaktionsteam vor einem Jahr gelungen ist: die Gründung einer neuen Tageszeitung – Il Fatto Quotidiano. Die Anschubfinanzierung kam durch das blinde Vorabvertrauen von 30.000 Abonnenten, heute zählt das unabhängige Blatt über 120.000 Leser. Menschen, die vorher schlicht und einfach überhaupt keine Zeitung mehr gelesen hätten, erläutert Travaglio.

    Für den Vorsitzenden der italienischen Journalistenvereinigung, Roberto Natale, sind das kleine Signale der Hoffnung gegenüber einer Politik der Untätigkeit:

    "Es war ein großer Fehler der Linken, dass sie es in sieben Jahren an der Regierung nicht geschafft hat, den Interessenkonflikt von Berlusconi und anderen aufzulösen. Aber ich glaube, dass sich jetzt etwas bewegt, auch in der Rechten. Viele Italiener schätzen unabhängige Informationen, und das ist eine Ressource, auf die wir bauen können, bei einer Serie von Gesetzen, die die journalistische Unabhängigkeit und das Ausschließen von Interessenkonflikten politisch in Angriff nehmen."

    Eine Hoffnung, die zumindest heute noch auf wackeligen Füßen steht. Premier Silvio Berlusconi zeige gerade par excellence, wie er seine Medienmacht nutze, um seinen politischen Hauptkontrahenten im eigenen Lager, Parlamentspräsident Fini, öffentlich zu demontieren, so beschreibt es Natale. Weil Fini es gewagt hatte, das System Berlusconi infrage zu stellen. Ein System, das sich seit dem ersten Wahlsieg des Medienunternehmers fest etabliert hat. 1994 war das. Bei Chiarelettere ist gerade ein Buch erschienen, das die Jahreszahl im Titel trägt. "1994: Das Jahr, das Italien veränderte."