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Bülent Ucar: Auch kontroverse Themen wie die Scharia müssen disktutiert werden

Dass in Niedersachsen bis 2013 flächendeckend islamischer Religionsunterricht eingeführt werden kann, glaubt Bülent Ucar, Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Osnabrück nicht. Es fehle an ausgebildetem Personal. Den islamischen Religionsunterricht betrachtet er als Ergänzung zu dem, "was in den Moscheen angeboten wird".

Bülent Ucar im Gespräch mit Manfred Götzke | 15.02.2012
    Manfred Götzke: Religionsunterricht für Muslime, den gibt es schon seit vielen Jahren in Deutschland, allerdings nur in den zum Teil auch fundamentalistischen Koranschulen. Seit Jahren will die Politik das ändern und den Religionsunterricht in die Schulen, in die Regelschulen holen. Da wird schon viel experimentiert mit Quereinsteigern aus der Islamwissenschaft, mit Schulversuchen – in Niedersachsen ist ab 2013 aber Schluss mit Experimenten, dann soll islamischer Religionsunterricht die Regel sein, so will es das Schulgesetz. Nur wer soll unterrichten' Bisher gibt es nur drei Unis, an denen islamischer Religionsunterricht, Religionspädagogen ausgebildet werden: Tübingen, Münster und Osnabrück – und an letzterer lehrt Professor Bülent Ucar. Er ist heute auch bei mir und auch auf der Didacta und hat erläutert, wie das funktioniert. Herr Ucar, Niedersachsen will ab 2013 islamischen Religionsunterricht als neues Lehrfach flächendeckend einführen. Die Frage ist: mit wem?

    Bülent Ucar: Ich glaube nicht, dass man einen flächendeckenden islamischen Religionsunterricht bereits 2013 einführen kann. Es wird einfach nicht umsetzbar sein, weil wir nicht genügend ausgebildete Religionslehrerinnen und Religionslehrer in diesem Bereich haben. Aber Niedersachsen ist Vorreiter in einem Bereich, und zwar darin, dass es als Erstes Bundesland islamischen Religionsunterricht nach den Vorgaben des Grundgesetzes, Artikel sieben, Absatz drei, auf Augenhöhe mit der katholischen, evangelischen Kirche, auf Augenhöhe mit der jüdischen Religionsgemeinschaft in Deutschland einführt. Das ist bislang einmalig, und ich glaube, wenn man zunächst einmal diesen Rechtsanspruch hat, dann kann man peu à peu schrittweise dies entsprechend ausbauen.

    Götzke: Ein Ziel der Bemühungen ist ja auch, islamischen Religionsunterricht aus den zum Teil sehr konservativen Koranschulen an die Regelschulen zu holen. Wie kann das gelingen?

    Ucar: Wir sehen den islamischen Religionsunterricht nicht als einen Unterricht an, der sozusagen gegen die Moscheen gerichtet ist, sondern vielmehr als einen Unterricht, der das, was in den Moscheen angeboten wird, komplementär ergänzt. Sehen Sie, jede religiöse Bildung und Erziehung fängt in aller Regel in den Familien an, wird in den Gemeinden vertieft und in den Schulen entsprechend reflektiert. Vielleicht könnte man in aller Kürze diese Trias darstellen, aber natürlich gibt es auch Moscheegemeinden, deren religiöse Bildung, deren Erziehungsvorstellungen hochproblematisch sind und auch nicht grundgesetzkonform sind. Und an der Stelle erhoffen wir uns natürlich auch über den staatlich begleiteten, staatlich eingeführten islamischen Religionsunterricht, dass auch letztlich so etwas wie in der Tat Aufklärung bewirkt wird.

    Götzke: Aber wie wollen Sie die konservativen Eltern erreichen? Sagen die nicht eher, gut, ich schicke mein Kind lieber in das Original, in die Koranschule, als in den schulischen Religionsunterricht?

    Ucar: Auch an dieser Stelle muss man unterscheiden: Konservativ zu sein bedeutet nicht, extremistisch zu sein, das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Die konservativen Eltern wollen wir erreichen, die wollen wir einbinden, wir wollen auch die Kinder der sogenannten religiösen Extremisten erreichen, weil wir der festen Überzeugung sind, dass man über Argumente Kinder, Jugendliche – auch sogar erwachsene Menschen – erreichen kann. Das natürlich der eine oder andere, der religiös ganz klar in eine bestimmte Richtung hin orientiert ist, sein Kind nicht zu diesem Religionsunterricht schicken wird oder bestimmte Jugendliche aus ideologischen Gründen oder auch aus Trotzreaktionen heraus sagen werden, wir werden an diesem Unterricht nicht teilnehmen, davon muss man ausgehen. Aber ich glaube, dass dieser Anteil prozentual sehr überschaubar ist.

    Götzke: Wie wollen sie denn dann mit heiklen Punkten umgehen? Ich sage mal, Scharia, Rolle der Frau im Islam, wie soll das im Unterricht umgesetzt werden?

    Ucar: Na ja, eines ist klar, die Vorgaben des Grundgesetzes sind für uns genau so bindend wie auch eben halt für den katholischen oder evangelischen Religionsunterricht. Wir sind genau so abgedeckt über den allgemeinen Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule, wie es auch alle anderen Fächer sind. Und daher ist natürlich völlig selbstverständlich: Der Rahmen des Grundgesetzes gilt auch für den islamischen Religionsunterricht.

    Götzke: Aber soll das denn thematisiert werden, die Scharia zum Beispiel?

    Ucar: Ich meine ja, wir dürfen das Thema nicht ausklammern, denn in dem Moment, wo wir dieses Thema ausklammern, bieten wir in der Tat, wenn Sie so wollen, diesen religiösen Extremisten das Podium, diese Themen aufzugreifen und entsprechend in eine bestimmte Richtung hin zu lenken. Und daher bin ich der festen Überzeugung, dass man auch solch kontroverse Themen debattieren muss, diskutieren muss, kontrovers darstellen muss. Allerdings kann man sich die Frage stellen, ob es Sinn macht, dass man diese Themen gleich in der Grundschule thematisiert. Da würde ich eher dafür plädieren, dass man diese Themen relativ nach hinten, also eher in die Sekundarstufe eins verlagert.

    Götzke: 2013 will Niedersachsen islamischen Religionsunterricht regulär als Schulfach einführen. Der Islamwissenschaftler Bülent Ucar hat uns erklärt, wie das funktionieren soll. Vielen Dank!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.