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Bündnis gegen die Faschisten

Der Vormarsch faschistischer Bewegungen in Italien und Deutschland hatte zu Beginn der 1930er Jahre auch Frankreich aufgewühlt. Als Reaktion auf die Bedrohung von rechts schlossen sich zehn Parteien der Linken von den Liberalen über die Sozialisten bis zu den Kommunisten in einem Volksfront-Bündnis zusammen. 1936 gewannen sie die Wahlen. Am 4. Juni erhielt der Sozialist Léon Blum den Auftrag zur Kabinettsbildung.

Von Jochen Stöckmann | 04.06.2006
    "Die Regierung der Volksfront hat sich konstituiert. Um zum Erfolg zu führen, bedürfen ihre Maßnahmen der inneren Sicherheit: Die Regierung ermahnt daher die Arbeiter, sich dem Gesetz zu unterwerfen - dann werden ihre Forderungen gemäß den Gesetzen erfüllt werden. Alles andere wird sich finden, mit Gelassenheit, Würde und Disziplin."

    Als Léon Blum, der sozialistische Führer einer linken Volksfront, seine Rundfunkansprache hielt, war er eigentlich noch gar nicht im Amt. Zwar hatte der französische Präsident Albert Lébrun den Vorsitzenden der stärksten Partei am 4. Juni 1936 mit der Regierungsbildung beauftragt, aber es gab weder eine Urkunde noch die Bestätigung des Parlaments. Und auf penible Einhaltung dieser Regeln hatte der Sozialist Léon Blum stets gepocht, wenn es darum ging, antiparlamentarischen Demagogen in den eigenen Reihen und auf Seiten der Bündnispartner, den als "Radikalsozialisten" firmierenden Liberalen oder insbesondere unter den Kommunisten Einhalt zu gebieten.

    Im heißen Sommer 1936 jedoch blieb für staatsmännische Erwägungen keine Zeit: Frankreich erlebte den Höhepunkt einer Streikwelle, ganz Paris glich einem roten Fahnenmeer. Es gab Sitzstreiks und Fabrikbesetzungen, doch keine Verwüstungen oder Plünderungen. Eben diese Ruhe aber machte Unternehmer und Geschäftsleute nervös. Sie fragten sich, ob Fließbänder und Materiallager vielleicht deshalb intakt blieben, weil nach dem Wahlsieg des linken Volksfront-Bündnisses eine siegestrunkene Arbeiterklasse angetreten war, nun gleich auch die Produktionsmittel in ihrer Gesamtheit zu übernehmen?

    Aber davon konnte bei Léon Blum keine Rede sein. Der Schriftsteller und Berufspolitiker hatte 1905 die zerstrittenen Sozialisten in der SFIO vereinigt, er war stets - ohne seine Ziele aus dem Auge zu verlieren - auf Ausgleich und Kompromiss bedacht. Daher auch seine Bereitschaft, noch vor dem offiziellen Amtsantritt sofort vor die Rundfunkmikrofone zu treten - und auch der Gegenseite, dem Unternehmerlager, ins Gewissen zu reden:

    "Ich bitte die Unternehmer, jede Forderung im Geiste der Gerechtigkeit zu prüfen. Ich würde es bedauern, wenn eine Unternehmenspolitik der Unversöhnlichkeit mit meinem Amtsantritt einherginge."

    Ein gemeinsames Wahlprogramm, auf das sich insgesamt zehn Linksparteien im Januar 1936 geeinigt hatten, sah neben der Verteidigung der Demokratie gegen den Faschismus vor allem Lohnerhöhungen, die Senkung der wöchentlichen Arbeitszeit und tariflich abgesicherten Urlaub vor. Mit der Stärkung der Kaufkraft wollten die Sozialisten den Folgen der schweren Wirtschaftskrise begegnen, die Frankreich zu Beginn der 30er Jahre erschüttert hatte. Alle anderen Sozialreformen begriff Léon Blum als das einzige Mittel, um eine drohende Revolution zu verhindern. Auf der anderen Seite zeichnete sich im benachbarten Spanien, wo ebenfalls ein linkes Volksfront-Bündnis die Wahlen gewonnen hatte, ein blutiger Bürgerkrieg ab, ausgelöst durch Erzkonservative und den reaktionären Armeegeneral Franco.

    Aber der Riss durch die Gesellschaft war nicht mehr zu kitten. Und Blums Maßnahmen erwiesen sich teilweise als kontraproduktiv, wie ein Brief des deutschen Pazifisten Harry Graf Keßler zeigt. Darin beschreibt der ehemalige Diplomat die vergiftete Stimmung in Frankreich Ende 1936:

    "Der Schwager des hiesigen Weingroßhändlers ist Croix de feu, d.h. die französische Spielform der Nazis. Er behauptet, die Blumsche Politik ruiniere alle mittleren Unternehmungen, ohne den Arbeitern wirkliche Vorteile zu bringen, weil die Preissteigerungen den Lohnerhöhungen vorauseilten. Das Unglück Frankreichs sei die Presse, die das Land in zwei feindliche Hälften spalte. Es sollte nur eine Zeitung geben. Er sei mit den Kommunisten in 80% aller Fragen der gleichen Meinung, nur die Presse mache mit ihrer Demagogie Kommunisten und Croix de feu zu Gegnern. Die Redakteure der kommunistischen Humanité gehörten ins Gefängnis. Ich machte ihn darauf aufmerksam, dass in Deutschland heute sein Ideal verwirklicht sei."