Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Bürger unter Generalverdacht?

Datenschutz.- Es geht um die digitale Zensur, um Überwachungswahn im Internet, um Spionagemethoden, denen selbst harmlose Bürger zum Opfer fallen könnten, heißt es. Um gegen die Ausleuchtung im virtuellen Raum zu demonstrieren, sind zahlreiche Menschen in Berlin nun auf die Straße gegangen – auf die echte, versteht sich.

Von Wolfgang Noelke | 12.09.2009
    Vor knapp einer dreiviertel Stunde starteten die Demonstranten auf dem Potsdamer Platz und befinden sich mit den Teilnehmern eines zweiten Zuges auf dem Weg um Berlins Mitte, um gemeinsam in etwa in einer Stunde auf dem Potsdamer Platz die große Abschlusskundgebung zu hören.
    Das Thema der inzwischen dritten Demonstration gegen den wörtlich "Überwachungswahn", so die Veranstalter, scheint nach drei Jahren inzwischen auch die Bevölkerung erreicht zu haben.

    Der Telekom-Skandal und die, im letzten Jahr noch in der Amtszeit von Hartmut Mehdorn veranlassten, geheimen Überwachungsmethoden der Konzernzentrale der Deutschen Bahn, die übrigens hier in unmittelbarer Sichtweite steht, erinnern daran, dass sogar bereits bestehende Datenschutzgesetze intensiv verteidigt werden müssten.

    Wie schnell harmlose Bürger bereits durch unkontrollierte Überwachungsmethoden betroffen seien, beschreibt der Jurist und Mitorganisator Dr. Patrick Breyer am Beispiel der sogenannten Schleppnetzfahndung. Es reiche bereits, regelmäßig dieselben Dinge im Online-Warenhauses einzukaufen, wie ein Terrorverdächtiger:

    "Diese sogenannte Schleppnetzsuche führt dazu, dass wirklich Menschen in Verdacht geraten, nur weil sie ein Zahlungsverhalten haben, was von Anderen abweicht. Und das ist eine Überwachungsmethode, die nichts mehr mit gezielter Ermittlung zu tun hat, sondern die dazu führt, dass letztlich Menschen dazu gedrängt werden, sich konformer zu verhalten, aus Befürchtung, dass wenn sie auffallen, dass sie dann in das Raster von Ermittlungen geraten. So etwas kann ungerechtfertigte Durchsuchungen nach sich ziehen, dass man auf Flugverbots- Listen gesetzt wird. Die USA halten Personen an ihren Grenzen fest, die sie für verdächtig halten. Neulich haben die USA einem Flugzeug keine Überflugrechte gewährt, weil in dem Flugzeug ein Passagier war, aus Frankreich, ein Europaabgeordneter der Linken. Der wollte nicht in die USA fliegen, sondern über die USA hinweg in ein anderes Land und das Flugzeug musste außen rum fliegen, weil die USA das nicht mehr erlaubt haben. So weit gehen die Auswüchse."

    So sei es für Datenschützer unverständlich, warum es den USA weiterhin gestattet werde, heimlich die Bankdaten aller Europäer abzugleichen. Dass diese Überprüfungen nicht allein dem sogenannten Kampf gegen den Terror dienten, sondern auch ein exzellentes Werkzeug für Wirtschaftsspionage seien, sei vielen Politikern nicht bekannt. Die wenigsten Politiker würden etwas von der Materie der digitalen Welt verstehen und den Lobbyisten auf den Leim gehen, die gerne teure Überwachungstechnik verkaufen würden, sagt der Bielefelder Aktionskünstler "Padeluun", Mitveranstalter dieser Demonstration und Initiator des Deutschen "Big Brother Awards":

    "Speichertechnik zu verkaufen ist auch spannend. Die muss auch gewartet werden. Das ist ja nicht nur der Speicherriegel, den man für seinen Computer kauft und 100 Euro dafür bezahlt, sondern das sind Backup-Strukturen, das sind komplette Gebäude, Großgebäude mit Großrechenanlagen, die aufgebaut werden müssen. Klar, das ist ein interessanter Bereich, um Geld zu verdienen. Also sinnlos Daten auf Platten zu lagern, ist fast so sinnlos, wie einen Krieg anzuführen, um irgendwelchen Sprengstoff in die Luft zu jagen, den man teuer vorher produziert hat."

    Die Demonstranten fordern ein Moratoriom und eine Evaluierung der Überwachungsbefugnisse. Sie wollen also alle Maßnahmen zu stoppen, um erst mal ein Kosten–Nutzen-Profil zu erstellen. Oft sei es sinnvoller, eine Überwachungskamera durch eine stärkere Straßenbeleuchtung auszutauschen, um die Kriminalität einzudämmen.

    Das gleiche gelte für Sperrfilter. Die soziale Kontrolle der Internet- Nutzer wäre im Kampf gegen Internetkriminalität wesentlich wirksamer, als geheime Sperrlisten. Die geheimen Überwachungsmethoden des Staates würde das wichtigste Gut der Demokratie beschädigen: die Meinungsfreiheit, sagt der Jurist Breyer:

    "Es ist sehr viel kontrovers diskutiert worden, über einen unserer Slogans ‚Stasi 2.0’. Damit ist nicht gemeint, dass hier in der Bundesrepublik Methoden der Stasi eingesetzt werden. Aber dieses 2.0 heißt ja, dass es eine Weiterentwicklung, einen andere Version ist. Und technisch sind wir heute sehr viel weiter, als es die Stasi jemals konnte. Wir haben Zugriff auf alle Kommunikationsverbindungsdaten, wir haben Richtmikrofone, die über lange Distanzen hinweg Personen abhören lassen können, wir haben kleine Abhöreinrichtungen, wir können in private Computer eindringen, und mitlesen. Das sind alles Dinge, nach denen sich die Stasi wirklich die Finger geleckt hätte und das sind technische Möglichkeiten, die heute in einem demokratischen Rechtsstaat zum Einsatz kommen und sehr gefährlich sind."