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Bürgerbeteiligung und Corona
"Einen direkten Austausch gibt es nicht mehr"

Bürger haben das Recht, gegen Großbauprojekte Einwände vorzubringen und sich vor Ort mit Investoren und Bauherren auszutauschen. Diese Termine mit bis zu 50 Teilnehmenden sollen wegen der Coronakrise nur noch online stattfinden. Juliane Dickel vom BUND hält das für eine unnötige Einschränkung.

Juliane Dickel im Gespräch mit Jule Reimer | 18.05.2020
Baukräne in Berlin recken sich in den blauen Himmel.
An der Planung von Großbauprojekten können Bürgerinnen und Bürger sich beteiligen und ihre Einwände mit der Kommune oder den Investoren diskutieren - ab sofort wahrscheinlich nur noch online. (chromorange)
Ob Windpark, große Industrieanlage, Atomkraftwerk oder Einkaufszentrum: Das Planungssicherstellungsgesetz regelt die Bürgerbeteiligung, wenn irgendwo ein Großbauprojekt geplant ist. Gegen solche Projekt können Bürger aus verschiedenen Gründen Einspruch einlegen. Oft geht es um Naturschutz, Lärmbelästigung oder um die Infrastruktur eines Viertels. Der Bundesrat hat jetzt eine Änderung dieses Gesetzes abgesegnet: Wegen der Ansteckungsgefahr in der Coronavirus-Pandemie soll die Bürgerbeteiligung vorerst nur noch online erfolgen. Normalerweise werden bei solchen Einsprüchen Vor-Ort-Termine - sogenannte "Erörterungstermine" - vereinbart, bei denen die Grundstücke besucht und Diskussionsveranstaltungen organisiert werden. Juliane Dickel vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) ist besorgt über die mögliche Verlegung solcher Termine ins Internet.
Jule Reimer: Frau Dickel, am Wochenende haben hier viele Bürger gegen Einschränkungen im Rahmen der Corona-Pandemie demonstriert. Wird jetzt mit den abgesagten Erörterungsterminen an einem weiteren Bürgerrecht gesägt?
Juliane Dickel: Ich würde das gar nicht so gleichsetzen, denn natürlich ist es immer wichtig – das tun wir in diesem Fall auch -, auf Einschränkungen der Grundrechte hinzuweisen. Allerdings sind natürlich die Maßnahmen im Zuge der Corona-Pandemie wissenschaftlich belegt sinnvoll und retten Leben. Insofern würde ich es nicht gleichsetzen. Die Corona-Beschränkungen sind temporär ein wichtiges Mittel. Die Einschränkung von Rechten im Zuge von Erörterungsterminen ist aus unserer Sicht in dem Maße nicht notwendig.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Reimer: Sagen Sie mal ganz kurz: Wie funktioniert so ein Erörterungstermin?
Dickel: Bei einem Erörterungstermin werden öffentliche Projekte genau erläutert, wichtige Informationen ergänzt und Fehler korrigiert. Sie haben ja schon die Fülle von Projekten angesprochen.
"Ein Erörterungstermin dauert in etwa drei Tage"
Reimer: Man trifft sich da in einer Bürgerhalle oder auf dem Feld, wo der Windpark entstehen soll?
Dickel: Genau. Vorher ist es so: Die Unterlagen liegen öffentlich aus. Man kann Einwendungen schreiben und nur diejenigen, die Einwände eingelegt haben, werden zum Erörterungstermin geladen. So ein Erörterungstermin dauert in etwa drei Tage mit bis zu 50 Teilnehmenden. Wer eingewendet hat, nimmt selbst teil und kann noch Rechts- und Sachbeistände mitbringen, und auch nur diejenigen, die Einwände abgegeben haben und beim Erörterungstermin waren, können auch hinterher gegen das Projekt klagen.
Reimer: Wie soll das jetzt online funktionieren? Sie sagten, eigentlich sei so eine Einschränkung nicht nötig.
Dickel: Genau. Online ist es jetzt so: Die Unterlagen, die vorher öffentlich auslagen, sollen jetzt auch generell online zur Verfügung stehen. Das ist erst mal nicht zu kritisieren, sondern durchaus sinnvoll. Das Problem ist aber, dass das Gesetz anregt, dass Behörden auf alle freiwilligen Erörterungstermine generell verzichten und alle verpflichtenden in Online-Konsultationen verwandelt werden. Konsultation bedeutet erst mal: Man kann online zu bestimmten Punkten Kommentare schriftlich abgeben, aber einen direkten Austausch gibt es gar nicht mehr.
"Terminiert ist das Gesetz erst mal auf März 2021"
Reimer: Die Rolle des Moderators ist ja wichtig. Kann der online diese Rolle ausfüllen?
Dickel: Genau. Es gibt noch die Möglichkeit – ich nehme an, das liegt dann im Ermessen der Behörde -, anstatt der Online-Konsultation eine Videokonferenz oder Telefonkonferenz anzusetzen. Da spielt natürlich auch der Moderator oder die Moderatorin eine wichtige Rolle. Ob das wirklich gut gemanagt werden kann, kommt auf die Konferenz an. Wenn alles ruhig verläuft, würde ich das dem Moderator oder der Moderatorin gar nicht absprechen. Die Frage ist natürlich: Was ist, wenn es eine sehr aufgeladene Stimmung ist mit Zwischenrufen, wie geht man in solchen Konferenzen damit um. Da gibt es natürlich auch eine gewisse Macht, die dann beim Moderator liegt in der Abschaltfunktion. Aber das ist Spekulation, das müsste man in der Praxis sehen.
Reimer: Wie lang wird diese Beschränkung dauern? Sie haben gesagt, es wird zeitlich begrenzt.
Dickel: Genau. Man muss dazu sagen, es ist ein Kann-Gesetz, kein Muss-Gesetz. Ob es wirklich angewendet wird, liegt im Ermessen oder muss die Behörde selbst entscheiden. Sie hat jetzt nur die Möglichkeit, die COVID-19-Beschränkungen heranzuziehen, um das Verfahren kontaktfreier zu machen.
Terminiert ist das Gesetz erst mal auf März 2021, bis nächstes Jahr. Wobei Verfahren, die in diesem Zeitraum schon angestoßen wurden, in diesem Rahmen dann weiterlaufen können bis 2025. Dann müssten alle abgeschlossen sein.
"Erörterungstermine leben vom Austausch mit den Behörden"
Reimer: Was würden Sie sich wünschen?
Dickel: Wir sind der Meinung, dass es in dieser Form nicht notwendig ist. Wie gesagt: Erörterungstermine leben vom Austausch mit den Behörden, die dadurch ganz wichtige Informationen bekommen, was es für Probleme gibt, aber natürlich auch umgekehrt Projekte besser vermitteln können, aber auch dem Austausch der Betroffenen, Bürger und Bürgerin, Kommunen und Verbände untereinander. Wir sind der Meinung, dass solche Erörterungstermine – es sind wie gesagt bis zu 50 Teilnehmende – in der Regel weiter stattfinden sollen können, unter Einhaltung der Abstandsregelungen, natürlich immer mit Blick darauf, dass die Teilnehmenden geschützt sind. So eine Online-Videokonferenz beispielsweise – nur ganz kurz -, das kann noch ein ergänzendes Mittel sein für Risikopatienten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.