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Bürgerinitiative "Pulse of Europe"
Europa-Fans demonstrieren in Erfurt

Schon zum dritten Mal sind bis zu 300 Menschen in Erfurt für Europa auf die Straße gegangen Der thüringische Ableger der Bürgerinitiative "Pulse of Europe" entstand als Reaktion auf die Trump-Wahl – und will nicht zuletzt ein Gegenbild zu "Herrn Höcke" schaffen

Von Henry Bernhard | 23.03.2017
    Anhänger der Pulse of Europe"-Bewegung demonstrieren vor dem Erfurter Hauptbahnhof
    Anhänger der Pulse of Europe"-Bewegung demonstrieren vor dem Erfurter Hauptbahnhof (Deutschlandradio Henry Bernhard )
    Auf dem lauschigen Wenigemarkt in Erfurt wird Europa aufgeblasen. Die Spanierin Josune Ilardia lässt Helium in die blauen Ballons mit den gelben EU-Sternen strömen, verschließt sie und verknotet sie mit einem Band. Nicht nur die Kinder ringsum, auch viele Erwachsene wollen einen Ballon tragen – als Bekenntnis zu Europa. Josune Ilardia ist vor elf Jahren mit ihrem Mann nach Erfurt gekommen. Er hat für einen spanischen Konzern eine deutsche Tochterfirma aufgebaut. Sie ist Bilanzbuchhalterin bei einer Erfurter Firma. Vor zwei Wochen, bei der ersten "Pulse of Europe"-Demonstration in Erfurt, hat sie eine flammende Rede für ein Europa ohne Grenzen gehalten.
    "Es ist für uns ganz wichtig und für mich persönlich, dass Deutschland und andere EU-Länder zusammen bleiben. Und dass irgendwie nicht alles perfekt ist, aber trotzdem es ist keine Lösung, auseinanderzugehen, sondern ich glaube, es ist wichtiger, dass, was wir erreicht haben, noch weiter zu machen, und dann auch neue Vorschläge und neue Impulse zu geben. Aber zusammen – das ist immer stark."
    Jeweils um die 300 Menschen haben sich inzwischen schon drei Mal in Erfurt unter der Fahne von "Pulse of Europe" versammelt. Die Autorin und Journalistin Eva Corino und ihre Freunde erkannten im Frankfurter Vorbild die richtige Antwort auf das Unwohlsein, das ihnen unter anderem die Trump-Wahl im November beschert hat.
    Traurig über das Bild Erfurts
    "Und dann haben wir uns kurz entschlossen zusammengetan und unsere Freundeskreise zusammengeschmissen, und dann eben für zwei Wochen später die erste Demonstration geplant. Und dann war uns in Erfurt natürlich auch wichtig, ein Gegenbild zu schaffen zu den Demonstrationen im letzten Herbst mit Herrn Höcke und der AfD. Und vielen von unseren Bekannten ist es auch so gegangen, dass sie inzwischen, wenn sie sagten, sie seien aus Erfurt, oft sofort damit in Verbindung gebracht wurden. Und das ist natürlich auch ein bisschen traurig."
    Der pensioniert Bundesarbeitsrichter Burkhart Kreft gehört mit zu den Initiatoren. Sie wollten unbedingt eine überparteiliche Veranstaltung.
    "‘Keine Partei!‘, heißt das. Also, wir wehren ja niemandem, Parteimitglied zu sein. Wir würden auch niemandem wehren, als bekanntes Parteimitglied ans offene Mikrofon zu gehen, aber wir würden darum bitten, das nicht unter dem Logo einer Partei zu tun und keinen Wahlkampf zu machen, sondern wirklich dieses Europa, also dieses europäische Anliegen, in den Mittelpunkt zu stellen."
    Und in der Tat ist mal eine Grüne, mal eine CDU-Landtagsabgeordnete bei "Pulse of Europe" zu sehen, aber nie auf der kleinen Rednertribüne. Auch der SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee ist schon einmal gesichtet worden, aber eher als Zuschauer am Rande von einem Café aus. Nicht im Mittelpunkt zu stehen, ist ohnehin nicht so seine Sache.
    "Jetzt wollen wir einfach dorthin laufen und unser blaues Banner und die Transparente tragen, die Meienbergstraße entlang – und dann zum Bahnhofsplatz. Bis gleich!"
    Berufpolitiker halten sich zurück
    Eva Corino moderiert "Pulse of Europe" in Erfurt regelmäßig. Ihr Mann, Jakob von Weizsäcker, läuft unterdessen mit der jüngsten Tochter an der Hand im Demonstrationszug mit. Er hält sich zurück, denn er ist: Politiker. Noch dazu Abgeordneter im Europaparlament für die SPD.
    "Ich finde das toll, dass sie das machen, und ich will das unterstützen, will aber nicht irgendwie den Eindruck erwecken, mir geht es darum, dass meine Partei oder andere Parteien da irgendwie versuchen, diese Organisation zu instrumentalisieren, sondern ich möchte das als Bürger unterstützen. Ich freue mich natürlich auch sehr, das gibt mir Motivation für meine Arbeit."
    Und – reizt es ihn nicht, auf die Rednertribüne zu treten? "Ich komme ja im Alltag genug dazu, irgendwelche Reden zu schwingen. Ich höre auch ganz gern mal zu."
    Fazit: Die Zurückhaltung der Berufspolitiker funktioniert bei "Pulse of Europe" in Erfurt. Ans Mikrofon treten Bürger der Stadt - Bildungsbürger. Pensionierte Ärzte, Richter, ein Musiker. Dabei fällt auf, dass viele von ihnen aus dem Westen zugewanderte Erfurter sind. Eva Corino hat das auch bei den Organisatoren beobachtet.
    "Ja, das ist eine berechtigte Frage: Ich glaube, von den acht Leuten sind ungefähr sechs aus dem Westen. Es ist auch so, dass eine Freundin aus diesem Team, hat auch sehr geworben in ihrem ostdeutschen Bekanntenkreis und ist auch zum Teil auch auf große Widerstände gestoßen. Und ich glaube, dass es auch so Ängste gibt, doch auch Haltung zu zeigen, oder wieder Ängste vor einer großen Veränderung. Und insofern ist es, glaube ich, kein Zufall. Aber es gibt auch diejenigen, die gleich begeistert waren und mitmachen wollten." Wie Christoph Drescher, Musikmanager und Ur-Erfurter:
    "Wir haben in den ersten Runden, in denen wir zusammensaßen, gemerkt, dass eben Westdeutsche davon erzählten, wie sie in ihrer Jugend sich mit Schulklassen aus anderen Ländern trafen. Und da habe ich gesagt, ‚Moment, das ist eine Erfahrung, die wir so nicht kennen, die wir hier im Osten aufgewachsen sind. Für uns ist Europa noch etwas Neues und vielleicht auch nicht so Vertrautes.‘ Umso mehr ist es natürlich wert, sich das zu bewahren und nicht zuletzt zu vergegenwärtigen: Nicht zuletzt die Wiedervereinigung hätte es ohne die Europäische Union und ohne ein Einverständnis der anderen europäischen Länder nicht gegeben. Deswegen haben wir doch allen Grund, sehr, sehr dankbar zu sein!"
    Passenderweise fand die letzte "Pulse of Europe"-Demonstration am Sonntag auch auf dem Bahnhofsvorplatz ihren Höhepunkt. Genau dort, wo der damalige Bundeskanzler Willy Brandt sich auf den Tag genau 47 Jahre zuvor am Hotelfenster den begeisterten Erfurtern zeigte. "Willy Brandt ans Fenster!", das war damals der berühmte Ruf, der verdeutlichte, dass die deutsche Frage weiter offen sei.