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"Bürgerkönig" mit vielen Feinden

Kein französischer König hat mehr Attentate überlebt als der "Bürgerkönig" Louis Philippe. Der spektakulärste Anschlag auf den Herrscher ereignete sich am fünften Jahrestag der Julirevolution von 1830, die ihm einst den Thron bescherte.

Peter Hölzle | 28.07.2010
    " ... Der Herzog von Orléans ist ein Fürst, der der Sache der Revolution ergeben ist. (...) Der Herzog von Orléans ist ein Bürgerkönig. Der Herzog von Orléans hat die Trikolore im Feuer getragen. (...) Wir wollen keine anderen Farben. (...) Aus der Hand des französischen Volkes wird er die Krone tragen."

    Auszüge aus einem Flugblatt, das am Morgen des 30. Juli 1830 auf den Straßen von Paris kursierte. Die siegreiche Julirevolution hatte der Bourbonenherrschaft ein Ende bereitet. Karl X. war gestürzt, sein Staatsstreich, die konstitutionelle Monarchie in ein absolutistisches Königtum zurückzuverwandeln, gescheitert. Als neuer König bot sich Louis Philippe, der eingangs als "Bürgerkönig" gelobte Herzog von Orléans, an. Der war zwar auch ein Bourbone, aber aus einer Seitenlinie, die schon früh ihren Frieden mit der Französischen Revolution gemacht hatte. In ihm, dem durch Volkswillen zum "König der Franzosen" erhobenen Herrscher sollte sich das monarchistische mit dem republikanischen, das rechte mit dem linken Frankreich versöhnen. Aber diese Versöhnung misslang. Warum, schreibt ein Zeitgenosse des "Bürgerkönigs", der Historiker Alexis de Tocqueville, in seinen "Erinnerungen":

    "Die Regierung gleicht einer korrupten Aktiengesellschaft, die ihre Wähler mit materiellen Vorteilen besticht."

    In der Tat war der "Bürgerkönig" von Anfang an nur ein Großbürgerkönig, der im juste milieu, einer rechten bürgerlichen Mitte der Reichen und Superreichen, verankert war. Diese von Heinrich Heine verspotteten "Justemillionäre" waren die Stützen seiner Herrschaft und die Nutznießer des Wirtschaftsaufschwungs, der mit der Industrialisierung der dreißiger Jahre einherging. Kleinbürger und Arbeiter hingegen hatten das Nachsehen. In Frankreich, dem Mutterland der Revolution, konnte das nicht gut gehen. In seiner "Geschichte der deutschen Sozialdemokratie" weist Franz Mehring auf die Folgen der scharfen sozialen Gegensätze zwischen Riesenreichtum und Massenelend in Frankreich hin:

    "Das Bürgerkönigtum zählte noch nicht ein halbes Dutzend Jahre, als in seinen Jahrbüchern schon etwa drei Dutzend Revolutiönchen, mehr als ein Dutzend Attentate auf den König und nahezu ein Dutzend Gesetze verzeichnet standen, die den Massen ihre politischen Rechte entrissen, in erster Linie die Presse- und Vereinsfreiheit."

    Von den vielen Attentaten, die auf Louis Philippe verübt wurden, war das vom 28. Juli 1835 das spektakulärste, weil es die meisten Opfer forderte, mit einem außergewöhnlichen Tatwerkzeug durchgeführt wurde und an einem denkwürdigen Datum stattfand. Am fünften Jahrestag der Julirevolution, die Louis Philippe an die Macht gebracht hatte, ritt der König mit großem Gefolge zu einer Parade der Nationalgarde. Als er auf dem Boulevard du Temple das Haus Nummer 42 passierte, setzte Joseph Fieschi, ein korsischer Anarchist und napoleonischer Kriegsveteran, seine aus vierundzwanzig Flintenläufen bestehende "Höllenmaschine" in Gang, die 41 Tote und Verletzte forderte. Der König hingegen kam mit leichten Verletzungen davon, während Fieschi selbst gleichfalls verletzt wurde. Das Attentat hätte eigentlich nicht schief gehen dürfen. Aus Eric Hazans historischem Stadtführer "Die Erfindung von Paris" wissen wir:

    ""Fieschi und seine Komplizen führten die Versuche mit ihrer Höllenmaschine auf einer Wiese in Ménilmontant an der Rue d'Annam durch."'"

    Fieschi und seinen Komplizen Théodore Pépin und Pierre Morey, beide Mitglieder der republikanischen Opposition, wurde der Prozess gemacht. Am 19. Februar 1836 starben sie unter der Guillotine. Ihr missglücktes Attentat hatte aber noch eine andere Konsequenz: die Septembergesetze. Mit ihnen führte die Regierung des Bürgerkönigs am 9. September 1835 die Zensur wieder ein und verschärfte die Strafen für Pressevergehen. Begründung: Die Presse der Opposition habe das Klima für den Anschlag vom 28. Juli vorbereitet. Mit solchen und anderen Repressionsmaßnahmen vermochte Louis Philippe noch über ein Jahrzehnt zu regieren. Erst die Februarrevolution von 1848 setzte dem Bürgerkönigtum ein Ende. Frankreich wurde wieder Republik, eine Republik auch der Arbeiter und Kleinbürger, die bislang von der Macht ausgeschlossen waren.