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Bürgerwehr oder ungeliebtes Übel

Das Gelöbnis der Wehrpflichtigen bei der Bundeswehr. Es ist ein Schwur, der acht Millionen Männer in Deutschland verbindet. So viele haben "gedient" in den vergangenen 53 Jahren. Der "Bund" ist damit ein fester Bestandteil der deutschen Nachkriegsgeschichte. Doch gestritten wurde um den Wehrdienst von Anfang an.

Von Korbinian Frenzel | 17.06.2010
    Vor allem, als er gerade einmal zwölf Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg wiedereingeführt werden sollte. Über 17 Stunden debattierte der Bundestag damals – bis in den frühen Morgen. Bundeskanzler Konrad Adenauer sah gute Gründe, die jungen Männer in die Kasernen zu rufen:

    "Sie haben gesagt, welche Parolen wollen Sie den jungen Leuten bieten, die Sie jetzt einziehen werden. Nun, ich will Ihnen die Parolen sagen: Schutz unserer Freiheit und Schutz unserer Heimat und Schutz Europas vor dem vordrängenden Sowjet-Russland, das Europa haben will."

    500.000 Mann sollte die frisch gegründete Bundeswehr zählen, so hatten es die Alliierten gefordert. Mit einem Freiwilligenheer war das nicht zu machen. Landesverteidigung deshalb eine Gemeinschaftsaufgabe. Der Soldat ein "Staatsbürger in Uniform". Wenn regelmäßig frische Rekruten die Kasernen bevölkern, so die Idee, drohte die Armee nicht zum Staat im Staate zu werden.

    Es war der Geburtsjahrgang 1937, der 1957 als Erster eingezogen wurde. Und ein Phänomen, das die Geschichte des Wehrdienstes in den folgenden Jahren noch sehr prägen sollte, spielte noch keine allzu große Rolle. Gerade einmal 0,41 Prozent der jungen Männer verweigerten damals den Dienst an der Waffe.

    Das sollte sich schnell ändern. Immer mehr junge Männer zeigten sich lieber als Staatsbürger im Ungehorsam als in Uniform. Und spätestens mit den Protesten gegen den Vietnamkrieg waren die Prioritäten klar: Make love not war. Bundespräsident Walter Scheel warnte in einer Rede 1978 vor moralischer Überheblichkeit:

    "Kriegsdienstverweigerer haben nicht das Gewissen gepachtet. Sie haben auch kein nachweisbar besseres Gewissen als in der Bundeswehr Dienende. Sie haben nur – das völlig zurecht – ein anderes Gewissen."

    Überhaupt - das Gewissen. Wo fängt eine Gewissensentscheidung an, wo ist es vielleicht nur "Feigheit"? – um einen gerne gebrauchten Vorwurf gegen die Verweigerer aus jenen Tagen aufzugreifen. Die sozialliberale Koalition wollte es den jungen Leuten leicht machen: Sie führte 1977 die Kriegsdienstverweigerung per Postkarte ein – was für einen sprunghaften Anstieg sorgte. Mehr als zehn Prozent eines Jahrgangs sagten nun Nein zur Bundeswehr.

    Bis das Bundesverfassungsgericht sein Veto einlegte: Der Wehrdienst sei die Regel, Zivildienst nur eine wohl zu begründende Ausnahme, urteilen die Richter 1978. Bundeswehr und oppositionelle CDU applaudierten.

    Als Helmut Kohl 1982 mit der Bonner Wende Kanzler wurde, wird das Leben für Zivis und die, die es werden wollen, erstmal deutlich schwerer. Der Ersatzdienst wird um fünf auf 20 Monate verlängert, nicht aber der Wehrdienst. Auch die Gewissensprüfung kehrt in verschärfter Form zurück. Die Kritiker schimpften über Gesinnungsschnüffelei. Viele Wehrdienstgegner wählen den Ausweg Westberlin: Wer dort lebte, konnte sich dem Wehrdienst dank alliiertem Sonderstatus entziehen.

    Doch trotz aller Schwierigkeiten: Nein-Sagen war im Westen viel einfacher als in der DDR, die nur kurz nach der BRD 1962 den Wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee einführte. Wer dort verweigern wollte, landete – kaserniert und schikaniert – bei den sogenannten Bausoldaten.

    Anfang der 80er-Jahre hat alles Militärische ohnehin einen schweren Stand – zumindest in den Reihen der demonstrationsmächtigen Friedensbewegung. Das gilt auch für die Bundeswehr, wie Willy Brandt bei der zentralen Abschlussdemo der Friedensaktivisten 1983 in Bonn zu spüren bekommt:

    "Die Bundeswehr als Armee im demokratischen Staat hat den Auftrag, den Frieden sichern zu helfen. Sie werden doch nicht erwarten, dass ich das, was ich für richtig halte, hier nicht so sage wie anderswo."

    Spätestens der Golfkrieg 1991 macht die Wehrdienstverweigerung zum Massenphänomen – die Zahl der Verweigerer verdoppelt sich. Und es bleibt auch in den Jahren danach beim hohen Niveau von rund 40 Prozent eines jeden Jahrgangs.

    Mit ein bisschen Glück kommt man heute auch einfacher um den Bund herum. Denn die ständige Verkleinerung der Bundeswehr hat den Bedarf an Rekruten deutlich zurückgehen lassen – vom Jahrgang 1983 wurden lediglich 15 Prozent eingezogen. In Internetforen raten sich junge Männer sogar, erstmal nicht zu verweigern. Denn wer weiß, vielleicht wird man überhaupt nicht gezogen. Und falls doch, verweigert man eben nachträglich. Oder lässt die mittlerweile nur noch sechs Monate beim Bund einfach über sich ergehen.

    O-Ton Gelöbnis: "Und die Freiheit des Deutschen Volkes – tapfer zu verteidigen."