Donnerstag, 28. März 2024

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Bürgerwindparks
Ärger über Wirtschaftsminister Gabriel

Bei den erneuerbaren Energien galt bisher den Grundsatz: Wer Wind oder Solarstrom einspeist, bekommt eine garantierte Vergütung. Dieses Prinzip hat das Bundeskabinett gestern abgeschafft. Und: Wer künftig einen neuen Windpark plant, muss sich an Ausschreibungen beteiligen. Vor allem kleine Bürgerwindparks hätten dann schlechtere Chancen.

Von Manfred Götzke | 09.06.2016
    Eine Windkraftanlage hinter einem Umspannwerk.
    Eine Windkraftanlage hinter einem Umspannwerk. (dpa / picture alliance / Carsten Rehder)
    Dirk Ketelsen weiß nicht, zu welchem Auto der Schlüssel gehört, den er in der Hand hält. Fünf SUVs stehen in seiner Scheune, dazwischen eine dunkelblaue Mercedes S-Klasse. Windkraft ist für Dirk Ketelsen ein einträgliches Geschäft – und nicht nur für ihn, fast jeder in der Gemeinde verdient daran. Hinten links blinkt ein weißer Jeep auf. Wir steigen ein und fahren los.
    Wir fahren in den Windpark Reußenköge und schauen uns mal das Repowern an der Anlagen, das Repowern in der 3. Generation, die dritte Charge Windkraftanlagen haben wir jetzt gerade erreichtet.
    Ketelsen ist eigentlich Landwirt, sein Betrieb, mehr edles Anwesen als Bauernhof, liegt hinterm Deich, an der dänischen Grenze. Direkt vor dem Deich drehen sich seine 80 Windräder im Takt. Er steigt aus, der Wind ist heute – wie an so ziemlich jedem Tag hier - optimal. Offshore-Niveau, schwärmt Ketelsen. Obwohl die Anlagen zum Teil nicht mal 400 Meter von den Höfen entfernt stehen – hier beschwert sich keiner.
    "Weil wir hier damit groß geworden sind – und wir partizipieren alle dran, jeder aus unserer Gemeinde Reußenköge ist beteiligt, 95 Prozent der Gemeinde und insofern sind das keine Monster, sondern wir lieben sie, sie sichern den Verbleib auf den Höfen. Sobald da eine stillsteht oder irgendwas los ist, rufen sie mich an was ist da los, denn die drehen ja für uns alle!"
    Die Bürger der Gemeinde ist hundertprozentige Besitzer des Windparks, jeder der hier wohnt, kann Anteile erwerben. Ketelsen ist Windpionier, vor 25 Jahren hat er sich sein erstes kleines Windrad auf den Hof gestellt. Jetzt ist er Chef des Bürgerwindparks, sein Hof die Zentrale, mit über 30 Mitarbeitern. Er ist stolz darauf, was sie sich hier aufgebaut haben – vor allem, weil alle Bürger in der Gegend an dem Projekt beteiligt sind.
    "Wir haben auch Hartz 4 Empfängern auch die Möglichkeit gegeben, dabei zu sein, und die sind von dem Tropf weg – wir haben das sozial gestaltet hier. Für einige Bauern ist es auch die Hälfte des Einkommens, viele Bauern wären nicht mehr hier ohne die Erneuerbaren."
    Der braungebrannte 62-Jährige fährt weiter durch das Marschland ganz gemächlich, damit man den Bürgerwindpark in all seiner Pracht sehen kann. Ein paar Räder stehen still, sie werden gegen größere der neuesten Generation ausgetauscht. Repowert.
    "Wir haben jetzt schon ein Drittel unseres Masterplanes umgesetzt. Wir wollen alle Anlagen erneuern auf die große Version hin, dass wir quasi von 2 auf 3 Megawatt kommen, so dass wir die Leistung verdoppeln. Wir haben aber Bedenken, dass es durch die Randbedingungen wie Avi-Fauna schwieriger wird. Das zeichnet sich so ein bisschen ab. Da sind irgendwelche Vögel wichtiger wie der Mensch, die sind auch wichtig, aber da wird immer die Frage gestellt, können sie es ausschließen, dass sie einen Adler töten, können wir vielleicht nicht. Dann muss erstmal ein neues Gutachten her."
    Ketelsen hat Angst, dass der Seeadler, der schon seit 15 Jahren durch den Windpark fliegt, ihm die Erneuerung der Räder stoppt. Dabei will er unbedingt noch bis Ende des Jahres fertig werden – damit die neuen Windräder noch zu den geltenden Einspeisevergütungen ans Netz gehen. Von den neuen Regeln, die das Bundeskabinett gestern beschlossen hat, hält er überhaupt nichts – sie seien ein reines Geschenk für die großen Energiekonzerne.
    Akzeptanz vor Ort könnte abnehmen
    "Die Politik von Gabriel, die will uns eigentlich weg haben – dat is ne Farce,
    Das ist am Ende schlecht, das ist scheiße, was sie da vorhaben - um es auf deutsch zu sagen."
    Künftig bekommen neue Windparkprojekte nur dann eine Förderung, wenn sie eine Ausschreibung gewinnen – ihren Strom zu den günstigsten Konditionen anbieten. Für Ketelsens etablierte Anlage wohl auch dann kein Problem, wenn sie ihren Park noch erweitern wollen. Für neue Windparks sieht er aber schwarz – sie könnten die Investitionen und den bürokratischen Aufwand für die Ausschreibung kaum tragen.
    "Das ist dann kaum mehr möglich dort Bürgerwindparks aufzulegen, weil die Risiken zu groß sind: Ausschreibungen, Sicherheiten abgeben, planungsrechtlich, etc."
    Dabei hat sich das Modell bewährt. Anders als in den meisten anderen Bundesländern, gibt es in Schleswig Holstein kaum Widerstand gegen den Ausbau der Windenergie. Dirk Ketelsen steigt auf den Deich, blickt die Küste entlang, kilometerweit nichts als Windräder. Nirgendwo sonst gibt es mehr als hier im hohen Norden. Fast alle sind Bürgerwindparks.
    "Dass die Wertschöpfung, die Gewerbesteuer vor Ort bleibt, das hält die Akzeptanz für die Erneuerbaren aufrecht. Ansonsten, wenn hier ein Großkonzern herkommt oder irgendwelche großen Energieversorger oder Kapitalgesellschaften, die das aus Frankfurt oder New York managen, dann haben wir die Akzeptanz nicht mehr, dann werden wir von den Befürwortern zu Gegnern."