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Bütikofer favorisiert Bürgerversicherung

Meurer: Es scheint, als bekäme die Bürgerversicherung immer mehr Anhänger. Die Grünen favorisieren sie seit eh und je, Horst Seehofer von der CSU seit einiger Zeit, und die SPD neuerdings auch. Die Gegner sprechen von der Einheitskrankenversicherung, die alle gleich mache. Heute könnte die Bürgerversicherung einen großen Tag erleben. Die SPD will in ihrem Leitantrag für den Parteitag ein Stufenmodell hin zur Bürgerversicherung vorlegen, bei den Grünen berät der Parteirat. Am Telefon begrüße ich den Bündnisgrünen-Vorsitzenden Reinhard Bütikofer. Herr Bütikofer, Ulla Schmidt von der SPD hat gestern gesagt, jeder meint mit Bürgerversicherung etwas anderes. Was meinen Sie damit?

    Bütikofer: Wir meinen damit, dass alle Einkunftsarten und alle Bevölkerungskreise gleichermaßen zur solidarischen Gesundheitsversicherung herangezogen werden, ohne dass deswegen alle in derselben Kasse sein müssen. Wir hoffen, dass man auf die Art und Weise die Belastung des Faktors Arbeit durch ständig steigende Beiträge verringern kann, was eine positive Wirkung auf den Arbeitsmarkt hätte.

    Meurer: Die Wahl zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung wollen Sie dann aber den Bürgern nicht mehr lassen.

    Bütikofer: Doch. Wir sehen vor, dass auch die privaten Krankenversicherungen in einem solchen Bürgerversicherungssystem eine Rolle spielen könnten. Wenn Sie mal in die Schweiz gucken, sehen Sie, dass dieses dort gesetzlich möglich ist. Es gibt eine private Krankenversicherung, die dort im Rahmen der Bürgerversicherung ihr Geschäft betreibt. Das wollen wir also ermöglichen.

    Meurer: Die Süddeutsche Zeitung - ich weiß nicht, ob Sie die heute schon gelesen haben - titelt heute mit der Schlagzeile: "Auf die Bürger kommen neue Belastungen zu". Bestreiten Sie, Herr Bütikofer, dass das für die Bürgerversicherung gilt?

    Bütikofer: Das bestreite ich schon. Im Moment ist es ja so: Die Zahl derer, die noch die solidarische, gesetzliche Krankenversicherung tragen, schrumpft wegen Arbeitslosigkeit, wegen veränderter Erwerbsbiographien, so dass eine immer höhere Belastung auf immer weniger Schultern gelegt wird. Wir wollen diesen zu hohen Druck reduzieren und alles auf breitere Schultern verteilen. Das heißt zum Beispiel, dass diejenigen, die hohe Zinseinkünfte haben oder die aus Mieten und Pachten Erträge haben und nicht nur aus dem Arbeitslohn, auch stärker mitherangezogen werden. Da gibt es sicher welche, die mehr zu zahlen hätten. Andere müssen weniger zahlen. Im Großen und Ganzen ist das aber sicher eine gerechtere Verteilung.

    Meurer: Wie erklären Sie das einem Selbständigen, der keine Lust hat auf eine Zwangsversicherung?

    Bütikofer: Ich glaube, dass ein Selbständiger oder die Wirtschaft insgesamt ein hohes Interesse daran hat, dass nicht das System der gesetzlichen Krankenversicherung zunehmend zu einer Bremse für die Wirtschaftsentwicklung, zu einer Strafsteuer für Arbeit wird. Wenn wir die Belastung des Faktors Arbeit reduzieren wollen, gibt es eigentlich nur zwei Alternativen: Entweder wir werden scheibchenweise Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung herausnehmen, Leistungen ausgliedern, Zuzahlungen erhöhen und so weiter. Dann bleibt vom solidarischen System nichts mehr übrig. Das kann nicht der Sinn einer sozialen Gesellschaft sein. Oder wir machen den Systemwechsel zur Bürgerversicherung.

    Meurer: Sie wollen die Bürgerversicherung ja um ein entscheidendes Element ergänzen, nämlich der Arbeitgeberanteil soll eingefroren werden. Ist da der Aufstand der Linken bei Ihnen vorprogrammiert?

    Bütikofer: Strittig wird das auf jeden Fall, nicht nur bei uns. Das hört man auch schon aus der SPD und den Gewerkschaften. Ich denke mal, dass man das noch gründlich wird diskutieren müssen. Was wir aber heute beschließen ist nicht das Ende der Debatte, sondern das sind Diskussionspunkte zum Auftakt. Wir werden uns genug Zeit nehmen, um diese Fragen sauber zu sortieren.

    Meurer: Herr Bütikofer, höre ich da heraus, dass Sie von dem Einfrieren der Arbeitgeberbeiträge nicht so begeistert sind?

    Bütikofer: Nein, sondern Sie hören da heraus, dass wir nicht so Politik machen, dass wir die Partei vor vollendete Tatsachen stellen, sondern dass wir Punkte zur Diskussion stellen.

    Meurer: Nun will auch die SPD heute ein Konzept zur Bürgerversicherung beschließen. Meint es die SPD-Spitze da wirklich ernst, oder wird da sozusagen den internen SPD-Kritikern ein Knochen hingeworfen, an dem diese in den nächsten Monaten nagen und gleichzeitig die anderen Reformgesetze absegnen dürfen?

    Bütikofer: Ich weiß nicht, ob es wirklich Sinn macht, darüber schlecht zu reden. Tatsache ist, dass die SPD-Führung lange zögerlich war bei dieser grundlegenden Reform, vielleicht sogar noch zögerlich ist. Tatsache ist aber auch, dass sich ganz viele Gruppen in der SPD - vom Seeheimer Kreis bis zur Parlamentarischen Linken - für diese Idee erwärmen können. Wenn sich dann die Partei insgesamt bewegt, kann das doch dem Land nur gut tun.

    Meurer: Geben Sie damit zu, dass die beschlossene Gesundheitsreform halbherzig war und schon wieder nachgebessert werden muss?

    Bütikofer: Die Maßnahmen der Gesundheitsreform waren im wesentlichen Kostendämpfungen, die nur kurzfristig wirken. Das haben ja auch Ulla Schmidt und Horst Seehofer von Anfang an gesagt. Worum es jetzt geht, ist, den Bürgern eine Perspektive zu geben mit einem längeren Horizont und zu zeigen, dass wir mit einer radikaleren Reform gerechtere Verhältnisse bekommen können.

    Meurer: Es mag vielleicht gerechter sein. Führt aber die Bürgerversicherung nicht dazu, dass es bei der Verschwendung bleibt, die es im Moment im Gesundheitssystem gibt?

    Bütikofer: Nein, das wollen wir auf gar keinen Fall. Deswegen ist unser Diskussionsvorschlag festzulegen, nicht, dass mehr Geld ins System kommt, sondern dass das, was zusätzlich aus der Verbeitragung etwa von Zinserlösen erlöst wird, dann zur Senkung der Beiträge auf breiter Front verwendet wird. Die Frage der Effizienz muss man nach wie vor angehen mit mehr Wettbewerb bei den Leistungserbringern und mehr Wettbewerb zwischen den Kassen. Dafür setzen wir uns entschieden ein.

    Meurer: Reinhard Bütikofer, der Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, besten Dank und auf Wiederhören.

    Link: Interview als RealAudio