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Bukaharas neues Album "Phantasma"
Spontane Performance im Hambacher Forst

Balkan-Pop, Neo-Folk mit arabischen Einflüssen: Die Kölner Band Bukahara weckt verschiedene Assoziationen, aber auch die Tanzbeine müder Umwelt-Aktivisten. Kurz vor ihrem Tourauftakt performten die vier Musiker spontan im Hambacher Forst.

Von Kolja Unger | 07.10.2018
    Vier Musiker mit ihren Instrumenten vor einer schwarzen Fläche
    Bukahara ist seit dem 9.10.2018 mit ihrem dritten Album Phantasma auf Tour, zuvor haben sie allerdings musikalisch den Protest im Hambacher Forst unterstützt (Bukahara)
    Unterwegs mit Bukahara. Das heißt, vier Männer um die 30 entweder mit Bart oder verwuschelten Lockenköpfen sitzen um mich herum in einem weißen Minivan. Kofferraum und Anhänger sind voller Instrumente. Schlafsäcke zwischen den Sitzen. Flaschen klirren, als wir von der A4 bei Kerpen abfahren. Der Sänger Souffian Zoghlami versucht sie mit seinen Füßen zu fixieren. "Wir fahren in den Hambacher Forst. Relativ spontan, um da zu spielen gleich", sagt Zoghlami.
    Das umkämpfte Waldstück soll vom Energiekonzern RWE für den Braunkohleabbau gerodet werden. Den ganzen Tag haben Umweltaktivistinnen und -aktivisten dagegen Widerstand geleistet. Für sie spielt Bukahara heute.
    Keine typische Hippie-Band
    Die vier Multiinstrumentalisten haben an der Musikhochschule Köln studiert, was Zoghlami zufolge eine gewisse Gefahr birgt: "Wenn man in der Musikhochschule ist, kann es sein, dass man in seiner kleinen Seifenblase verschwindet."
    Daher haben sie sich zusätzlich ihre Sporen als Straßenmusiker in ganz Europa verdient. Sie haben dabei, so Zoghlami, gelernt laut und mit viel Energie zu singen. So seien sie "definitiv eine Live-Band" geworden. Diese Präsenz merkt man ihnen an. Auf den ersten Blick tiefenentspannte Ex-Straßenmusiker in schlabbrigen Klamotten ist Bukahara dennoch keine typische Hippie-Band. Statt esoterischem Geschwurbel, haben sie eine Direktheit. Zoghlami und seine Bandkollegen wissen, was harte Arbeit ist:
    "Wir sind jetzt seit neun Jahren unterwegs und haben ungefähr alles gespielt, was so kam. Festivals, kleines Raves im Berliner Hinterland, aber auch auf Hochzeiten. So richtig Scheiße fressen, wie man so schön sagt. Aber es hat viel Spaß gemacht", sagt er.
    "Phantasma": komplexe Arrangements, deutlich politischer
    Mit ihrem dritten Album "Phantasma" haben Bukahara ihre erste Chartplatzierung geschafft, Millionen Klicks bei Spotify. Die Arrangements sind orchestraler und komplexer geworden. Geschrieben nicht mehr für die Straße oder WG-Partys, sondern für Hauptbühnen auf Festivals.
    Klar, bei Bukahara steht die Musik im Vordergrund, wie Geiger Avi Schneider betont. Und dennoch ist es kein Zufall, dass die Band auch gerne von politisch linksliberalen Menschen gehört wird. "Teils wurde es schon als politische Aussage empfunden, das wir aus anderen Ländern stammen. Das ist für uns aber ein absolute Selbstverständlichkeit. Dass das aber normal ist, ist für viele auch inspirierend", so Schneider.
    "Phantasma" ist deutlich politischer geworden als die Vorgänger-Alben. Eine Reaktion auf AfD und Pegida. Den ersten Albumtitel "No!", hat Zoghlami nach der Kölner Sylvesternacht 2015 geschrieben. Es ist eine klare Positionierung gegen Rassismus und Diskriminierung. Zwar ist es für ihn "cooler, zu etwas Positivem als zu etwas Negativem Nein zu sagen." Aber es gäbe auch "Grenzen, wo man sagen muss, es geht gar nicht klar." Für Zoghlami habe gerade Musik "die große Kraft, eine Gemeinschaft zu stärken und Energien freizusetzen und zu unterstützen." Nichts anderes haben sie vor, wenn sie nun in den Forst fahren, um dort zu spielen.
    Sehr viele Emotionen im Protestcamp
    Wir laufen über das Camp am Waldrand. Vorbei an Polizeiwagen, geradeaus auf eine selbstgebaute Feldküche zu, links daneben: ein Getränkelager mit Vertrauenskasse auf Spendenbasis. Weiter hinten ist das größte Zelt, wo die Band von einem älteren Mann mit durchweichten Klamotten und zotteligen Haaren begrüßt wird: "Lutz Straßenroller. Ich mach hier das Band Booking. Ich hätte euch heute auch gerne im Wald gehabt."
    Während die Band mit dem Technik-Team aufbaut, erzählt der Booker mit dem Künstlernamen Lutz Straßenroller, von einem Vorfall im Laufe des Tages, bei dem die Polizei mit einem Schaufelbagger auf eine Barrikade gefahren sei. "Da lagen wohl noch Leute drin und man hatte Angst, dass der Bagger runtergeht und auf dieses Holz knallt", so Straßenroller. "Hier sind sehr viele Emotionen vor Ort. Von Freude, über Weinen, über Kreischen, über Scheiße schreien." Und zur Band gewannt: "Umso wichtiger, dass wir hier auch ein bisschen Kulturprogramm haben und dass ihr uns unterstützt, dass finde ich echt gut."
    Beim Soundcheck bricht die Dunkelheit ein. Nach und nach kommen mehr und mehr Aktivistinnen und Aktivisten aus dem Wald und versammeln sich vorm und im Zelt. Es riecht nach Moos, regendurchweichten Socken und dem Schweiß derer, die vor kurzem noch vor der Polizei weggerannt sind. Ein akkubetriebenes LED-Licht und ein paar Kerzen strahlen die Band an, die in einer Reihe auf der Bühne steht.
    Avi Schneider an der Mandoline, Bläser Max von Einem und Sänger Souffian Zoghlami am Standschlagzeug in einem rötlich beleuchteten Bierzelt
    Die Folk-Band Bukahara eng gedrängt im Protestcamp. (Unger/Deutschlandradio)
    Mit einem anfänglichen Schunkeln - dem kurzen Kennenlernen - schaffen es Bukahara, ihr Publikum da abzuholen, wo es gerade ist. Auffällig auch, wie schnell sich Geiger Avi Schneider und der Bläser Max von Einem die Bälle zuspielen. Dann tauscht Ahmet Eid seinen Kontrabass gegen eine Darbuka-Trommel. Es ist eines der wenigen Cover der Band mit dem Titel "Wein a Rammalah", ein 70er-Jahre-Song, den Eid mit seiner Kindheit im West Jordanland verbindet.
    Nach kurzer Zeit sind alle müden Beine wieder in Bewegung und es wird sogar auf Arabisch mitgesungen. Gegen Ende spielen sie einen neuen Song, bei dem sich ein richtiger Beatles-Moment einstellt, als Eid und von Einem sich von beiden Seiten zu Zoghlami ans einzige Mikrofon drängen. Die vier haben eine unglaublich feinfühlige Kommunikation. Der Song, das wird mir nun klar, entsteht jetzt, in diesem Moment, wird auf der Bühne weiterkomponiert. Das Publikum wird sogar gesanglich ins Songwriting eingebunden.
    "Man braucht kein Lagerfeuer mehr, man braucht nur Bukahara", sagt einer, der sich links von mir eingehakt hat. Und bevor die Band die Bühne verlassen kann verwandeln sich die "Hambi bleibt!"-Rufe in ein frenetisches "Buka bleibt!"
    Im Oktober und November ist die Band mit ihrem dritten Album auf Tour, u.a. mit Jamila & The Other Heroes aus Berlin.