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Bulgarien
Arbeit, die Familien trennt

In Bulgarien sind Löhne oft zu niedrig, um eine Familie zu ernähren, geschweige denn, den Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Viele Mütter oder Väter gehen notgedrungen ins Ausland, um dort für mehr Lohn die Familie zu unterstützen.

Von Simone Böcker | 26.03.2014
    Ein Bus mit einem Schild, das die Stationen in Österreich und Deutschland zeigt. In Sofia nutzen viele Arbeitsmigranten Busse.
    In der Busstation von Sofia: Viele Arbeitsmigranten verlassen ihre Familien oft monatelang. (dpa / Vassil Donev)
    Valeri Todorov packt ein Stück Schweinefleisch aus der Tasche - frisch geschlachtet. Dann holt er Kartoffeln und Zwiebeln aus dem Vorratsschrank seiner kleinen Küche und fängt an, das Abendessen für sich und seine beiden Kinder vorzubereiten. Der Tag war anstrengend. Harte Arbeit ist der gelernte Werkzeugmacher gewohnt, doch viel verdient hat er nie. Seine Frau war Näherin, bis sie sich vor zehn Jahren entschied, nach Italien zu gehen, um dort in der Altenpflege zu arbeiten.
    "Sie hat gesagt, es sei sinnlos, sich hier so abzumühen. Fast zehn Stunden am Tag musste sie arbeiten, auch am Samstag, und am Ende bekam sie dann 175 Leva, also nicht mal 100 Euro. Die Kinder hatten sowieso schon kaum noch etwas von ihrer Mutter, weil sie pausenlos arbeitete. Wo gibt es das sonst noch?"
    "Jedem Kind fehlt seine Mutter"
    Tochter Kamelia kommt in die Küche. Sie ist mittlerweile 25, hat studiert und dann eine Arbeit in ihrem Heimatort gefunden. Seitdem lebt sie wieder beim Vater. Kamelia war 15 Jahre alt, als die Mutter die Familie verließ.
    "Die meisten Eltern der Familien in meinem Viertel waren im Ausland. Und jedem Kind fehlte seine Mutter. Das ist schwer, aber man gewöhnt sich daran. Auch wenn es natürlich überhaupt nicht schön ist, sich daran zu gewöhnen. Aber für uns war das normal."
    Valeri legt die geschnittenen Kartoffeln zusammen mit dem Fleisch und den Zwiebeln in eine Auflaufform und schiebt sie in den Ofen. Anfangs war seine Frau nur alle drei Monate nach Italien gefahren, doch wegen der hohen Kosten blieb sie schließlich ganz dort, für ein Gehalt von 450 Euro im Monat.
    "Ich war Mutter und Vater in einem. Wenn ich nach Hause kam, dann hab ich gekocht, Hausaufgaben mit ihnen gemacht, den Ofen angefeuert. Am Morgen musste ich sie in die Schule bringen und dann schnell zur Arbeit. Ich habe funktioniert wie ein Soldat. Man erledigt einfach eins nach dem anderen, ohne Zeit zu haben, über andere Dinge nachzudenken."
    "Man muss alles in Kauf nehmen, damit es den Kindern besser geht"
    Richtig schwer wurde es, als auch Sohn Robert mit dem Studium in Sofia begann.
    "Für mich ist das eigentlich sinnlos. Auf 130 Euro pro Semester kommen allein die Studiengebühren für meinen Sohn. Man versucht, alles zu bezahlen, aber am Ende hat man weder Geld noch Familie. Aber so ist das. Man muss alles in Kauf nehmen, damit es den Kindern besser geht. Denn Bildung ist wichtig, damit sie eine gute Arbeit finden. Sonst kann man es vergessen."
    Kamelia sitzt auf der Küchenbank und schneidet die Petersilie klein. Bei den Worten des Vaters schüttelt sie den Kopf, denn Bildung allein hilft ja auch nicht viel, wenn die Löhne weiterhin so niedrig bleiben. Und so sind auch die meisten ihrer Studienkollegen schon nicht mehr in Bulgarien.
    "Ich habe bis jetzt das Glück, dass ich überhaupt Arbeit gefunden habe. Ich will hier leben in meiner Heimatstadt. Aber wenn die Situation noch schlechter wird, gehe ich vielleicht auch ins Ausland."
    Das Ausland – das Wort ist in aller Munde, es bedeutet gleichzeitig Fluch und Segen. Es raubt Freunde und Verwandte, und es schenkt einen besseren Lebensstandard. Vor Kurzem erst hat Valeri die Küche renoviert. Auf der Anrichte steht eine italienische Kaffeemaschine, Waschmittel und Olivenöl hat seine Frau beim letzten Besuch mitgebracht. Nur das Gemüse stammt aus dem eigenen Garten. Und die Pilze, die nun in der italienischen Pfanne anbraten, hat er im Wald gesammelt.
    Das Telefon klingelt, Valeris Frau ist am Apparat. Einmal im Jahr kommt sie für einen Monat nach Bulgarien. Den Rest des Jahres wird telefoniert, und zwar täglich.
    "Wie ist das Wetter bei euch?" fragt Valeri. "Hier ist es neblig. Aber es gibt viele Pilze, die sind jetzt perfekt." Es folgen Neuigkeiten von den Kindern. "Uns geht es gut, mach dir keine Sorgen", sagt Valeri am Ende. "Kopf hoch!"
    "Man kann nicht beschreiben, wie man sich fühlt. Diejenigen, die voneinander getrennt sind, haben ständig Sehnsucht: nach der Heimat, nach den Kindern, und sie sind immer in Gedanken woanders. Nur wer das erlebt hat, versteht, was für Opfer man bringt für das Geld und andere Dinge. Das alles nur, damit die Familie irgendwie über die Runden kommt."