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Bulgarien
Engagierte Familien helfen syrischen Flüchtlingen

Seit Griechenland seine Grenzen nach Osten abgeriegelt hat, landen immer mehr Flüchtlinge in Bulgarien. Das verarmte EU-Land, das nie mit großen Flüchtlingszahlen zu tun hatte, traf dieser Ansturm unerwartet. Doch engagierte bulgarische Privatleute unterstützen die Flüchtlinge, so gut es geht.

Von Andrea Rehmsmeier | 04.07.2014
    Ein Zeltcamp für Flüchtlinge in Harmanli, Bulgarien. Zu sehen sind mehrere Kinder und zwei Erwachsene.
    Das Flüchtlingscamp Harmanli in Bulgarien ist für viele syrische Flüchtlinge der erste Eindruck von Europa (Stephan Ozsváth)
    Vor dem Verwaltungstrakt des Camps haben sich Männer versammelt: Flüchtlinge aus Syrien, die nervös auf und ab laufen, rauchen und diskutieren. In der Flüchtlingsunterkunft Harmanli warten sie auf das, was in der Sprache des Asylrechts „Status" genannt wird: eine langfristige Aufenthaltserlaubnis in Bulgarien. Doch mit der Bearbeitung der Verfahren geht es an diesem Tag nicht voran. Die bulgarischen Mitarbeiter der Campverwaltung haben ihre Arbeit einfach eingestellt, erzählt ein Syrer:
    "Ein Fotoapparat ist aus der Verwaltung gestohlen worden. Und jetzt beschuldigen sie uns, die Flüchtlinge. Dabei ist es doch ihr Büro! Wir dürfen das Büro noch nicht einmal betreten. Sie bestrafen alle Flüchtlinge -wegen einer Person! Dabei ist der Dieb vielleicht einer von ihnen. Jetzt wollen wir Geld sammeln, um ihnen einen neuen Fotoapparat zu kaufen, damit die Verwaltung ihre Arbeit wieder aufnimmt. Manche glauben sogar, dass sie die Kamera absichtlich versteckt haben, um einen freien Tag zu bekommen."
    Eine blonde Frau bahnt sich den Weg durch die Wartenden, und klopft energisch an die Tür der Verwaltung. Die Männer atmen auf: Die junge Bulgarin gehört zu den ehrenamtlichen Helfern, die die Flüchtlinge unterstützen. Es sind oft Nachbarn oder andere Privatleute, die keiner Hilfsorganisation angehören. Sie vermitteln zwischen den Angestellten und den Bewohnern, sie übersetzen bei Behördengängen, sammeln Spenden. Nur öffentlich über das Engagement berichten - das möchte fast niemand. Die Lehrerin Lidia Staikova weiß, warum. Sie ist eine der wenigen, die sich nicht scheuen, ihren Namen zu nennen:
    "Viele Bulgaren sind nicht besonders glücklich über die Flüchtlinge. Gerade vor ein paar Tagen gab es in einem Dorf in der Nähe Proteste gegen drei Flüchtlingsfamilien, die dort Wohnungen gemietet hatten. Sie mussten wieder ausziehen. Sie sind nicht willkommen. Auch ich bekomme Drohungen. Auf Facebook schreiben mir die Leute Sachen, die ich öffentlich nicht wiederholen möchte. Sie schreiben mir, dass sie die Hooligans auf mich hetzen werden, um mich zu stoppen."
    Mittlerweile versorgt die Armee die Flüchtlinge
    Lidia, eine zierliche Frau mit dunkler Kurzhaarfrisur, verbringt jede Woche zwei Tage in dem Camp. Das tut sie seit dem vergangenen Herbst. Damals, als in der Kleinstadt Harmanli wie aus dem Nichts ein Massenlager für über tausend Flüchtlinge aus dem Boden gestampft wurde, bot sie spontan ihre Hilfe an. Denn Bulgarien war auf den Ansturm nicht vorbereitet. Dass die Flüchtlinge keinen Hungerwinter erlebten, das haben sie auch dem Engagement von Menschen wie Lidia zu verdanken: Sie beantragten Gelder, sammelten Spenden, stellten Speisepläne zusammen und besorgten Fahrzeuge für die Lebensmitteltransporte. Inzwischen ist das nicht mehr nötig: Die bulgarische Armee übernimmt die Versorgung mit ihren Großküchen. Dennoch bleibt für die Freiwilligen mehr als genug zu tun:
    "Manchmal müssen wir selbst herausfinden, was die Leute brauchen. Wenn wir Spenden bekommen, organisieren wir die Verteilung. Bis vor Kurzem habe ich auch Englischunterrichtet. Viele brauchen Hilfe bei der Klärung von Rechtsfragen oder bei der Wohnungssuche. Es gibt gerade so viele andere Probleme, dass ich meinen Englischunterricht eine Weile unterbrechen musste."
    Das Engagement hat allerdings Schule gemacht. Die Campbewohner organisieren den Unterricht mittlerweile selbst. Eine Schiefertafel, Kreide, ein paar wackelige Tische und Bänke - mehr brauchen sie nicht für ihre kleine Privatschule. Maher zum Beispiel war in Syrien Polizist. Heute arbeitet er in Harmanli als Englischlehrer:
    "Als wir hier ankamen, da haben die Kinder im Dreck gespielt. Wir wollten etwas tun - für sie und für uns. Das Rote Kreuz hat uns dieses Lehrerpult zur Verfügung gestellt. Den größten Anteil an diesem wunderbaren Erfolg aber hat Lidia. Sie hat damit angefangen. Sie hat uns wirklich sehr geholfen."