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Bulgarien
Expertenregierung soll Wahlen vorbereiten

Zum zweiten Mal kurz hintereinander soll eine Expertenregierung in Bulgarien Wahlen vorbereiten, nachdem die Regierung zum Rücktritt gezwungen wurde. Nach Jahren politischer Grabenkämpfe und wirtschaftlicher Stagnation gibt es in der Bevölkerung kaum noch Hoffnung auf Besserung.

Von Karla Engelhard | 06.08.2014
    Proteste in der bulgarischen Hauptstadt Sofia gegen die Regierung
    Nach rund 400 Tagen Dauerprotest in Bulgarien ist die Regierung zurückgetreten. (picture alliance / dpa / Vassil Donev)
    Nach rund 400 Tagen Dauerprotesten gegen die Regierung wurden die Demonstranten in Sofia doch noch erhört: Die Regierung musste zurücktreten, das Parlament sich lösen und am 5. Oktober wird wieder gewählt. Der bulgarische Staatspräsident Rossen Plewneliew hat zum zweiten Mal in seiner kurzen Amtszeit eine Expertenregierung einsetzten müssen, doch er sieht Fortschritte:
    "Die bulgarische Bürgergesellschaft ist für mich der echte Held. Sie hat gezeigt, dass sie das Niveau der politischen Klasse weit überholt und eine unfehlbare Sensibilität für alles Unfaire und Hinterhältige entwickelt hat. Die Bürgergesellschaft ist in Bulgarien der echte Garant für eine europäische, demokratische Entwicklung des Landes."
    Rücktritt der Regierung Borrissow
    Im Frühjahr 2013 kam es zu blutigen Ausschreitungen bei Massenprotesten gegen zu hohe Stromrechnungen und der populistische Ministerpräsident Boiko Borissow sah sich zum Rücktritt gezwungen. Doch der Chef der konservativen Partei "Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens", kurz GERB, nahm einen neuen Anlauf.
    Bei den darauffolgenden Parlamentswahlen Ende Mai 2013 siegte seine Partei erneut. Doch deren mangelnde Koalitionsfähigkeit verhinderte ein Comeback von Borissow als Ministerpräsident. GERB und er gingen in die Opposition.
    Minderheitsregierung scheiterte an Personalentscheidung
    Die Sozialdemokraten bildeten mit der Partei der bulgarischen Türken eine Minderheitenregierung, die jedoch von der radikal-nationalistischen Partei Ataka abhängig war. Das Kabinett regierte nur 420 Tage. Schon am Anfang sorgte eine Personalentscheidung für das vorzeitige Ende des Vertrauens der Bürger in diese Regierung.
    Unter Ministerpräsident Plamen Orescharski versuchte das Kabinett, dem 33-jährigen millionenschweren Medienmogul Deljan Peewski das Amt des Geheimdienstchefs zuzuschanzen. Heftige Straßenproteste verhinderten diesen offensichtlichen Ämterkauf - ein seltenes Erfolgserlebnis der bulgarischen Bürgergesellschaft.
    Rücktritt der Regierung Orescharski
    Die Regierung Orescharski blieb seitdem erfolglos, ihr Rücktritt war nur noch eine Frage der Zeit. Kaum Zeit hat nun die eingesetzte Übergangsregierung aus Experten, wie Georgi Blisnaschki, Professor für Verfassungsrecht, Menschenrechte und Unterstützer der Straßenproteste:
    "In der Zeit starker politischer Auseinandersetzungen ist es unser Ziel mehr Stabilität, Transparenz und mehr Dialog beim Regieren zu erreichen. In dieser Krisensituation sollten die Verfassung und unsere Gesetze Ausgangspunkt für den Wiederaufbau der gesellschaftlichen Moral und des Vertrauens der Bürger in die staatlichen Institutionen sein."
    Wenig Optimismus in der Bevölkerung
    In den kommenden, knapp zwei Monaten muss die Übergangsregierung die Parlamentswahlen vorbereiten. Auf den Straßen von Sofia sieht man ihnen mit wenig Optimismus entgegen:
    "Faire Wahlen sind sicher wichtig, aber wir haben mittlerweile so viele Wahlen. Was das kostet! Es ist ein Kommen und Gehen, ohne Fortschritt."
    "Ich sehe überhaupt keine Zukunft für die jungen Leute bei uns, egal wer regiert. Die Zukunft der kommenden Generation liegt nicht hier, sie wird gezwungen wegzugehen, daran ändert auch eine Expertenregierung nichts, die sowieso keine Befugnisse hat."
    2007 trat die Republik Bulgarien der Europäischen Union bei, damals war das Balkanland das ärmste EU-Mitgliedsland. Sieben Jahre danach hat sich daran nichts geändert.