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Bulgarien
Kleinbauern kämpfen ums Überleben

Fast 400.000 Bauern gibt es in Bulgarien. Die meisten von ihnen sind Kleinproduzenten mit ein bisschen Land, ein paar Kühen oder Schafen. Doch für den bulgarischen Staat existieren sie praktisch nicht. Es fehlen Gesetze, die auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind. Nun haben sich einige Kleinbauern zu einem Verein zusammengeschlossen.

Von Simone Böcker | 15.04.2014
    Frisch geerntete Cocktailtomaten und junge Möhren als Bio-Erzeugnis
    Auf eine Unterstützung durch den Staat warten bulgarische Kleinbauern bislang vergeblich. (picture alliance / dpa / Wolfram Steinberg)
    Vessi Mutaftshiiska steht in ihrer Großküche und füllt warme Milch in Gläser, in ein paar Stunden wird daraus Joghurt werden. Ein zu 100 Prozent natürliches Produkt, ohne Zusatz- oder Konservierungsstoffe. Mit zehn Kühen und 150 Schafen zählt der Familienbetrieb in der Nähe von Sofia zu den Kleinproduzenten des Landes. Eine Größe, die eigentlich für das Auskommen der Familie reichen würde, wäre da nicht ein Problem:
    "Unsere Produktion ist offiziell illegal! Weil die gesetzlichen Auflagen auf die großen Molkereien mit einem Verbrauch von zwei bis drei Tonnen Milch am Tag ausgerichtet sind. Wir kommen aber nur auf 100 bis 200 Liter am Tag, und in die geforderte Ausstattung zu investieren, ist viel zu teuer für uns, wir brauchen sie auch überhaupt nicht. Die Anforderungen sind einfach nicht zugeschnitten auf Kleinproduzenten wie uns."
    Das hat die bulgarische Regierung versäumt, als sie mit dem Beitritt zur Europäischen Union auch die EU-Gesetzgebung übernommen hat. Dadurch dürften Kleinproduzenten wie die Familie Mutaftschiiska ihre Produkte eigentlich gar nicht außerhalb ihres Hofgeländes verkaufen, viele tun es dennoch – oft auch mit Wissen der Behörden, sagt der Landwirtschaftsexperte Magardich
    "Das ist das generelle Problem: Der Staat tut so, als gäbe es diese Produzenten nicht, und die Produzenten tun so, als gäbe es den Staat nicht. Das Ganze ist ein Teufelskreis, der weder für den Staat noch für die Kleinbauern gut ist."
    Kleinbauern fordern ihnen angepasste Gesetzgebung
    Magardich Huliyan ist Mitinitiator eines Vereins, zu dem sich die Kleinbauern nun zusammengeschlossen haben. Sie fordern eine Gesetzgebung, die auch ihren Bedürfnissen gerecht wird. Denn sie leiden nicht nur unter der EU-Gesetzgebung, sondern auch unter der Subventionspolitik der Europäischen Union. Da vor allem Obst- und Gemüsebauern in anderen Mitgliedsländern höhere Subventionen erhalten als bulgarische, werden 90 Prozent aller Obst- und Gemüsesorten mittlerweile aus dem Ausland importiert.
    "Unsere Betriebe sind allein zu klein, sie müssten sich organisieren, sich zusammen tun, gemeinsam Marketing betreiben, gemeinsam planen, damit sie konkurrenzfähig werden. Und: Der Staat müsste Prioritäten setzen und die lokalen Produzenten unterstützen."
    Doch auf eine Unterstützung durch den Staat warten die heimischen Produzenten bislang vergeblich. Die Konsequenzen sind bereits spürbar, erklärt Dessislava Dimitrova von der Slow Food Bewegung in Bulgarien.
    "Bulgarien verliert seine Lebensmittelsouveränität und traditionelle Lebensmittel verschwinden. Wir verschließen so unsere Augen vor der gesamten kulinarischen Vielfalt des Landes, die einen wichtigen Teil unserer kulturellen Identität darstellt. Wir importieren stattdessen lieber Käse aus Holland, Tomaten aus der Türkei oder Zwiebeln aus Ägypten."
    Ein Hoffnungsschimmer: Die Nachfrage nach handgemachten Produkten steigt auch in Bulgarien – trotz aller Verbote. Seit Herbst vergangenen Jahres gibt es in Sofia einmal wöchentlich einen Bauernmarkt, auf dem Kleinbauern ihre Produkte direkt verkaufen. Auch Vessi und ihr Mann Rossen haben hier einen Stand, obwohl sie das eigentlich gar nicht dürften.
    "Ich verstehe, wie wichtig Hygienebestimmungen bei der Milch- und Fleischverarbeitung sind. Aber man darf nicht alle Kleinproduzenten über einen Kamm scheren. Nicht alle verstoßen gegen die Vorschriften. Wir wollen jetzt mit unserem Verein erreichen, dass diese EU-Gesetze an unsere Bedürfnisse angepasst werden. Das ist wichtig für uns."