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BUND-Konferenz
Mehr Aufklärung über Risiken durch Atomkraftnutzung nötig

Vor 30 Jahren ereignete sich die Katastrophe in Tschernobyl, vor fünf Jahren jene von Fukushima. Das Unglück in Japan veränderte die offizielle Haltung zur Atomkraft radikal und abrupt. Anlässlich dieser Jahrestage hat der Bund für Umwelt und Schutz (BUND) in Berlin die Risiken der Atomkraftnutzung auf einer Konferenz diskutiert und plädiert für mehr Aufklärung und Berichterstattung darüber.

Von Daniela Siebert | 24.03.2016
    Das Atomkraftwerk Tihange
    Das Atomkraftwerk Tihange, 70 Kilometer südwestlich von Aachen (Olivier Hoslet, dpa picture-alliance)
    "Jede Menge Radioaktivität, ob groß oder klein, ist für Menschenleben tödlich. Das ist eine Grundbasis, von der man ausgehen sollte", sagt Irina Gruschewaja. Die weißrussische Germanistikprofessorin war eine der ersten, die aus dem GAU von Tschernobyl Konsequenzen gezogen hat. Sie gründete eine Hilfsorganisation, die den Kindern aus den verstrahlten Gebieten Erholungsaufenthalte im Ausland ermöglichte. Fast eine Million Mal hat das inzwischen geklappt. Über die Jahre hat Irina Gruschewaja auch in ihrem persönlichen Umfeld immer mehr tödliche Krankheitsverläufe beobachtet, die sie auf die Atomkatastrophe 1986 zurückführt.
    Leukämien, Ausscheidungsorgane – Krebsarten, ganz verschiedene, Nierentumoren, sehr viele Gehirntumoren, Schilddrüsentumoren bei den Kindern, Bauchspeicheldrüse- und Magenkrebs, unter meinen Freundinnen waren auch einige Fälle mit Lungenkrebs, Brustkrebs, weibliche Organe Krebs, Herzversagen, Kreislaufstörungen und dann auch schließlich Tod dadurch.
    Dass Deutschland nun ganz aus der Atomenergie aussteigen wird, findet sie toll, und sie hält das für den einzig richtigen Weg. Dennoch gebe es auch nach Fukushima immer noch viele einflussreiche Kräfte in Wirtschaft und Politik, die diese Energiequelle als ungefährlich und beherrschbar darstellten, kritisiert sie, und die die Jahrtausende langen Nachwirkungen vertuschten. Zu diesen Kräften zählt Irina Gruschewaja auch die Internationale Atomenergieagentur. Und selbst in ihrer Heimat Weißrussland hätten, trotz der gravierenden Auswirkungen durch den GAU 1986, die Mächtigen das Problem immer noch nicht erkannt.
    "Das ist so auch in diesem Rahmen sehr exemplarisch, dass in meinem Land, trotz der verheerenden Folgen der Katastrophe, die nicht mal so richtig alle benannt wurden, ein Atomkraftwerk gebaut wird, in Ostrovets, an der Grenze zu Litauen, mit dem russischen Geld. Trotz der Proteste ist der Bau in vollem Gange."
    Japan und die Atomkraftkritik
    Auch Japan fährt seine Atomkraftwerke wieder hoch. Naoto Kan findet das nicht gut. Der ehemalige japanische Ministerpräsident wurde erst durch die Katastrophe in Fukushima zum Atomkraftkritiker. Er hat sogar ein Buch über seine Ohnmacht geschrieben, die er 2011 als amtierender Staatschef empfand, und er hat auch persönliche Fehlentscheidungen eingeräumt. Auch heute in Berlin auf der BUND-Konferenz dürfte Naoto Kan seinen Appell erneuern, Atomkraftwerke weltweit abzuschaffen.
    Hubert Weiger ist erst vor wenigen Tagen von einer Japanreise zurückgekehrt. Der Vorsitzende des BUND hat sich vor Ort einen Eindruck von der Situation rund um die havarierten Reaktorblöcke verschafft und nach der Stimmung in der japanischen Gesellschaft gefragt. Die Bevölkerung sei zwar überwiegend gegen die Nutzung der Atomenergie, so sein Eindruck, doch die Regierungen der Präfekturen folgten einem anderen Kurs. Das vorübergehende Abschalten aller Atomkraftwerke nach der Katastrophe ist in Japan nicht mehr aktuell.
    Zwei Atomkraftwerke sind wieder gegen massiven Bevölkerungswiderstand ans Netz gegangen, zwei Weitere sind in diesem Jahr dazu gekommen, die mussten aber jetzt vom Netz gehen aufgrund eines Gerichtsurteils, weil es nämlich festgestellt hat, dass die Sicherheitserfordernisse keineswegs erfüllt sind, Stichwort vor allem Erdbebensicherheit, und deswegen laufen im Moment von 54 früheren Reaktoren noch zwei.
    Noch gibt es zahlreiche deutsche Kernkraftwerke
    Auch in Deutschland laufen noch zahlreiche Kernkraftwerke. Deren Sicherheit hält Hubert Weiger nicht für ausreichend, von der noch immer ungeklärten Frage der Atommüllendlagerung mal ganz abgesehen.
    "Wir halten die Lage für kritisch und fordern deshalb ja auch den sofortigen Ausstieg und nicht erst den Ausstieg bis 2021/22, denn seit dem ersten Atomausstiegsbeschluss 2002 sind dann absolut notwendige Nachrüstungsmaßnahmen nicht durchgeführt worden, man hat hier die Atomkraftwerksbetreiber von Milliardenaufwendungen quasi befreit, wir haben also damit keine Sicherheit, auch gegen Terrorangriffe, gegen Flugzeugabstürze der neuen Kategorie, und von daher ist es unverantwortlich, die Atomkraftwerke bei uns weiter zu betreiben."
    Die Fachleute hier in Berlin sind sich einig, dass nur noch mehr Aufklärung und Berichterstattung über die Risiken und Folgen der Nutzung von Atomkraft zu einem weltweiten Ausstieg aus dieser Form der Energiegewinnung führen könne. Und Deutschland? Die Energiewende im Industrieland wird aufmerksam beobachtet: Wird sie gelingen?