Donnerstag, 25. April 2024

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Bund-Länder-Beratungen
Stamp (FDP): Wir sollten eine Corona-Notbremse verabreden

Bund und Länder sollten jetzt einen Plan vorbereiten, wie man auf steigende Infektionszahlen ohne lange Beratungen reagieren könne, sagte Joachim Stamp (FDP), stellvertretender Ministerpräsident von NRW, im Dlf. Aktuell seien zwar keine Verschärfungen nötig, das könne sich wegen der Mutationen aber ändern.

Joachim Stamp im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 19.01.2021
Joachim Stamp (FDP), Kinder- und Familienminister und stellvertretender Ministerpräsident von NRW
Bundeskanzlerin Merkel und die Regierungschefs der Länder wollen am Dienstag (19. Januar) über eine mögliche Verschärfung der Lockdown-Regeln beraten (picture alliance/dpa/Rolf Vennenbernd)
"Ich glaube es ist jetzt sinnvoll, die Maßnahmen die wir getroffen haben, noch eine Weile durchzuhalten", sagte Joachim Stamp im Dlf. Die Infektionsdynamik habe zwar abgenommen, doch die Zahlen seien weiterhin zu hoch und man müsse die Warnungen vor der Mutation ernst nehmen. Deutliche Verschärfungen seien aktuell aber nicht nötig. Man könne allerdings Details nachbessern, beispielsweise FFP2-Masken im Nahverkehr anordnen.
Zudem sollten die Länder mit dem Bund eine Corona-Notbremse vereinbaren. Sie sollten also jetzt bereits festlegen, wie man reagiert, falls die Infektionsdynamik wieder an Fahrt gewinnt. Denn dann könne man schnell reagieren statt lange beraten zu müssen.
Stamp mahnte auch an, dass man die Maßnahmen so schnell wie möglich beenden müsse, das gelte insbesondere für die Schulschließungen. Man müsse sehen, dass man den Kindern schnell wieder Präsenzangebote in der Schule ermögliche. Grundlegendere Öffnungen seien aber erst möglich, wenn sichergestellt sei dass es zu keiner Überlastung in der Intensivmedizin mehr kommen könne.
33D-Modell des Coronavirus SARS-CoV2

"Maßnahmen, die wir getroffen haben, noch eine Weile durchhalten"

Tobias Armbrüster: Herr Stamp, was geben Sie Herrn Laschet heute mit auf den Weg bei diesen Beratungen?
Joachim Stamp: Wir sind im permanenten Austausch. Wir werden auch nachher noch mal sprechen. Ich glaube, was das Wichtigste ist, ist, dass wir sehr konzentriert und sachlich mit der Situation umgehen.
Wir haben nach wie vor die Situation, dass die Zahlen zu hoch sind. Allerdings hat die Infektionsdynamik abgenommen. Wir haben gleichzeitig die Warnung von Wissenschaftlern vor der Mutation; das müssen wir auch ernst nehmen. Ich glaube, es ist jetzt sinnvoll, die Maßnahmen, die wir getroffen haben, noch eine Weile durchzuhalten und an der einen oder anderen Stelle auch Verbesserungen noch durchzuführen, beispielsweise was den öffentlichen Nahverkehr angeht – im Vorbericht kam es ja gerade –, die Frage der FFP2-Masken, die Fragen, wie wir auch dadurch, dass mehr Menschen im Homeoffice sind, den öffentlichen Nahverkehr entlasten und insgesamt die Begegnungen reduzieren. Das sind sicherlich noch mal Punkte, wo nachgeschärft wird.
Ich glaube aber nicht, dass es zu drastischen Maßnahmen heute kommen wird. Ich glaube aber, dass es sinnvoll wäre, dass wir eine Art Corona-Notbremse verabreden sollten, dass Bund und Länder sich jetzt schon darauf verständigen, was man für einen Notfall vorsehen könnte, für den Fall, dass es noch einmal zu explodierenden Zahlen kommt, damit man dann nicht in lange Vorberatungen gehen muss, sondern dass man dann eine Regelung hat, die binnen Stunden bundesweit auch umgesetzt werden könnte.

"Kindern so schnell wie möglich ihre Bildungschancen ermöglichen"

Armbrüster: Aber zunächst mal, Herr Stamp: Das heißt, eine Fortsetzung des Lockdowns für weitere zwei Wochen, sind jetzt ja im Gespräch, bis Mitte Februar, das geht für Sie völlig in Ordnung?
Stamp: Ich glaube, dass wir im Moment jetzt noch etwas diese Maßnahmen fortsetzen müssen. Wenn die Entwicklung deutlich nach unten geht, dann kann man vielleicht auch schon das eine oder andere etwas früher öffnen. Ich denke da vor allem an den Bildungsbereich. Gerade was die Schulen angeht müssen wir sehen, dass wir den Kindern so schnell wie möglich ihre Bildungschancen ermöglichen und so viel Präsenzangebote dann auch in der Schule wieder ermöglichen, so schnell es eben geht.
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Armbrüster: Ich frage das auch deshalb so explizit, weil aus Ihrer Partei, aus der FDP ja immer wieder Forderungen kommen, dass man das gesamte Infektionsgeschehen in Deutschland doch bitte etwas differenzierter sehen sollte. Wir haben zum Beispiel gestern hier bei uns im Programm Ihre Parteikollegin Christine Aschenberg-Dugnus aus dem Bundestag gehabt, die sich dafür ausgesprochen hat, stärker auf Corona-Hotspots zu achten und nicht alle Länder, alle Städte und Landkreise über den gleichen Kamm zu scheren. – Das heißt, das sehen Sie anders? Der flächendeckende Lockdown ist in Ordnung?
Stamp: Nein, ich sehe das schon so, dass man Dinge auch regional betrachten muss. Allerdings haben Sie mich auch gefragt, wie meine Erwartungen sind, und es ist auch so, dass es hier eine Bund-Länder-Koordination gibt mit dieser Konferenz der Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin. Ob das in jedem Fall immer richtig ist, sei dahingestellt, aber Sie haben mich nach den Erwartungen gefragt und deswegen glaube ich, dass das zumindest mal bis Mitte Februar fortgesetzt werden wird.

"Landesregierungen durchaus etwas mehr Souveränität geben"

Armbrüster: Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Dann frage ich Sie mal nach Ihrer Meinung. Meinen Sie, ist das der richtige Weg?
Stamp: Ich glaube schon, dass wir in der Gesamtstrategie es auch ermöglichen sollten, dass die Gebiete, die bereits größere Fortschritte gemacht haben bei der Pandemie-Bekämpfung, auch mehr eigene Souveränität im Umgang bekommen sollten. Es ist völlig klar, dass Sie mit einer Situation anders umgehen können, wenn Sie vor Ort ein geringes Infektionsgeschehen haben, als in den Bereichen, wo es einen Hotspot gibt, wie das beispielsweise vor allem im Südosten der Fall ist, und ich glaube, dass man hier auch den Landesregierungen durchaus etwas mehr Souveränität geben kann.
Aber was viel wichtiger ist: Wir müssen jetzt vorankommen beim Impfen. Es ist eben bei Ihnen auch angesprochen worden das Thema der Schnelltests. Ich denke, in dem Moment, wo wir hier eine andere Qualität zur Verfügung gestellt bekommen, andere Mengen auch vom Bund zur Verfügung gestellt bekommen an Schnelltests, können wir noch einmal souveräner mit der Situation umgehen. Wir müssen die Pflegeheime noch konsequenter schützen.
Dann ist angesprochen worden, FFP2-Maskenpflicht im ÖPNV. Ich denke, dass hier auch noch mal mehr Sicherheit und weniger Ansteckung ermöglicht werden kann. Das sind relativ milde Mittel. Ich glaube nicht, dass wir jetzt Grundrechtsbeschränkungen weiter forcieren dürfen, sondern wie gesagt, ich glaube, dass es sinnvoller ist, für den Tag X, für den Fall, nur für den Notfall, jetzt Maßnahmen zu verabreden, die dann scharfgestellt werden könnten, damit es dann nicht für den Fall, dass die Infektionsentwicklung noch mal stark anzieht, dass es dann erst wieder tagelange Beratungen geben muss.
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Armbrüster: Was für Schritte stellen Sie sich für diesen Fall vor?
Stamp: Für diesen Fall sind ja bestimmte Maßnahmen jetzt schon in der Diskussion gewesen wie beispielsweise Ausgangssperren oder die Einschränkungen von Bewegungsfreiheiten oder völlige Schließung von Schulen und Kitas. Ich glaube aber, dass das zum jetzigen Zeitpunkt nicht vertretbar ist, weil wir derzeit eine rückläufige Infektionsdynamik haben. Aber für den Fall – und das ist die Warnung der Wissenschaftler –, dass die Dynamik auch urplötzlich wieder anziehen könnte, sollte man für diesen Tag gerüstet sein.

"Wirtschaftshilfen unkomplizierter und unbürokratischer regeln"

Armbrüster: Herr Stamp, wir hören jetzt aus Ihrer Partei, aus der FDP auch immer wieder, dass auch der Bundestag doch bei diesen ganzen Sachen bitteschön mit entscheiden soll. Stehen Sie hinter so einer Forderung?
Stamp: Ich habe das ja eben angedeutet, dass das kein Dauerzustand sein kann, dass wir immer nur ein Gremium haben, was in der Verfassung eigentlich gar nicht vorgesehen ist, aus Ministerpräsidenten und Bundeskanzlerin, die über sämtliche Maßnahmen beschließen. Grundsätzlich ist es auch für die Akzeptanz in der Bevölkerung wichtig, dass Maßnahmen, die grundlegende Richtung der Maßnahmen auch parlamentarisch debattiert wird. Deswegen halte ich diese Forderung für absolut richtig.
Was aber auch noch mal wichtig ist, das möchte ich ausdrücklich betonen, auch für das Vertrauen in der Bevölkerung, ist, dass die Gruppen, die jetzt hier unter dem Lockdown am meisten leiden, weil sie ihre Berufe nicht ausüben können, dass an dieser Stelle die Wirtschaftshilfen unkomplizierter und unbürokratischer und vor allem schneller geregelt werden. Ich glaube, dass die Bundesregierung viel Vertrauen verloren hat dadurch, dass die Wirtschaftshilfen, die schon für November eigentlich zugesagt waren, sich so lange verzögert haben und jetzt viele Einzelhändler beispielsweise um ihre Existenz bangen. Wenn jetzt der Handel auf der ganzen Winterkollektion sitzen bleibt, dann werden wir viele, viele Existenzen vernichten, wenn hier nicht entsprechend geholfen wird.
Armbrüster: Na ja. – Aber, Herr Stamp, da sitzen Sie ja als führender Landespolitiker mit an einem Schalthebel der Entscheidungen. Können Sie da nicht etwas machen, wenn Sie den Eindruck haben, dass das zu langsam läuft?
Stamp: Nein! Für die Wirtschaftshilfen hat sich ja der Bund zuständig erklärt, und das ist ja auch eine Verabredung gewesen, und da liegt die Verantwortung bei Bundeswirtschaftsminister Altmaier und beim Bundesfinanzminister Scholz.
Armbrüster: Und wenn sich da die NRW-Landesregierung bei dem meldet, dann sagt der, sorry, das dauert halt so lange?
Stamp: Wir machen Druck und deswegen haben wir auch – Sie hatten mich gefragt nach den Erwartungen, die ich an meinen Ministerpräsidenten für die Gespräche mitgegeben habe. Wir haben auch sehr klargemacht, dass hier noch mal bei den Wirtschaftshilfen klar nachjustiert werden muss, dass hier die Abschlagszahlungen zumindest so gestaltet werden, dass hier nicht große Teile der Gesellschaft unter die Räder kommen.

"Bürgerinnen und Bürger haben überwiegend großartig mitgezogen"

Armbrüster: Herr Stamp, Sie haben schon das Stichwort Akzeptanz genannt. Was glauben Sie eigentlich, wie lange akzeptiert die Bevölkerung in Deutschland diese Maßnahmen, die da beschlossen werden? Wie lange sind die Menschen bereit, sich einfach so daran zu halten?
Stamp: Zunächst mal muss man ja sagen, dass die Bürgerinnen und Bürger überwiegend großartig mitgezogen haben in diesem vergangenen Jahr. Das sind ja Härten gewesen, gerade für die Familien, gerade auch für diejenigen, die ihre Berufe nicht ausüben können, und das kann man natürlich nicht unendlich fortsetzen. Aber umso wichtiger ist es, dass wir so schnell wie möglich bei den Bereichen vorankommen, wo wir die Risikopersonen schützen, wo wir sicherstellen können, dass wir die Intensivmedizin nicht überfordern. Denn wenn das sichergestellt ist, dann kann auch geöffnet werden.
Ich glaube, dass es viel besser wäre, wenn wir einen Endpunkt nennen könnten. Nur das Problem ist, dass es für diese Pandemie kein Drehbuch gibt. Die einzige Chance, die wir haben, ist, so schnell wie möglich sicherzustellen, dass es zu keiner Überforderung der Intensivmedizin mehr kommen kann. Dann kann geöffnet werden und dann, denke ich, wird das gesellschaftliche Leben sich auch Stück für Stück normalisieren.
Armbrüster: Schulöffnungen – sehen Sie die auch bald?
Stamp: Ich denke, dass da im Februar dringend etwas passieren muss. Wir können die Kinder nicht dauerhaft von der Bildung fernhalten.
Armbrüster: Das heißt, das können wir jetzt schon sagen, die Schulschließungen werden Bestand haben über Ende Januar hinaus?
Stamp: Ich gehe davon aus, dass die derzeitigen Maßnahmen jetzt bis Mitte Februar verlängert werden. Aber ich gehe auch umgekehrt davon aus, wenn sich der Trend verstetigt, dass die Infektionsdynamik abnimmt, dass wir dann auch möglicherweise schon vor Mitte Februar wieder Präsenzanteile in den Schulen ermöglichen können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.