Freitag, 19. April 2024

Archiv


Bundesanwaltschaft übernimmt die Akte Oberst Klein

Der Luftschlag in Kundus, angeordnet durch den Bundeswehr-Oberst Georg Klein, wird jetzt auf höchster gerichtlicher Ebene geklärt. Es geht um die juristisch entscheidende Frage, ob in Afghanistan "ein bewaffneter Konflikt im Sinne des Völkerstrafgesetzbuches vorliegt". Verteidigungsminister zu Guttenberg bewertet die Anordnung als "angemessen".

06.11.2009
    Jasper Barenberg: Zwei Staatsanwälte haben sich seit Wochen mit dem Bombardement der beiden Tanklastwagen in Afghanistan beschäftigt und mit der Frage, ob Oberst Georg Klein sich möglicherweise strafbar gemacht hat, als er den Lufteinsatz befahl. Für heute war eine Entscheidung darüber angekündigt, ob gegen den Bundeswehrsoldaten ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird. Stattdessen hat die Behörde den Fall nun aber an die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe abgegeben. Oberstaatsanwalt Wolfgang Klein.

    O-Ton Wolfgang Klein: "Im Ergebnis unserer Prüfung, bei der auch der ISAF-Bericht berücksichtigt worden ist, können wir nicht mehr ausschließen, dass dort ein bewaffneter Konflikt im Sinne des Völkerstrafgesetzbuches vorliegt, und diese Zuständigkeit für die Prüfung des Völkerstrafgesetzbuches liegt bei der Bundesanwaltschaft. Der gesamte Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan, wenn es sich dabei um einen bloßen Unterstützungseinsatz handelt, ohne dass es dabei zu kriegerischen Konflikten gekommen wäre, dann wären wir weiterhin im Bereich des materiellen Strafrechtes und dann wäre auch die Zuständigkeit bei uns geblieben."

    Barenberg: Die strafrechtliche Bewertung der Bombardierung vor gut zwei Monaten ist die eine Sache; die andere ist die politische Bewertung. Eine wichtige Grundlage dafür ist der Bericht, den die NATO dazu erstellt hat. Der ist über 500 Seiten stark und als "geheim" eingestuft. Öffentlich hat vergangene Woche der oberste Soldat der Bundeswehr, Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan, das Verhalten von Oberst Klein verteidigt. Ob Verteidigungsminister zu Guttenberg das auch so sieht, will er heute noch erläutern.
    Im Studio hier im Deutschlandfunk begrüße ich Rolf Clement, unseren Experten für Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. Schönen guten Tag, Herr Clement.

    Rolf Clement: Guten Tag, Herr Barenberg.

    Barenberg: Herr Clement, lassen Sie uns über den NATO-Bericht sprechen, den es gibt, der aber als "geheim" eingestuft ist. Es fällt ja auf, dass es unterschiedlichste Bewertungen über das gibt, was mutmaßlich in diesem Bericht steht: zum einen das, was der Generalinspekteur Schneiderhan vergangene Woche gesagt hat, zum anderen den Verweis auf Fehler, die der deutsche Offizier möglicherweise begangen haben könnte oder begangen haben soll. Wie ist das zu erklären, dass es so unterschiedliche Bewertungen gibt?

    Clement: Das eine ist die militärische Bewertung, die der Generalinspekteur vorgenommen hat, keine juristische. Der Generalinspekteur sagt, in der Lage, in der die da in dieser Nacht waren, war es angemessen, so zu reagieren, ich sage mal, weil es natürlich auch keine anderen Möglichkeiten der Bundeswehr gab, diese Tankwagen dauerhaft auszuschalten, von denen sie aus verschiedenen Quellen wussten, dass die möglicherweise für einen Anschlag vorgesehen waren. Die Anschlagsdrohungen gab es. Es gab mehrere Quellen, dass mit Tankwagen da etwas geschehen könnte, die die Bundeswehr aufgeklärt hat. Die Bedrohung war schon so da, dass man in dem Fall was machen musste. Das war der eine Punkt.
    Die zweite Ebene der Diskussion ist eine politische. Dass die Opposition natürlich dieses sehr viel kritischer ansieht und auch die SPD, die jetzt in der Opposition ist, das heute vielleicht kritischer sieht als noch am 4. September, als das passiert ist, wo sie noch in der Regierung mit beteiligt war, das gehört zum politischen Spiel. Es gibt drei Punkte, um die es da geht. Das eine ist – der Kollege Groth hat es gerade schon angesprochen – die Frage, haben die vorher sozusagen der Militärmacht signalisiert, wir machen hier was. Das tut man durch einen Überflug, meistens durch einen Tiefflug. Sie sind drübergeflogen, aber wahrscheinlich – das ist jetzt die Bewertungsfrage: tief genug, oder waren sie zu hoch? War das für die Leute das Signal, hier passiert was, wir müssen darüber wegrennen, oder war es das nicht.
    Das Zweite ist die Frage mit diesen "Troops in contact". Das ist der konkrete Begriff in der NATO-Bestimmung. Müssen die Auge in Auge da stehen, oder reicht die Bedrohung schon insofern, wenn diese Tankwagen wieder flott gemacht worden wären. Dann wären sie in sieben Kilometern am Lager gewesen. Auf diesem Weg hätte es keine Eingriffsmöglichkeiten mehr gegeben. War da also schon Kontakt und es gibt noch nicht ganz gesicherte Informationen, aber zumindest Gerüchte, dass in diesem Bereich die Bestimmung nach dem Fall in Kundus auch geändert worden ist, weil sie nicht mehr praktikabel ist. Also da gibt es dann auch Bewertungsgeschichten: Wie ist es wirklich abgelaufen, wie interpretiere ich das?

    Barenberg: Wie muss man sich denn das konkret vorstellen, wenn es um den NATO-Bericht geht? Gibt der selber ein Urteil ab, ist dort ein Urteil zu lesen, oder rekonstruiert er den Fall nach den Informationen, die man erhalten kann, und das Urteil bleibt dann den Politikern überlassen?

    Clement: Ich habe ihn nicht gelesen, weil er geheim ist, aber die Leute, mit denen man darüber spricht, sagen, den Berichtschreibern in der NATO wurde verboten, eine Wertung abzugeben. Sie listen nur auf: Das ist die Bestimmung, das ist vor Ort passiert. Die Bewertung wird der Politik überlassen.

    Barenberg: Mit anderen Worten: Es ist auch nicht auszuschließen, oder was wäre da Ihre Einschätzung, dass der Verteidigungsminister heute noch zu einem anderen Ergebnis kommt als der Generalinspekteur?

    Clement: Wie gesagt, das eine war eine militärische Bewertung. Heute kommt eine politische, die wird vielleicht etwas differenzierter sein, die wird aber nicht prinzipiell in eine andere Richtung gehen. Das kann ich mir nicht vorstellen, weil die Unterlagen diejenigen sind, über die wir seit Anfang September ja diskutieren und auch berichten. So weit ich den Bericht kenne, kann man nicht zu einer Bewertung kommen, das war ein völliger Fehler, was er gemacht hat. Es kann sein, dass er gegen die eine oder andere NATO-interne Bestimmung verstoßen hat, aber dass dies unter Umständen durch die Situation vor Ort gerechtfertigt sein könnte. So könnte ich mir unter Umständen eine Stellungnahme von Minister zu Guttenberg heute vorstellen.

    Barenberg: Die Bundesregierung hat sich gewünscht, dass die NATO einen Bericht herausgibt, den man auch veröffentlichen kann. Die NATO hat das abgelehnt. Erstens warum, und zweitens gibt es die Möglichkeit für die Bundesregierung, doch noch von sich aus einen Bericht herauszugeben?

    Clement: Das erste ist natürlich: Da stehen Dinge drin, die operative Aufgaben haben. Der eigentliche Bericht sind 75 Seiten, der Rest sind Anlagen. Wenn das alles veröffentlicht wird, dann werden sich die Taliban freuen, wenn sie das da alles lesen können, was da abgelaufen ist. Natürlich könnte die Bundesregierung einen Bericht herausgeben, wo sie die Dinge, die geheimhaltungsbedürftig sind, die operativ sind, rauslässt. Ob sie das tut, wird man sehen. Die politische Diskussion wird weitergehen und Stück für Stück wird da das eine oder andere auch durchsickern. Dafür werden wir schon sorgen.

    Barenberg: Noch ein Wort zu den Ermittlungen gegen Oberst Klein. Das Verfahren wurde jetzt nach Karlsruhe gegeben und dort soll auch geklärt werden, ob es sich um einen bewaffneten Konflikt im Sinne des Völkerstrafgesetzbuches handelt. Heißt das mit anderen Worten und im Klartext, Karlsruhe muss jetzt auch überprüfen, ob wir es mit Krieg in Afghanistan zu tun haben?

    Clement: Nein, gerade das nicht, denn genau das ist ja die Formulierung im Völkerstrafrecht, dass die nicht auf Krieg geht, sondern es gibt da auch eine ganze Reihe von anderen gewaltsamen Auseinandersetzungen, die unter der Kriegsschwelle sind. Ich habe gerade mit der Bundesanwaltschaft auch telefoniert und der eine oder andere dort hat gerade deutlich gemacht, diese Entscheidung treffen sie genau nicht, sondern hier geht es nur um die Frage: Sind nach dem humanitären Völkerrecht schützenswerte Personen dabei ums Leben gekommen, und zwar vorsätzlich durch einen Befehl? Und es gibt ja, was ungewöhnlich ist bei einer Staatsanwaltschaft, bereits eine Einschätzung. Nach vorläufiger Bewertung der Erkenntnisse aus allgemein zugänglichen Quellen ergeben sich bisher keine tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat deutscher Soldaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch. Aber trotzdem wird dort noch geprüft und man hat ja nicht nur das Dresdener Verfahren nach Karlsruhe geschoben, sondern es gab auch eine ganze Reihe von Anzeigen, die direkt bei der Bundesanwaltschaft eingegangen sind, wie heute bekannt geworden ist. Das wird jetzt aber einige Zeit der Prüfung brauchen und dann kann es sein, dass es auch zurückgegeben wird an die Staatsanwaltschaft in Dresden. Dann kann es noch mal weitergehen. Das Verfahren dauert jetzt sehr, sehr lange und das ist für den betroffenen Soldaten und auch für die Öffentlichkeit natürlich sehr misslich. Für den Soldaten bedeutet das, dass er in dieser gesamten Zeit seine berufliche Förderung stoppen muss.

    Barenberg: Eine andere Frage ist, ob es auch Konsequenzen für die Einsatzregeln vor Ort gibt.

    Clement: Die erste Konsequenz habe ich ja schon gesagt. Es gibt Gerüchte, dass es da Änderungen gibt. Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung schon darauf drängen wird, dass die Einsatzregeln so angepasst werden, dass sie auch anwendbar sind.

    Barenberg: Unser sicherheitspolitischer Korrespondent Rolf Clement. Danke für diese Einschätzungen.