Donnerstag, 18. April 2024

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Bundesausbildungsförderungsgesetz von 1971
Wie das BAföG für bildungspolitische Aufbruchstimmung sorgte

Unter dem Motto "Bildung für alle!" stand ab 1969 die Bildungsreform der sozialliberalen Bundesregierung. Ein wichtiger Pfeiler dabei: das Bundesausbildungsförderungsgesetz - als BAföG längst in die Alltagssprache eingegangen. Am 1. September 1971 trat das Gesetz in Kraft.

Von Monika Köpcke | 01.09.2021
    Ein Antrag auf Ausbildungsförderung (Bafög) liegt auf der Tastatur eines Laptopcomputers
    Ein Antrag auf Ausbildungsförderung - BAföG - gemäß dem Bundesausbildungsförderungsgesetz von 1971 (picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Fernando Gutierrez-Juarez)
    "Die Wahrheit ist, dass wegen der Vernachlässigung unseres Bildungswesens tragende Grundrechte unserer Verfassung Tag für Tag verletzt und missachtet werden," mahnte der Philosoph und Pädagoge Georg Picht im Oktober 1965 vor Heidelberger Studenten und forderte:
    "Die Regierungen und die Parlamente müssen jetzt handeln. Tun sie es nicht, so steht schon heute fest, wer für die dritte große Katastrophe in der deutschen Geschichte dieses Jahrhunderts verantwortlich ist."

    Nach der "Volksschule" war oftmals Schluss mit Bildung

    "Die deutsche Bildungskatastrophe" - diesen Titel hatte Georg Picht bereits einer aufsehenerregenden Artikelserie gegeben. Seine Bilanz war niederschmetternd: In der Bundesrepublik gebe es zu wenig Abiturienten und zu wenig Studenten. Das Schulsystem sei zu undurchlässig und eine Quelle sozialer Benachteiligung. In der Regel verließen damals Kinder aus nicht-akademischen Elternhäusern mit 14 Jahren die Volksschule.(*)
    Erst nach der Bundestagswahl 1969 begann die Politik gegenzusteuern. Unter dem Motto "Bildung für alle" übernahm eine sozialliberale Koalition unter Willy Brandt die Regierung. Sein Kanzleramtsminister Horst Ehmke versprach im Juni 1971:
    "Die Bildungsreform wird nicht unseren Wohlstand auffressen. Sie ist vielmehr Voraussetzung für eine gesicherte Wachstumspolitik. Und sie ist darüber hinaus die Voraussetzung für eine Fortentwicklung unserer Demokratie."

    Die Industrie rief nach mehr Uni-Absolventen

    Der westdeutschen Wirtschaft ging es damals gut. Nur: Es mangelte an akademisch ausgebildeten Fachkräften. Die Industrie drängte schon länger auf eine Aktivierung der sogenannten Bildungsreserven und forderte politische Maßnahmen, mit denen die Zahl der Universitätsabsolventen erhöht werden könne. Die Verabschiedung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, kurz BAföG, sollte diesen Wandel herbeiführen. Am 1. September 1971 trat das Gesetz in Kraft.
    "Das war in der Tat eine große Errungenschaft nach unserem Sozialstaatsprinzip. Und das war eben das Neue, dass es eben dann einen Rechtsanspruch gab auf individuelle Ausbildungsförderung, wenn der Betroffene anderweitig die Mittel nicht zur Verfügung gestellt bekommt," sagt Dieter Schäferbarthold, der als Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks die Einführung des BAföG begleitete.

    Zunächst reines Stipendium

    Bis zu 540 Mark gab es fortan vom Staat, wenn das Elternhaus ein Studium nicht finanzieren konnte. Die Zahl der Studierenden stieg nun rasant an – und fast die Hälfte bekam BAföG. Das damals ein reines Stipendium war, unterstreicht Dieter Schäferbarthold: "Also es musste kein Student etwas zurückzahlen. Das war damals die Aufbruchsstimmung Ende '60, Anfang '70."
    ILLUSTRATION - Eine Frau steckt am 07.09.2016 in einem Studio in Hamburg Geldscheine in ein Portemonnaie (gestellte Szene). Foto: Christin Klose || Modellfreigabe vorhanden
    Wegen Studienfinanzierung - Hohe Verschuldung bei Absolventen
    Die Überschuldungsquote bei jungen Menschen liegt weiter über dem gesellschaftlichen Durchschnitt. Dies liegt auch an der Studienfinanzierung. BAföG-Rückzahlung und Bildungskredit können eine beträchtliche Summe ausmachen – manche Studierende verlassen die Uni mit Schulden im fünfstelligen Bereich.
    Doch das Glück währte nicht lange. Schon bald erlebte die Bundesrepublik ihre erste Rezession. Das Geld wurde knapper, die Arbeitslosigkeit stieg - auch unter Hochschulabsolventen. Seit Mitte der 70er-Jahre wurde das BAföG schrittweise nur noch als Teildarlehen gewährt. Und 1983 wurde es unter Helmut Kohl in ein reines Darlehen umgewandelt. Viele ließen sich von dem drohenden Schuldenberg abschrecken und verzichteten aufs Studium. Erst 1990 ruderte die Politik wieder zurück. Damals stand die Deutsche Einheit unmittelbar bevor. Und vielleicht wollte die Kohl-Regierung die Studenten aus der DDR nicht verschrecken, wo es ein einheitliches Grundstipendium für alle gegeben hatte. Das Volldarlehen wurde also wieder abgeschafft. Seitdem muss das BAföG zur Hälfte zurückbezahlt werden. Ein Student berichtet:
    "Meine Eltern finanzieren mein Studium noch. Und ich hab‘ auch mal teilweise gearbeitet, wenn’s mal ein bisschen teurer wurde, das Leben nebenher, aber grundsätzlich häng ich am Tropf meiner Eltern, und ich arbeite nebenher. Ich weiß ja, dass ich das BAföG auch, zumindest teilweise, irgendwann zurückzahlen muss. Und wenn ich noch mal so einen Kredit aufnehmen muss, da man ja nie genau weiß, was nach dem Studium mal kommt, wird das doch, ja, ein bisschen zu belastend."
    Erstsemester-Begrüßung an der Universität zu Köln. Köln, 07.10.2019
    Studentenwerk: Bedarfssätze empirisch ermitteln Die BAföG-Sätze werden nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht transparent ermittelt. Sozialleistungen müssten endlich auf eine empirische Grundlage gestellt werden, forderte Studentenwerks-Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde im Dlf.
    Heute sind es wieder überwiegend die Eltern, die das Studium ihrer Kinder finanzieren. 2016 erschien die letzte Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks. Danach beziehen nur noch 18 Prozent der Studierenden BAföG. Und von 100 Kindern aus Akademikerfamilien studieren 77, von 100 Kindern aus Familien ohne akademische Tradition schaffen nur 23 den Sprung an eine Hochschule. Diese soziale Ungleichheit hat auch das BAföG nicht überwinden können.
    (*) Zahl korrigiert