Dienstag, 16. April 2024

Archiv

Bundesaußenminister Gabriel
"Beschlüsse der G20 müssen verbindlicher werden"

G20-Beschlüsse nicht ausreichend umzusetzen - das gehe nicht, sagte Bundesaußenminister Sigmar Gabriel im Dlf. Er schlug vor, die G20-Treffen regelmäßig in New York stattfinden zu lassen und die Vereinten Nationen mehr einzubinden. Außerdem müsse die Globalisierung demokratischer, sozialer und freiheitlicher werden.

Sigmar Gabriel im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 06.07.2017
    Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD)
    Bundesaußenminister Sigmar Gabriel spricht im Dlf über die Golf-Krise und das anstehende G20-Trefffen in Hamburg. (imago stock&people)
    Dirk-Oliver Heckmann: Der Syrien-Krieg, er geht unvermindert weiter. Die Terrorgefahr ist weltweit hoch. Nordkorea testet eine Interkontinentalrakete. Politische Führer wie Donald Trump, Recep Erdogan und Wladimir Putin heizen Unsicherheit und Nationalismus an.
    An Krisen und Kriegen mangelt es nicht als Themen des G20-Gipfels in Hamburg. Hinzu kommt noch die Krise am Golf. Saudi-Arabien, Ägypten und verbündete Golf-Staaten hatten ja Katar ultimativ aufgefordert, die Verbindungen zum Iran zu kappen, die angebliche Finanzierung des Terrors zu beenden und den arabischen Fernsehsender Al Jazeera zu schließen. Die Antwort, die gestern darauf gegeben wurde, die haben die vier Golf-Staaten brüsk zurückgewiesen, aber auf weitere Sanktionen zunächst verzichtet. Niemand weiß aber, wie die ganze Sache weitergeht.
    Bundesaußenminister Sigmar Gabriel hat in den letzten Tagen die Lage vor Ort sondiert, ist jetzt bei uns am Telefon. Schönen guten Morgen, Herr Gabriel.
    Sigmar Gabriel: Guten Morgen, Herr Heckmann.
    Heckmann: Herr Gabriel, Sie haben ja mit beiden Seiten gesprochen. Was ist Ihr Eindruck? Ist die Gefahr eines militärischen Konflikts real, oder ist da viel Säbelrasseln mit im Spiel?
    Gabriel: Nein. Gemeinsam mit den Amerikanern und auch den Kuwaitis, die dort ja versuchen, eine Vermittlerrolle einzunehmen, hatten wir schon den Eindruck, dass es tatsächlich am Anfang die reale Gefahr einer militärischen Eskalation geben könnte. Ich glaube, dass die zurzeit nicht existiert. Man muss aber immer ein bisschen vorsichtig sein, weil viele Emotionen und auch Dinge eine Rolle spielen, die für uns als Europäer schwer zu durchschauen sind. Das sind ja zum Teil auch Familienauseinandersetzungen, die es dort gibt. Aber ich glaube, diese Gefahr der Eskalation ist gebannt.
    Heckmann: Woraus schließen Sie das?
    Gabriel: Na ja. Die Reaktion gestern, die hört sich für uns in unseren Ohren harsch an, aber sie ist natürlich erst mal in Wahrheit auch eine deutliche Abrüstung an Forderungen. Die vier Staaten, die dort gesagt haben, Katar müsse sozusagen isoliert werden, sagen jetzt, wir wollen von Katar, dass sie Terrorfinanzierung einstellen, dass sie keinen Terroristen Schutz bieten, dass sie aufhören, in der Region zu intervenieren. Alle anderen Forderungen werden gar nicht mehr angesprochen. Es wird nicht mehr gefordert, dass es keine Beziehungen mehr zum Iran geben soll. Es wird nicht von der Ausweisung der Türkei geredet und manches andere auch nicht. Jetzt wird sehr genau aufgepasst, dass keine Forderungen mehr erhoben werden, die die staatliche Integrität, die Selbständigkeit Katars in Frage stellt.
    "Der US-Außenminister hat sehr viel bewirkt"
    Heckmann: Wie erklären Sie sich diese Entwicklung, Herr Gabriel? Denn das, was am Anfang zu hören war, das war ja durchaus martialisch.
    Gabriel: Ja, da haben Sie völlig Recht. Ich glaube, dass einfach das Einwirken der internationalen Staatengemeinschaft – und hier muss man mal die Vereinigten Staaten loben. Der amerikanische Außenminister hat sehr viel Engagement hereingelegt. Das hat, glaube ich, sehr viel bewirkt. Und wir haben uns als Deutsche, als Europäer immer eng mit den Amerikanern abgestimmt. Wir haben gesagt, lasst das sein, und sind jetzt an einem Punkt, wo wir, glaube ich, sagen können, jetzt passt auf, jetzt wollen wir nicht über Katar reden, sondern über das Unterbinden jeglicher Finanzierung von Terroristen in der ganzen Region. Denn zur Wahrheit gehört natürlich auch, dass es in der Vergangenheit nicht nur aus Katar solche Finanzierungsquellen für Al-Nusra und andere schlimme Organisationen gegeben hat.
    Heckmann: Auch Saudi-Arabien wird da immer genannt.
    Gabriel: So ist es. – Man muss immer fair bleiben. Die Saudis haben angefangen, vieles zu verändern. Die Kataris allerdings auch. Gestern haben wir verabredet, dass die Kataris unseren Geheimdiensten gegenüber, ich würde jetzt mal ein bisschen lax sagen, sämtliche Bücher aufmachen und ihnen zeigen, wenn wir Fragen zu bestimmten Personen oder Strukturen haben, die beantworten. Ich glaube, wir sind einen wesentlichen Schritt weiter, aber gelöst ist die Krise nicht. Dafür ist noch viel zu viel Emotion im Raum. Aber jetzt kann man beginnen, die tatsächlichen Vorwürfe zu prüfen in einem ordentlichen Verfahren, und ich glaube, dass der amerikanische Kollege demnächst dort hinfahren wird und wird dafür jetzt Vorschläge machen, wie diese Prozedur aussehen kann. Ich glaube, mit der gestrigen Erklärung, die sich auf den ersten Blick harsch anhört, aber auf den zweiten Blick eigentlich nichts anderes ist, als dass der Konflikt jetzt mal auf Halten gestellt wurde, haben wir einen großen Schritt nach vorne gemacht. Und ich will das noch mal sagen: Die Amerikaner haben wirklich sehr gut mit uns zusammengearbeitet.
    Heckmann: Sie treffen sich am Rande des G20-Gipfels, wie wir hören, heute mit Tillerson. Welches Ziel hat dieses Treffen?
    "Wir werden auch über viele andere Konflikte sprechen"
    Gabriel: Mit Rex Tillerson werden wir natürlich auch die Lage dort bereden. Wir haben auch selbst Vorschläge, welche Verfahren man zur Überwachung der Finanzströme einsetzen kann. Das haben viele dort in der Region für gut gefunden. Wir als Deutsche, als Europäer, wir gelten als sehr neutral. Wir gelten als verlässlich und wir stehen auf keiner der beiden Seiten. Aber wir werden natürlich auch reden über Syrien, über die Ukraine und über viele andere Konflikte, die uns leider beschäftigen.
    Heckmann: Also über die Themen, die beim G20-Gipfel auch eine Rolle spielen werden. – Ich habe es gerade eben schon gesagt, Herr Gabriel: SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz, der fordert eine Reform der G20. Demnach sollen diese Treffen nicht mehr zum Beispiel jetzt in Hamburg stattfinden, sondern nur noch in New York. Teilen Sie diese Forderung?
    Gabriel: Die Hamburger machen das klasse und alle anderen Städte, die das bislang gemacht haben, machen das auch. Die Frage ist nur, muss man nicht eigentlich dieses Treffen von 20 Staats- und Regierungschefs, die ja nur einen Teil der Welt repräsentieren, muss man die nicht viel stärker auch einbinden in die Vereinten Nationen. Es kann ja nicht sein, dass nur 20 staats- und Regierungschefs über den Rest der Welt reden. Viele fühlen sich ausgegrenzt. Die ganz Armen sind überhaupt nicht dabei. Deswegen finde ich den Vorschlag von Martin Schulz, zu sagen, geht doch mal an den Ort der Vereinten Nationen, macht diese Treffen dort, ladet den offiziellen Repräsentanten der Welt, nämlich den Generalsekretär der Vereinten Nationen, mit dazu, ich glaube, das wäre ein großer symbolischer Schritt nach vorne zu zeigen, dass wir die Vereinten Nationen aufwerten, und nicht sich 20 reiche oder halbwegs reiche Staaten über die Entwicklung in der Welt unterhalten und viele andere gar nicht beteiligt sind.
    Heckmann: Wollen Sie damit auch ein Problem ein bisschen abschieben, wegschieben, die ganzen Probleme, die jetzt mit der Sicherheit zu tun haben, mit den ganzen Protesten?
    Gabriel: Nein, das ist doch nicht das Thema. Das Thema ist, wie bindet man 20 Staaten ein in 200 Staaten, wo viele sich ausgegrenzt fühlen. Wir Deutschen haben das ja jetzt versucht abzumildern, indem wir zum Beispiel unsere 20 Außenministern an den Standort der Vereinten Nationen nach Bonn eingeladen haben. Dort gibt es ja einen UN-Standort. Wir haben vorher die Afrikaner eingeladen, um zu zeigen, wir reden auch mit den Ärmsten der Welt. Dort gibt es viele arme Staaten mit großen Schwierigkeiten und es geht um diese Frage, wie entwickelt sich das.
    Die Städte sind natürlich bei solchen Veranstaltungen auch belastet durch den Einsatz riesiger Sicherheitskräfte, aber das müssen Demokratien im Zweifel schaffen. Aber ich glaube, dass die andere Geschichte viel, viel entscheidender ist, nicht flüchten aus Städten, sondern zeigen, uns sind die Vereinten Nationen wichtig, und die Beschlüsse der G20 müssen auch verbindlicher werden. Solange sie unverbindliche Absichtserklärungen bleiben, passiert einfach zu wenig, und ich glaube, auch das würde bei den Vereinten Nationen eher gelingen.
    "Ich kann die Proteste verstehen"
    Heckmann: Es gibt ja viel Protest gegen G20, können wir jeden Tag beobachten, und die Sache wird möglicherweise auch noch weiter eskalieren in den nächsten Tagen. Da sagen die Gegner von G20, da komme eine nicht legitimierte Weltregierung zusammen, und in der Tat: Es handelt sich ja nicht alles um lupenreine Demokraten, die da vertreten sind. Wie berechtigt ist diese Kritik an dem Treffen?
    Gabriel: Na ja. Wenn wir uns jetzt nur noch unterhalten mit denen, die wir nach unseren Maßstäben als Demokraten bezeichnen, dann sind wir relativ schnell bei weit weniger Ländern als G20, die dann versuchen, die Welt zu regieren. Wir werden mit den Menschen leben müssen, die ihre Staaten repräsentieren, und natürlich dort in diesen Veranstaltungen setzen auf unsere westlichen Werte: Freiheit, Demokratie, Menschenrechte. Das sind Themen, die da hingehören. Aber zu sagen, wir wollen uns mit denen, die keine Demokratien sind, nicht treffen – na ja, dann können wir uns auf die Schulter klopfen, weil wir nur mit freundlichen Menschen zusammen sind. Aber das ändert natürlich nichts an den Problemen in der Welt, denn in der Regel entstehen die da, wo Demokratie nicht herrscht.
    Ich kann die Proteste trotzdem verstehen, weil die Globalisierung zwar vielen geholfen hat, auch vielen aus der Armut geholfen hat. Aber sie hat auch die Spaltung in Arm und Reich größer gemacht. Mir hat mal ein katholischer Bischof gesagt: Das Ziel der Globalisierung muss endlich werden, Gerechtigkeit für alle und nicht Reichtum für wenige, und davon sind wir ganz weit entfernt. Deswegen kann ich den Protest verstehen. Er muss allerdings friedlich sein und er darf nicht mit der Gewalt organisiert werden, die wir in anderen Staaten kritisieren. Ich finde, da muss man auch sich selbst gegenüber glaubwürdig sein. Aber dass die Globalisierung demokratischer, sozialer, freiheitlicher werden muss, dass wir die Armen der Welt, den Hunger und die Not bekämpfen müssen, statt überall aufzurüsten und das Geld in Rüstungsausgaben zu stecken, das, finde ich, diese Kritik ist berechtigt.
    Heckmann: Herr Gabriel, heute trifft sich die Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Donald Trump, dem amerikanischen Präsidenten. Ist eine verlässliche Zusammenarbeit mit Trump aus Ihrer Sicht eigentlich überhaupt möglich und wenn ja wie?
    Gabriel: Wir haben jetzt gerade einen Fall am Golf, wo wir mit den Amerikanern sehr gut zusammenarbeiten. Trotzdem ist natürlich das Problem, dass wir von der amerikanischen Regierung häufig sehr unterschiedliche Signale bekommen. Aber uns bleibt gar nichts anderes übrig, als den Versuch zu unternehmen, mit den Amerikanern zu gemeinsamem Handeln zu kommen. Dafür sind sie zu wichtig und zu groß.
    Heckmann: Aber wie? Auf welche Weise?
    Gabriel: Es gibt in der Politik mit anderen Ländern immer nur eine Möglichkeit: Miteinander reden. Das ist wie im richtigen Leben. Sie haben keine Druckmittel, keine Gewaltmittel, das ist auch ganz gut so. Und es gibt Dinge, wo wir große Sorgen haben, dass die Vereinigten Staaten in einen Handelskrieg gegen Europa eintreten. Das würde natürlich Reaktionen auslösen in Europa. Das schadet uns, aber es schadet auch den Amerikanern. Und vor allen Dingen: Wenn die internationale Politik auf einmal nicht mehr auf der Grundlage von gemeinsamen Regeln gemacht wird, sondern das Recht des Stärkeren zurückkehrt, dann wird das Ganze deshalb gefährlich, weil andere Spieler, die lange darauf gewartet haben, dass internationale Regeln wieder verschwinden, die werden in den Raum kommen und versuchen, den zu füllen. Wir sagen, die Stärke des Rechts und nicht das Recht des Stärkeren, das muss auch im Handel gelten, in der Wirtschaft gelten zwischen den Völkern. Sonst gibt es viele Verlierer und nur wenige Gewinner. Das ist der Kern des Konfliktes, den wir mit den Vereinigten Staaten haben.
    "Wir sind nicht Anhängsel irgendeiner Politik"
    Heckmann: Noch mal zurück zu Donald Trump. Das G7-Treffen, das ging ja so ein bisschen in die Richtung eins gegen sechs. Es sollte ganz deutlich gemacht werden, dass Donald Trump, dass die USA gerade beim Thema Klimapolitik isoliert, alleine dasteht. Sollten diese Differenzen, jetzt ganz konkret gefragt, in Hamburg genauso deutlich gemacht werden?
    Gabriel: Ich finde, was man nicht machen darf ist, so zu tun, als sei man sich einig, wenn man sich nicht einig ist, also irgendwie Friede, Freude, Eierkuchen, nur damit man eine Erklärung hinbekommt, die dann Wischi-Waschi ist. Dazu würde ich nicht raten, sondern mein Rat wäre, wenn man sich nicht einigt zu sagen, okay, wir haben große Differenzen, und dann hoffentlich sagen, wir werden weiter darüber reden. Aber ich finde, man muss schon Klarheit schaffen. Übrigens wir Europäer und wir Deutschen, wir haben weltweit einen sehr guten Ruf, weil wir als faire Partner gelten, und wir können auch selbstbewusst auftreten. Wir sind nicht Anhängsel irgendeiner Politik. Wir wollen unseren Arm zur Freundschaft und zur Kooperation mit den USA ausstrecken. Wir haben übrigens – das darf man als Deutscher nicht vergessen – den Vereinigten Staaten von Amerika viel zu verdanken. Aber wir brauchen nicht unterwürfig sein. Das, glaube ich, muss nicht sein.
    Heckmann: Kurz zum Abschluss, Herr Gabriel. Sie haben gerade gesagt, G20-Beschlüsse meist unverbindlich. Das hört sich danach an, dass Sie nicht wahnsinnig viel erwarten von dem G20-Gipfel jetzt in Hamburg.
    Gabriel: Ich habe einfach ein paar andere erlebt und gesehen, dass oftmals die Dinge, die verabredet sind, hinterher dann nicht eingehalten werden oder unverbindlich bleiben.
    Heckmann: Das heißt, viel heiße Luft am Ende?
    Gabriel: Ich sage nicht schlechte Dinge voraus. Ich sage nur, dass es verbindliche werden müssen. Denken Sie mal an die Frage des Umgangs mit Steuerflucht. Da gab es kluge Ideen von G20, sind bis heute nicht überall umgesetzt. Ich meine, Konzerne entziehen sich dem Steuerzahlen. Jeder Bäckermeister in Hamburg hat höhere Steuersätze als große Konzerne, weil es solche Steueroasen gibt, die ja in der Regel Gerechtigkeitswüsten sind, weil da kein Beitrag geleistet wird für Bildung oder Bekämpfung der Armut. Das sind Beschlüsse, die gibt es, aber sie sind nicht ausreichend umgesetzt worden.
    Heckmann: Bundesaußenminister Sigmar Gabriel von der SPD war das hier live im Deutschlandfunk. Herr Gabriel, danke Ihnen für das Gespräch!
    Gabriel: Ja, bitte.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.