Freitag, 29. März 2024

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Bundesentwicklungsministerin nimmt an Gedenkfeier des Herero-Aufstands in Namibia teil

Reinhard Bieck: Heidemarie Wieczorek-Zeul, SPD, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, ist gestern mit den Häuptlingen eines Volkes zusammengetroffen, das deutsche Kolonialtruppen vor 100 Jahren beinahe ausgerottet hätten. Nach der Schlacht am Waterberg im ehemaligen Deutsch-Südwest, heute Namibia, waren die Herero in die Wüste getrieben und ihrem Schicksal überlassen worden, was den tausendfachen Tod bedeutete. Genau dort, am Waterberg, begrüße ich Frau Wieczorek-Zeul. Es heißt, die Gespräche, die Sie gestern in Windhuk mit Vertretern der Herero geführt haben, seien konstruktiv und freundschaftlich verlaufen. Haben die Herero den Deutschen vergeben?

Moderation: Reinhard Bieck | 14.08.2004
    Heidemarie Wieczorek-Zeul: Also das waren sehr bewegende Gespräche. Dass einer der Beteiligten aufstand und sagte, seit 25 Jahren suchen wir das Gespräch, und es hat jedenfalls niemals mit einem Vertreter der Regierung, Minister oder Ministerin, stattgefunden, und jetzt haben wir die Möglichkeit, den Dialog zu führen und eben auch den Kontakt dauerhaft zu gestalten, das war, denke ich, für uns alle bewegend. Für mich war es eine Erfahrung, die zu den einzigartigen Erfahrungen gehört, die ich bisher gemacht habe.

    Bieck: Die Häuptlinge haben Ihnen Petitionen übergeben. Was steht da drin?

    Wieczorek-Zeul: Das sind natürlich einmal viele Erwartungen, auch Erwartungen, die nicht unmittelbar umgesetzt werden können, aber das Allerwichtigste ist - und das ist eigentlich das, was auch mein Ziel ist -, ich möchte gerne, dass wir ausgehend von den gemeinsamen Gesprächen, auch von der Gedenkveranstaltung und auch ausgehend von dem Eingeständnis unserer kolonialen Schuld so etwas wie ein Versöhnungstreffen gemeinsam mit Beteiligten machen, um auch den Dialog zwischen allen Betroffenen zu führen, um auch die Zukunft gemeinsam zu diskutieren und auch, um zum Beispiel Austausch zwischen Jugendlichen auf der namibischen und auf der deutschen Seite zu ermöglichen. Denn die Wahrheit ist ja auch, dass im kollektiven Bewusstsein unseres Landes es eigentlich jetzt erst durch diesen hundertjährigen Erinnerungstag wieder ins Bewusstsein dringt.

    Bieck: Sie müssen ja in Namibia Ihre Worte auf die Goldwaage legen, wenn Sie heute als erstes deutsches Regierungsmitglied an der Gedenkfeier am Waterberg teilnehmen. An was wird da eigentlich erinnert, an eine Schlacht oder an einen Genozid, einen Völkermord?

    Wieczorek-Zeul: Also erst einmal ist noch mal wichtig - deshalb bin ich Ihnen sehr dankbar, dass Sie das zu Anfang noch mal gesagt haben -, man muss sich einfach die ungeheure Brutalität vorstellen, dass eben - je nachdem wie die entsprechenden Zahlen und Bewertungen sind - von den Hereros etwa 65.000 Menschen umgebracht worden sind, elendig verdurstet sind, dass die Hälfte des Nama-Volkes ausgelöscht worden ist. Das sind sicher ungeheure Gräueltaten, und aus meiner Bewertung kann ich sagen, heutzutage, wenn wir die heutige Bewertung haben, würden wir sagen, dass solche Gräueltaten als Völkermord in der heutigen Bewertung bezeichnet werden. Jemand, wie der General von Trotter, der diese Befehle gegeben hat, würde entsprechend vor Gericht gestellt und verurteilt.

    Bieck: Ja, das ist nach heutiger Sicht. Die Definition ist erst aber 1948 gegeben worden, und die Schlacht am Waterberg liegt 100 Jahre zurück. Die Herero erwarten eine Entschuldigung. Werden Sie sich heute im Namen Deutschlands entschuldigen?

    Wieczorek-Zeul: Ich habe in den vielen Gesprächen deutlich gemacht, dass wir um Vergebung unserer Schuld bitten. So, auch in diesem christlichen Wort, habe ich das zum Ausdruck gebracht, und das werde ich auch heute tun.

    Bieck: Die Bundesregierung will ja keine Entschädigung an die Herero als Ethnie zahlen. Warum eigentlich? Wiedergutmachung an Israel, Entschädigung für die Zwangsarbeiter. Besteht der Unterschied nur darin, dass die Kolonialzeit länger zurückliegt?

    Wieczorek-Zeul: Es ist ja so, dass diejenigen, die ich getroffen habe, alle diese geschichtlichen Ereignisse natürlich noch sehr vor Augen haben. Unmittelbar Betroffene sind eben auf Grund der langen Jahre selbst natürlich nicht mehr so, dass wir ihnen gegenüber Entschädigungen zahlen könnten. Generell ist es natürlich so, die Verantwortung gilt ja auch gegenüber dem ganzen Land. Deshalb ist mein Ansatz und auch der Ansatz der Bundesregierung, dass wir sagen, Namibia ist ein Land, mit dem wir sehr stark entwicklungspolitisch in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit verpflichtet sind. Das tun wir aus dieser Verantwortung unter dem Gesichtspunkt, den ich angesprochen habe. Das tun wir deshalb, und wir verstehen diese Leistungen, zum Beispiel bezogen auf die notwendige Landreform nach Recht und Gesetz, eben auch unter dem Gesichtspunkt des Aspektes der Versöhnung und der Verantwortung gegenüber dem ganzen Land. Ich glaube, das ist der richtigere Ansatz.

    Bieck: Sie sprechen gerade die Zukunft Namibias an. Die Landreform in Zimbabwe hat ja zu einem Desaster geführt. Geht Präsident Nuyoma, der namibische Präsident, vorsichtiger mit dem Thema um als sein Amtskollege und Freund Mugabe in Zimbabwe?

    Wieczorek-Zeul: Also ich habe mit Präsident Nuyoma Gespräche geführt. Ich habe mit vielen in der Regierung Gespräche geführt, auch mit dem für die Frage der Landreform zuständigen Minister, der neue Präsidentschaftskandidat Pohamba. Da ist noch einmal ausdrücklich gesagt worden, dass nach Recht und Gesetz verfahren wird, und das sind absolut andere Töne, als sie anderswo zu hören sind. Wir haben gestern auch ein Gespräch mit Farmern, und zwar eben auch weiße Farmer, zum Teil namibischer Staatsangehörigkeit, gesprochen, die selbst erstens auch die Notwendigkeit von Landreform betonen, die auch über Erfahrungen sprechen, die ermutigend sind, in der Zusammenarbeit mit neu angesiedelten Farmern und ihnen selbst, die sehr nach vorne orientieren. Ich muss sagen, das ermutigt mich eigentlich, dass wir auch in unserer Entwicklungszusammenarbeit die Notwendigkeit der Landreform sehen, so dass Menschen, die bisher benachteiligt sind, Zugang zum kommunalen Land haben, und das ist das Land, was insgesamt bisher am wenigsten entwickelt ist. Das ermutigt mich also, Initiativen verstärkt durchzuführen. Da leisten wir einen Beitrag für das gesamte Land und für die Zukunft des ganzen Landes und verhindern auch sich aufstauende Konflikte.

    Bieck: Das scheint ja in der Tat eine etwas andere Entwicklung zu sein als in Zimbabwe. Aus Zimbabwe hört man ja, dass die britischen Farmer in einem Zustand der Saturiertheit die Zeichen der Zeit glatt verschlafen hätten, und das sehen Sie in Namibia anders?

    Wieczorek-Zeul: Also ich sehe das auch aus den Gesprächen. Natürlich kann man nicht mit jedem einzelnen der Farmer im Land sprechen. Aber aus den Gesprächen, die ich hier auch mit der Farmerorganisation hatte, habe ich den Eindruck, dass es nach vorne orientierte Grundhaltung gibt, die wir natürlich unterstützen und wo wir auch noch mal gesagt haben, wir drängen selbstverständlich auch darauf. Das haben wir auch der Regierung gegenüber gesagt, dass dieses Prinzip, Recht und Gesetz müssen respektiert werden, eingehalten wird.

    Bieck: Wir warten gespannt auf Ihre Rede am Waterberg. Danke für dieses Gespräch.