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Bundesfamilienministerin: Pflegezeit auch für mittelständische Firmen attraktiv

Bundesfamilienministerin Kristina Schröder ist zuversichtlich, dass das neue Familienpflegegesetz auch ohne Rechtsanspruch großen Erfolg haben wird. Viele Unternehmen hätten bereits zugesichert, die Pflegezeit zum Jahreswechsel einzuführen.

Kristina Schröder im Gespräch mit Bettina Klein | 20.10.2011
    Bettina Klein: Der Deutsche Bundestag wird heute über das Familienpflegezeitgesetz abstimmen. Es ist ein Versuch, die Vereinbarkeit der Pflege Angehöriger mit der eigenen Berufstätigkeit zu ermöglichen.
    Ein großes gesellschaftliches Problem also und ein Gesetz heute zur Abstimmung im Deutschen Bundestag, das nicht unumstritten ist. – Ich habe vor der Sendung mit der Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) gesprochen und sie zunächst gefragt, ob sie jetzt eigentlich rundweg zufrieden ist mit dem, was das Parlament heute verabschieden soll.

    Kristina Schröder: Ich bin sehr zufrieden mit dem Familienpflegezeitgesetz, denn die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist eben nicht nur die Frage Vereinbarkeit von Kindererziehung und Beruf, sondern es ist für immer mehr Menschen auch die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. Und mit dem Familienpflegezeitgesetz schaffen wir einen modernen Weg, Beruf und Pflege miteinander zu vereinbaren, ohne dass wir damit immer weitere Leistungsgesetze erfinden und immer weiter Schulden machen.

    Klein: Geht es Ihnen denn vor allen Dingen darum, mehr Bewusstsein zu schaffen für ein Problem, das ja immer noch von zu vielen als Privatproblem empfunden wird?

    Schröder: Bewusstsein ist wichtig, denn in der Tat: Die Frage Vereinbarkeit von Pflege und Beruf, die ist nicht ganz oben auf der Tagesordnung. Und wenn man mal guckt: Jeder stellt sich gern ein Foto der kleinen Tochter auf den Schreibtisch; ein Foto der demenzkranken Mutter, das werden sich nur die wenigsten auf den Schreibtisch stellen. Das ist also ein Problem oder eine Herausforderung eher im Stillen. Trotzdem geht es heute natürlich nicht nur um Bewusstsein, sondern heute geht es um ein konkretes Angebot an die Unternehmen und an die Arbeitnehmer in Deutschland, wie sie es auch konkret hinbekommen können, eben Pflege und Beruf miteinander zu vereinbaren.

    Klein: Im Konkreten gab und gibt es aber eben auch Kritik an diesem Gesetz. Das wurde auch in den Anhörungen des Deutschen Bundestages deutlich. Ein zentrales Manko: Es gibt für diese Regelungen mit dem Arbeitgeber eben keinen Rechtsanspruch. Ist es Ihnen eigentlich nicht gelungen, das durchzusetzen, oder fanden Sie es nicht notwendig?

    Schröder: Ich bin überzeugt, dass das Gesetz auch ohne Rechtsanspruch einen großen Erfolg haben wird. Schauen Sie, wir haben die Familienpflegezeit genauso konzipiert wie zum Beispiel die Altersteilzeit. Auch dafür gab es keinen Rechtsanspruch. Und dennoch haben unglaublich viele Unternehmen, unglaublich viele Menschen die Altersteilzeit in Anspruch genommen. Und ich bin mir sehr sicher, dass das auch mit der Familienpflegezeit so laufen wird. Bereits jetzt haben zugesagt, dass sie direkt zum 1. 1. 20112 die Familienpflegezeit einführen werden, die Deutsche Telekom, die Deutsche Post, Konti Reifen, Airbus, also insofern richtig große Unternehmen, die ihren Mitarbeitern diese Möglichkeit eröffnen wollen, und das ist ein großer Erfolg.

    Klein: Sie haben jetzt große Unternehmen genannt, die es sich möglicherweise auch eher leisten können. Haben Sie Erkenntnisse darüber, wie hoch der Anteil der kleineren Unternehmen und der Arbeitgeber dort ist, die mit einer solchen Regelung dann wirklich einverstanden sind?

    Schröder: Es war ja ein wesentlicher Punkt bei den Verhandlungen, die Arbeitgeber geben im Grunde ja den pflegenden Mitarbeitern eine Art Gehaltsvorschuss von 25 Prozent zum Beispiel, der dann später wieder zurückgezahlt wird. Und da war ja die Sache, ob das nicht gerade für mittelständische Unternehmen ein Problem darstellt, denn auch wenn sie das Geld später wieder zurückbekommen, ist das ja erst mal ein Liquiditätsproblem. Und genau deswegen haben wir über die KfW diese Lösung gefunden, dass das Geld von der KfW kommt und dann auch wieder an die KfW zurückfließt. Das heißt, dass also die Unternehmen nicht nur keinerlei Zinskosten haben, sondern dass sie auch kein Risiko haben, dass sie das Geld am Ende nicht mehr wiederbekommen. Deswegen ist das gerade auch für mittelständische Unternehmen ein sehr attraktives Angebot.

    Klein: Aber es gibt eben keinen Rechtsanspruch. Was, wenn ich als Arbeitnehmer zu meinem Arbeitgeber komme und sage, ich muss hier ein Jahr raus oder zwei, ich muss mich um meine Familie kümmern, und der lehnt es ab mit Hinweis auf wirtschaftliche Gründe? Was dann?

    Schröder: Es gibt einen Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit, und insofern kann das der Arbeitgeber nicht einfach so ablehnen, sondern er muss sehr gewichtige Gründe haben. Er kann nicht einfach mal sagen, das passt mir jetzt nicht in den Kram. Insofern kann ich nur plädieren, auf diesen Rechtsanspruch dann auch offensiv hinzuweisen.

    Klein: Es gibt den Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit, der aber unabhängig von dem Gesetz bereits geregelt ist. Meinen Sie das?

    Schröder: Richtig.

    Klein: Aber da gilt natürlich auch das Gleiche: Es kann immer mit Hinweis auf betriebliche Gründe gesagt werden, wir können uns das nicht leisten, dann müssen sie eben kündigen oder sich eine andere Lösung einfallen lassen.

    Schröder: Das müssen schon ziemlich schwerwiegende Gründe sein, dass man diesen Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit verweigern kann. Sie müssen ja unterscheiden zwischen diesem Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit und meinem Familienpflegezeitgesetz. Dort gibt es ja dann noch mal die zusätzliche Möglichkeit, eben über Wertkonten vorher erarbeitetes Zeitguthaben für die Pflege in Anspruch nehmen zu können, oder auch später das dann wieder einzuarbeiten.

    Klein: Auch die Tatsache, dass diese Regelung nur auf zwei Jahre begrenzt ist, geht, wenn man die Erfahrung der Praxis zugrunde legt, ja am Problem in gewisser Weise vorbei. Pflegejahre liegen deutlich darüber, teilweise bis zu acht Jahre. Weshalb nur so kurz?

    Schröder: Na ja, erst mal muss man sehen: Heute gibt es die Möglichkeit, ein halbes Jahr rauszugehen. Insofern haben wir eine Vervierfachung dieser Zeit. Dann ist es so, dass Pflege ja in der Regel in Phasen abläuft. Nicht immer ist eine wirkliche so intensive Pflege notwendig; es gibt auch meistens am Anfang noch Phasen, wo es reicht, wenn man zum Beispiel dem Vater morgens und abends hilft und tagsüber kommt der noch einigermaßen alleine klar. Und da können die zwei Jahre eben einen ganz wertvollen Zeitraum abdecken. Trotzdem ist es richtig: Es kann Konstellationen geben, wo man länger als die zwei Jahre gern Zeit hätte, um den Vater, die Mutter, den Angehörigen zu pflegen, und deswegen ermöglichen wir es auch, dass unterschiedliche Menschen die Familienpflegezeit nehmen können. Dann kann also ein Geschwister sagen, erst mache ich zwei Jahre und dann machst du zwei Jahre, oder ein Ehepaar kann sagen, wir nehmen beide gleichzeitig die Familienpflegezeit und du kümmerst dich vormittags und ich kümmere mich nachmittags. Diese Flexibilität haben wir drin.

    Klein: Wenn das Gesetz dann verabschiedet sein wird, in welchem Zeitraum wollen Sie es dann noch mal überprüfen und sehen, ob das wirklich so funktioniert hat?

    Schröder: Das werden wir von Anfang an machen. Es wird jetzt darauf ankommen, dass dann möglichst viele Unternehmen, so wie es jetzt schon die Deutsche Post und die Deutsche Telekom tun, dass die sagen, wir machen da mit, dass die Unternehmen dieses Instrument auch nutzen, um zum einen gute Leute zu werben, indem sie ihnen mit der Familienpflegezeit entgegenkommen, aber zum anderen auch, um gute Leute im Unternehmen zu halten. Denn es ist mit Sicherheit günstiger, die Leute im Unternehmen zu halten, als neue Leute erst anzuwerben und ausbilden zu müssen. Deshalb werden wir kontinuierlich gucken, wie die Unternehmen die Familienpflegezeit in Anspruch nehmen.

    Klein: Frau Schröder, Sie setzen bei diesem Projekt auf Freiwilligkeit, wie Sie das auch in einem anderen Bereich vorziehen, etwa wenn es um mehr Frauen in Führungsetagen geht. Wir haben das Anfang der Woche alle verfolgen können. Am Montag haben 30 DAX-Unternehmen in Deutschland ihre teils sehr unterschiedlichen Vorstellungen dargelegt. Ihre Kabinettskollegin Ursula von der Leyen hat bei allem Lob für die Arbeit der Konzerne in diese Richtung sehr deutlich kritisiert, dass es eben nicht um die Vorstands- und die Aufsichtsratsetagen geht. Wenn wir mal auf dieses Thema schauen: Weshalb stoßen Sie sich eigentlich nicht in der gleichen Weise daran?

    Schröder: Sie haben recht, dass die Zeit der reinen Freiwilligkeit vorbei ist. Wir hatten vor gut zehn Jahren das Treffen von Gerhard Schröder mit Wirtschaftsverbänden, und da war viel Schenkelklopfen und viel gegenseitiges Einvernehmen und es gab eine labberige Erklärung und passiert ist überhaupt nichts. Deswegen sage ich, wir müssen hier sehr viel konkreter werden, und deswegen will ich eine gesetzliche Pflicht zur Selbstverpflichtung. Das heißt, die Unternehmen müssen selbst Zielvorgaben für Vorstände und Aufsichtsräte festlegen, müssen diese veröffentlichen und müssen diese dann auch einhalten, und das Ganze ist sanktionsbewehrt, wenn sie es nicht tun. Das ist also keine reine Freiwilligkeit, sondern das ist das Prinzip Freiheit und Verantwortung. Die Unternehmen sind frei darin, sich ein bestimmtes Ziel zu setzen, aber sie müssen sich dann auch öffentlich verantworten und den Druck aushalten.

    Klein: Aber wie hoch die Quote ist, das ist dann freiwillig?

    Schröder: Genau! Die Höhe der Quote ist freiwillig, dass sie sich eine setzen müssen und die auch einhalten müssen, das ist verpflichtend, und das ist ja gerade, wenn Sie so wollen, der psychologische Trick an meinem Modell. Es kann sich kein Unternehmen leisten, wenn es sich selbst eine solche Quote setzt, dann zu sagen, wir geben uns mit fünf oder mit zehn Prozent Frauenanteil in Führungspositionen zufrieden. Das ist viel zu peinlich, das ist ein Offenbarungseid, das werden die Unternehmen nicht tun. Darauf habe ich schon in den letzten Monaten jede Wette abgeschlossen und ich wurde am Montag bestätigt. Kein einziges Unternehmen hat sich ein einstelliges Ziel gesetzt.

    Klein: Aber was ist mit den Vorstands- und Aufsichtsratsgremien?

    Schröder: Um genau die geht es mir in meinem Stufenplan für mehr Frauen in Führungspositionen. Ich will, dass sich die Unternehmen konkrete Ziele für Vorstände und Aufsichtsräte setzen und diese dann auch einhalten müssen.

    Klein: Und das ist der Inhalt des Gesetzentwurfes, an dem in Ihrem Ministerium gearbeitet wird?

    Schröder: Das ist der Kern, um den es da geht.

    Klein: Bundesfamilienministerin Kristina Schröder im Interview mit dem Deutschlandfunk heute Morgen.

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