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Bundesinnenminister: Wir dürfen keine Verbrecher fördern

Im Kampf gegen Extremismus müssten auch künftig V-Leute eingesetzt werden, sagt Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich. Dazu sei jedoch eine bessere Kontrolle notwendig, auch in den Ländern. Nötig sei daher ein gemeinsames V-Mann-Register, so der CSU-Politiker.

Moderation: Silvia Engels | 22.05.2013
    Silvia Engels: In Hannover treffen sich am Nachmittag die Innenminister von Bund und Ländern zu ihrer Frühjahrskonferenz. Das Spektrum reicht von der Senkung der Promillegrenzen für Radfahrer bis hin zum Aufenthaltsrecht für radikal-islamistische Prediger.

    Am Telefon ist Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich von der CSU. Guten Morgen!

    Hans-Peter Friedrich: Guten Morgen.

    Engels: Beginnen wir doch mit den Kriterien für V-Leute, also den geheimen Zuträgern des Verfassungsschutzes. Wir haben gerade Ihren Innenministerkollegen aus NRW von der SPD gehört. Herr Jäger forderte gerade geringere Geldbeträge an V-Leute, Rotation bei der Führung dieser V-Leute und vor allem, dass V-Leute nicht angeworben werden, wenn sie schwere Straftaten verübt haben. Schließen Sie sich dem Forderungskatalog an?

    Friedrich: Ja. Das sind die Prinzipien, die wir schon im Dezember bei der Innenministerkonferenz besprochen haben, über die wir heute abschließend reden werden, und das ist genau die Vorgehensweise. Wir brauchen die V-Leute, das sagt ja auch die Expertenkommission, aber wir müssen natürlich darauf achten, dass wir erstens valide Informationen bekommen, und zweitens dafür sorgen, dass dort nicht Verbrecher gefördert werden, und insofern ist diese Abgrenzung genau richtig.

    Engels: Für den Laien bleibt es ja unverständlich, dass bislang Geld des Staates genau an V-Leute floss, die selbst für Straftaten verurteilt wurden. Warum hat man das so lange laufen lassen?

    Friedrich: Es gab da sicher in den Ländern und im Bund unterschiedliche Herangehensweisen. Wir haben auf Bundesebene seit Längerem eine externe Qualitätskontrolle. Das heißt also: Nicht allein der V-Mann-Führer ist verantwortlich für das, was da bezahlt wird und an wen bezahlt wird, sondern es gibt extern eine Kontrolle, die feststellt, ob das, was da gemacht wird, auch richtig ist. Insofern kann ich nur sagen: Wir empfehlen, diese einheitlichen Standards auf Bundesebene auch auf die Länder zu übertragen. Aber darüber werden wir reden in den nächsten drei Tagen und ich bin überzeugt, dass wir eine gemeinsame Lösung finden werden.

    Engels: Sie wollen empfehlen. Das heißt, die Länder sind noch nicht alle auf Ihrer Seite in diesem Punkt?

    Friedrich: Die Länder wissen, dass wir da eine gemeinsame Herangehensweise brauchen, wobei der Kern allerdings ist, dass wir ein gemeinsames V-Mann-Register machen, so dass wir auch uns gegenseitig Überblick darüber verschaffen, wo sind überhaupt V-Leute und wo gibt es schon Informationszugänge. Das wird sicher ein schwieriger Punkt werden, weil wir dafür sorgen müssen, dass dieses Register wirklich vollständig ist.

    Engels: Es soll ein solches Register geben, aber, bemängeln manche Länder, besser ohne Klarnamen der V-Leute. Da kann es wieder zu Verwechslungen kommen. Ist das wieder ein Beleg dafür, dass ein Amt dem anderen letztlich nicht traut?

    Friedrich: Sie sagen das völlig richtig: Entscheidend ist, dass es nicht zu Verwechslungen kommt. Man muss wissen, wo welches Amt welche Quelle hat. Die Klarnamen sind nicht das Entscheidende, aber es darf keine Irrtümer und Verwechslungen geben. Da gibt es durchaus Möglichkeiten, das zu tun, und ich hoffe, dass die Länder, auch was die Meldung von Informationen an dieses Register angeht, nicht zu zurückhaltend sind.

    Engels: Aber wir können wieder an den Punkt kommen, dass bei V-Leuten nach wie vor jedes Land seinen eigenen Deckel draufhält?

    Friedrich: Nein, das ist ja jetzt Sinn und Zweck der Initiative, dass wir eine gemeinsame Herangehensweise vereinbaren, und das wird auch passieren.

    Engels: V-Leute waren gerade in der Untersuchung des rechtsextremistischen Milieus ein großes Thema. Auf der Innenministerkonferenz wird nun auch intern der Bericht der Bund-Länder-Kommission zum Rechtsextremismus vorgestellt werden. Sie war nach den Pannen rund um die NSU-Ermittlungen eingerichtet worden. Welche strukturellen Probleme sind für Sie da zentral sichtbar geworden?

    Friedrich: Das Entscheidende ist – und ich glaube, das ist auch unmittelbar nach dem Auffliegen dieser NSU-Bande deutlich geworden -, dass wir die Koordinierung, die Zusammenarbeit der unterschiedlichsten Behörden, Sicherheitsbehörden in Deutschland noch enger fördern. Ich habe begonnen mit einem gemeinsamen Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus schon im Jahre 2011. Wir haben eine gemeinsame Rechtsextremismus-Datei, unterstützen also diese Koordinierung durch modernste Informations- und Kommunikationstechnologie. Und wir machen vor allem eine noch stärkere Internet-Auswertung, auch gemeinsam mit den Ländern in diesen Zentren, und ich glaube, dass das die richtige Antwort ist, und die Experten sind auch mit ihren Antworten auf unserer Linie.

    Engels: Gestern Abend berichtete die ARD-Sendung "Report Mainz" über ein Dokument des sächsischen Verfassungsschutzes. Die Autoren dieses Papiers haben offenbar darin schon im Jahr 2000 aufgeschrieben, also einige Monate vor dem ersten Mord, das damals untergetauchte NSU-Trio sei eine potenzielle terroristische Gruppe. Eine Analyse, die man im Nachhinein nur als zutreffend beschreiben kann, aber man hat nichts daraus gemacht. Wieder ein Beispiel für Versagen?

    Friedrich: Na ja, es zeigt zumindest, dass man die Gefährlichkeit der Szene schon an bestimmten Punkten erkennen konnte. Sie wissen ja, dass die bereits mit Rohrbomben herumhantiert haben, ja dann auch untergetaucht sind. Und man wird sich sicher genau anschauen müssen, was ist da im einzelnen passiert, wer hat einen Bericht geschrieben, wo ist der Bericht hingegangen, wer hat dann wie reagiert und was muss man daraus für Schlussfolgerungen ziehen. Und ich bin überzeugt: Am Ende wird es darauf hinauslaufen, dass man genau das macht, was wir jetzt tun, nämlich alle an einen Tisch, alle gemeinsam über die Phänomene reden, ein Thema nie als nur regional begrenztes Thema betrachten, sondern immer ein bundesweites Lagebild herzustellen. Ich glaube, das sind die Antworten, die wir geben müssen, um so was in der Zukunft zu verhindern.

    Engels: Aber es ist ja nur eine von sehr vielen Pannen, hier möglicherweise eklatant, weil man schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt eine ganz klare Fixierung hier hätte haben können. Ist das eine Panne zu viel?

    Friedrich: Ohne Frage gibt es Mängel, gibt es Pannen und eine ganze Reihe. Am Ende wird man nie genau sagen können, welche Panne hat am Ende das Versagen ausgelöst, sondern es gibt eine ganze Reihe von Unzulänglichkeiten, die wir abgeschafft haben beziehungsweise abschaffen, und das ist, glaube ich, auch die richtige Antwort, die wir geben müssen.

    Engels: In dem Bericht der Bund-Länder-Kommission, der jetzt vorgestellt wird, wird dafür plädiert, die Struktur der Verfassungsschutzämter in Bund und Länder im wesentlichen beizubehalten. Wie wollen Sie das angesichts dieser Pannendichte den Menschen noch erklären, die sich nicht vorstellen können, dass da eine Strukturreform zu oberflächlich sein sollte?

    Friedrich: Nein. Wir haben ja unterschiedliche Zuständigkeiten. Wir haben zunächst mal eine Herangehensweise vor Ort. Regional gibt es in Thüringen, in Bayern, in Sachsen, in Nordrhein-Westfalen zunächst mal Vorortstrukturen. Das ist so und da braucht man dann auch Aufklärer, die vor Ort sich mit diesen Strukturen auseinandersetzen. Sobald man erkennt und erkennen kann, das ist eine über die Grenzen hinausgehende Struktur, muss die Bundesebene heran, und um das sicherzustellen, müssen künftig alle Informationen aus dem regionalen Bereich an die Zentrale, also an die Bundesebene gemeldet werden, und ich glaube, das ist auch die richtige Antwort, die uns die Experten empfehlen und die ich auch in meinen Gesetzentwurf, den ich übermorgen vorlegen werde, den Kollegen Innenminister der Länder empfehle.

    Engels: Aber macht diese Panne nicht deutlich, dass es nicht so sehr an den eigentlich schon existierenden Befehlsketten und Kompetenzketten liegt, sondern vielmehr daran, dass nicht ordentlich sortiert wird, dass nicht gewichtet wird, dass auch einander nicht vertraut wird?

    Friedrich: Nein, diese Befehlsketten existieren eben nicht, was Sie jetzt sagen, sondern das ist genau der Mangel. Man hat nur unzureichende Übermittlungsvorschriften, und diese Übermittlungswege müssen verbessert werden. Das ist genau die Antwort.

    Engels: Werden Sie sich mit Ihren Länderkollegen noch vor der Bundestagswahl einig in den zentralen Punkten?

    Friedrich: Selbstverständlich. Wir sind ja schon seit einem Jahr daran. Ich habe schon im August ein Papier vorgelegt, das Schritt für Schritt umgesetzt wird. Ein zentraler Punkt ist das gemeinsame Abwehrzentrum gegen Extremismus und Terrorismus, das wir eingerichtet haben und das eine gemeinsame Geschäftsführung hat. Wir haben wie gesagt im Informations- und Kommunikationsbereich einiges auf den Weg gebracht. Wir werden jetzt die gesetzlichen Grundlagen für die Stärkung der Zentralstellenfunktion, wie von den Experten gefordert, umsetzen. Also wir sind auf einem guten Weg und ich denke, dass wir das allermeiste noch vor dem Herbst umsetzen werden.

    Engels: Was denken Sie? Werden Sie auch durchsetzen können, dass die Generalbundesanwaltschaft gestärkt wird?

    Friedrich: Das ist ein Punkt, wo wir natürlich Gemeinsamkeit auch mit dem Justizressort brauchen. Aber das ist einer der Punkte, die ich schon vor anderthalb Jahren vorgeschlagen habe, die Zentralstellenfunktion auch im Justizbereich herzustellen und dem Generalbundesanwalt die Möglichkeit zu geben, zentrale Ermittlungen zu übernehmen beziehungsweise seine eigene Zuständigkeit durch Ermittlungen zu prüfen. Das ist etwas, was wir mit den Justizkollegen besprechen müssen. Aber ich glaube, die Empfehlungen der Kommission sind so plausibel, dass wir auch dahin kommen werden.

    Engels: Und Ihre Bundesjustizministerkollegin, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, haben Sie da auf Ihrer Seite?

    Friedrich: Davon gehe ich aus, dass sie sich vernünftigen Vorschlägen nicht verschließt.

    Engels: Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich von der CSU – wir blickten auf einige Themen der Innenministerkonferenz, die heute Nachmittag in Hannover beginnt. Vielen Dank für das Gespräch.

    Friedrich: Gerne.


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