Samstag, 20. April 2024

Archiv

Bundesinnenministerium
Verfassungsschutz prüft Beobachtung der "Reichsbürger"

Sachsen-Anhalt beobachtet seit den tödlichen Schüssen auf einen Polizisten im Oktober die sogenannte Reichsbürger-Szene - jetzt könnte die Beobachtung ausgeweitet werden: Das Bundesinnenministerium hat nach Informationen der dpa sowohl das Bundesamt für Verfassungsschutz als auch die Landesbehörden gebeten, ihre bisherige Bewertung der Bewegung zu überprüfen.

19.11.2016
    Mehrere Wappen als Statement für eine Monarchie nach Vorbild des Deutschen Reichs kleben auf einem kleinen Wagen für Menschen mit Gehproblemen.
    Wappen als Statement: Reichsbürger glauben an den Fortbestand des Deutschen Reiches. (imago stock&people)
    Bisher hatte der Verfassungsschutz es abgelehnt, Reichsbürger zu beobachten, weil es sich dabei nicht um eine einheitliche Bewegung handele. Die Aktivitäten müssten in jedem Einzelfall überprüft werden, hatte das Bundesinnenministerium noch im September 2015 mitgeteilt. Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen hatte 2014 nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur (dpa) im Bundestagsinnenausschuss gesagt: "Bei Vielem in der Reichsbürgerbewegung fehlt es an Ernsthaftigkeit."
    Sachsen-Anhalt beobachtet die Reichsbürger seit Kurzem: Das Landesinnenministerium begründete die Entscheidung damit, dass die Anhänger der Gruppierung die Rechtsordnung und die Institutionen der Bundesrepublik grundsätzlich ablehnten. Damit richteten sie sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung.
    Die Anhänger der Bewegung erkennen die Bundesrepublik Deutschland nicht als Staat an. Sie behaupten, das Deutsche Reich bestehe fort - je nach Gruppierung in den Grenzen von 1937 oder 1914. Deutschland müsse also nicht durch die Bundesregierung, sondern beispielsweise durch eine "kommissarische Reichsregierung" (KRR) vertreten werden, die verschiedene Gruppen für sich beanspruchen. Viele Anhänger der Bewegung sind auch in der rechtsextremen Szene aktiv.
    Verdachtsfälle bei der bayerischen Polizei
    Vor einem Monat erschoss ein "Reichsbürger" in Georgensmünd in Bayern einen Polizisten und verletzte drei weitere Beamte. Er muss sich nun wegen Mordes vor Gericht verantworten. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann hatte zudem veranlasste, alle bayerischen Behörden auf Verbindungen zu Reichsbürgern zu überprüfen, da es vier Verdachtsfälle bei der Polizei gebe.
    Anhänger der Szene begehen immer wieder Straftaten. Zuletzt hatte ein "Reichsbürger" in seiner Wohnung im niedersächsischen Sögel sechs Polizisten mit Pfefferspray verletzt.
    "Keine Terrororganisation"
    Experten hatten mit der Überprüfung durch den Verfassungsschutz gerechnet. Dirk Wilking vom Brandenburgischen Institut für Gemeinwesenberatung sagte nach dem Vorfall in Georgsmünd im Deutschlandfunk, das Bundesamt könne erst dann beobachten, wenn die Anhänger sich "klar verhalten". Das sei nun der Fall. Es entwickele sich zudem ein Trend, dass die Ablehnung der Bundesrepublik an sich schon verfassungsfeindlich sei. Er halte die Reichsbürger allerdings nicht für Terrororganisation. Dafür seien sie viel zu heterogen, zu zersplittert und zu winzig.
    Grünen-Politikerin Irene Mihalic forderte das Bundesamt für Verfassungsschutz dazu auf, seine "Passivität" im Umgang mit den "Reichsbürgern" aufzugeben. "Eigentlich hätte es nicht erst dieses schrecklichen Anlasses in Bayern bedurft, um zu erkennen, dass die Reichsbürger eine gefährliche rechtsextreme Bewegung sind."
    (cvo/stfr)