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Bundesliga
Gefährliche Keime in deutschen Fußball-Stadien

In den Stadien der Fußball-Bundesliga gibt es zum Teil große Hygiene-Probleme. Nach Informationen der "ARD-Radio-Recherche Sport" wurden bei Undercover-Untersuchungen in den Stadien in München, Köln und Bremen Funde gemacht, die nicht nur ekelerregend sind, sondern auch krankmachen können: Fäkalkeime im Essen, Bier verunreinigt, Grenzwert-Überschreitungen beim Trinkwasser.

Von Daniel Haselbach | 01.06.2017
    Das Kölner Rhein-Energie-Stadion bei Nacht.
    Hygieneprobleme in Köln-Müngersdorf? (imago sportfotodienst)
    Die Hygiene-Tests der Proben aus den drei Stadien wurden vom Labor für chemische und mikrobiologische Analytik (Lafu) in Delmenhorst durchgeführt. Zuvor hatten Experten in der Münchner Allianz Arena, dem Kölner RheinEnergieSTADION und dem Bremer Weser-Stadion das Trinkwasser sowie Speisen und Getränke, die dort verkauft wurden, untersucht. Und zwar getarnt als Fans bei den Bundesliga Spielen von Werder Bremen gegen Darmstadt (4.3.17), Köln gegen Bremen (5.5.17) und dem FC Bayern München gegen Darmstadt (6.5.17).
    Die Gutachten, die der "ARD-Radio-Recherche Sport" exklusiv vorliegen, belegen diverse, Besorgnis erregende Verunreinigungen in den Arenen: Im Bremer Weser-Stadion wurden demnach auf zwei untersuchten Fischbrötchen Fäkalkeime gefunden. Eines der Brötchen war laut Gutachten zudem mit Eiterbakterien belastet. Darmbakterien, die als Indikator für möglicherweise auch krankmachende Keime gelten, befanden sich dem Test zufolge auch in einem Wrap, einem Brötchen und einem Baguette in München sowie in einem Döner in Köln.
    "Es ist zumindest fragwürdig, ob so ein Döner überhaupt hätte verkauft werden dürfen", sagt Lafu-Chef Gary Zörner. Er vermutet, dass die Verunreinigung durch den Verkäufer entstanden ist, der das Essen und das Wechselgeld mit derselben Hand berührte. "Für solche Fälle sind Hygiene-Schulungen dringend nötig", sagt er.
    Das zuständige Gesundheitsamt schickt normalerweise regelmäßig Lebensmittelkontrolleure auf Rundgänge durch die Stadien. Dabei sollten auch die Hygiene-Schulungen des Verkaufspersonals überprüft werden. Die Stadt Köln teilte auf Anfrage mit, dass die Kontrollgänge regelmäßig stattfinden würden.
    Und auch eine Bierprobe in Köln war auffällig, weil mit Keimen belastet.
    Krankheitsfälle und Beschwerden von Fans durch verunreinigte Speisen und Getränke in den Stadien sind nicht bekannt. Was aber nichts heißt. Experte Professor Thomas Kistemann vom Institut für Hygiene und Öffentliche Gesundheit der Universität Bonn geht davon aus, dass es unter den Zuschauern in den Fußballstadien "immer wieder zu einzelnen Infektionen und zu leichteren Erkrankungen von Magen-Darm-Störungen kommt. Typischerweise kommt es zu einem Durchfall, und der dauert dann zwei, drei Tage an. Jedenfalls wenn der Betroffene ein halbwegs gesundes Immunsystem hat. Wenn er nicht eine Immunschwäche hat, dann wird er das schadlos überstehen. Aber er wird zwei drei Tage krank sein. Sie können natürlich, wenn Sie eine Immunschwäche haben, mit einer Infektion mit solchen Keimen, über die da berichtet wird, sehr schwer erkranken. Da kann es sogar Todesfälle im Einzelfall geben."
    Betreiber und Vereine wehren sich
    Die Stadionbetreiber und Vereine wie der FC Bayern München und Werder Bremen sagen dazu sinngemäß, ohne die kompletten Untersuchungsergebnisse detailliert vorliegen zu haben, und ohne zu wissen, wie diese genau zustande gekommen sind, könne man die aufgeführten Mängel nicht seriös bewerten und darauf reagieren. Werder Bremen teilt aber mit, dass an diesem Tage keine Fälle von Verunreinigungen gemeldet worden seien. Und es in dieser Hinsicht keine negativen Rückmeldungen von Stadionbesuchern gegeben habe.
    Antwort des SV Werder Bremen:

    "Unser Caterer hat zudem versichert, dass er jedem ernstzunehmenden Untersuchungsergebnis nachgeht, um seinen eigenen sehr hohen Qualitätsstandard auch weiterhin gerecht zu werden."
    Antwort des 1. FC Köln:

    "Zur Verunreinigung des Döners:
    Es gab keine Beanstandungen oder Hinweise von Gästen, dass die Qualität hinsichtlich Geschmack, Temperatur und Menge zu beanstanden sei.Die umfangreichen Eigenkontrollen, wie Temperaturkontrollen, Reinigungs-Checks und Sichtproben ergaben ebenfalls keine Auffälligkeiten. Die vom Produkt angefertigte "Rückstellprobe" wurden direkt in die Untersuchung gegeben.

    Die Mitarbeiter werden regelmäßig zum Thema Handhygiene unterwiesen. Alle relevanten Unterlagen und Unterweisungen liegen vor und sind den Mitarbeitern jederzeit zugänglich. Die umfangreichen Eigenkontrollen zum Thema Mitarbeiterverhalten, Arbeitskleidung, Produkthygiene ergaben ebenfalls keine Auffälligkeiten.

    Hier muss wahrscheinlich von einem individuellen Fehlverhalten ausgegangen werden, wobei aus Ihrer Anfrage allein weder der konkrete Kiosk noch der Fall nachvollziehbar hervorgeht. Sollte sich der Sachverhalt konkretisieren, würden entsprechenden Maßnahmen daraus abgeleitet."

    Zur Verunreinigung des Bieres:

    "Am Spieltag 05.05.2017 wurden mehrere zehntausend Portionen Biergetränke ausgegeben. Es gab keine Beanstandungen oder Hinweise von Gästen, dass die Qualität hinsichtlich Geschmack, Temperatur und Menge zu beanstanden sei. Die umfangreichen Eigenkontrollen, wie Temperaturkontrollen, Reinigungs-Checks und Sichtproben ergaben ebenfalls keine Auffälligkeiten, Alle Reinigungsnachweise der entsprechenden Zapf- und Schankanlagen liegen vor und können angefragt werden. Zusätzlich werden regelmäßig von Fresenius Schankanlagen- und Bierproben genommen und analysiert, um einen einwandfreien hygienischen Zustand der Anlage zu garantieren und gleichzeitig die Reinigungsqualität des zuständigen Schankanlagenreinigers zu überprüfen."
    Keime auch in Trinkwasserproben
    Bedenklich sind laut Gutachten auch die Ergebnisse der Trinkwasser-Untersuchungen: In Proben, die aus Wasserhähnen in Herrentoiletten der Allianz Arena und dem Weser-Stadion genommen worden waren, wurden die Grenzwerte für die Gesamtkeimzahl überschritten. In Perlatoren, also Filtern von Wasserhähnen, in München, Bremen und Köln hatte sich laut Labor dicker, dunkler Schleim gebildet, in dem eine stark erhöhte Bakterienkeimzahl festgestellt wurde, im Weser-Stadion sogar potentielle Krankheitserreger, Staphylokokken.
    "Das geht gar nicht. Mir ist das unbegreiflich, wie ein Perlator so aussehen kann, wenn man das regelmäßig überprüft hat", sagt Lafu-Chef Gary Zörner, der bezweifelt, dass das Trinkwasser in den Stadien tatsächlich gründlich getestet wird. "Wenn die Gesamtkeimzahl so hoch ist, ist das ein Indikator dafür, dass viele andere Keime, die krank machen, darin enthalten sein können", erklärt er.
    Antwort des SV Werder Bremen:

    "Der Stadionbetreiber konnte uns versichern, dass es in den letzten Jahren zu keinen Verunreinigungen des Trinkwassers gekommen ist. Das Trinkwasser im Leitungsnetz des Weser-Stadions wird regelmäßig von einem öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen überprüft. Die letzte Untersuchung hat im Februar 2017 stattgefunden. Die Untersuchung hatte den Schwerpunkt Legionellen. Es wurden keine Verunreinigungen des Trinkwassers festgestellt. Die Lieferung des Trinkwassers erfolgt durch einen lokalen Trinkwasserversorger, der seinerseits die Qualität des Trinkwassers regelmäßig überprüft bzw. überprüfen lässt."
    Antwort des 1. FC Köln:

    "Ein Abstrich an einem einzelnen Perlator ist weder aussagekräftig noch seriös und stellt keine Untersuchung des Trinkwassers dar. Die regelmäßigen Untersuchungen des Trinkwassers im RheinEnergieSTADION durch die Universität Köln haben keinerlei Beanstandungen ergeben."
    Legionellen-Funde in 10 von 36 Stadien der 1. und 2. Bundesliga
    Wie die Recherchen ergeben haben, sind aber die Fußball-Profis selbst der größten Gefahr durch Verunreinigungen im Stadion ausgesetzt - den Legionellen.
    Die Reporter der "ARD-Radio-Recherche Sport" haben herausgefunden, dass im Laufe der vergangenen Jahre in jedem dritten Bundesligastadion Legionellen im Trinkwasser festgestellt worden waren. Legionellen gehören zu den gefährlichsten Bakterien, die schwere Lungenentzündungen auslösen und sogar tödlich verlaufen können. Weil sie beim Duschen aufgenommen werden, könnten hier also die Fußball-Profis unmittelbar gefährdet gewesen sein. In der Frankfurter Arena laufen derzeit sogar noch Maßnahmen, um das Legionellen-Problem im Stadion in den Griff zu bekommen. Krankheitsfälle sind nicht bekannt. Experten gehen aber davon aus, dass sich Fußball-Spieler mit Legionellen in der Vergangenheit infiziert haben müssen. Offensichtlich seien die Krankheitsverläufe wohl aber nicht so schwer gewesen, als dass die Legionellen-Fälle als solche erkannt worden sind.
    Die Gefahr, dass Legionellen entstehen, ist in Fußballstadien besonders groß. Weil dort das Wasser in den Leitungen zum Teil über Wochen steht. In der Sommerpause, wenn das Stadion nicht genutzt wird. Selbst unter der Saison wird in einigen Stadien nur am Wochenende gespielt. Wenn dann die Duschen aufgedreht werden, könnten sich die Spieler ganz leicht infizieren, sagt Experte Professor Thomas Kistemann von der Uni Bonn.
    Einige Stadionbetreiber wie die in Mainz und bei Union Berlin haben deswegen an Wasserhähnen und Duschen Vorrichtungen angebracht, die in kurzen Abständen automatische Spülungen ermöglichen.
    Erhöhte Ansteckungsgefahr für Fußballprofis
    "Der Infektionsweg der Legionellen erfolgt nicht über das Verschlucken des Wassers, sondern über das Aerosol. Das heißt also über die feinen Tröpfchen-Partikel, die sich gerade beim Duschen, oder im Whirlpool bilden. Und der Spieler der duscht, atmet die Luft ein. Und mit dem Einatmen der Luft dringen die Aerosol-Partikel in seine Lunge. Und dort können sich die Legionellen dann einnisten und vermehren und zur Erkrankung führen", erklärt Professor Thomas Kistemann.
    Und gerade die Fußballprofis seien, wenn sie direkt nach dem Spiel in die Umkleidekabine kommen und sich Duschen, besonders Infekt anfällig. "Weil gewisse Reaktionen auf der immunologischen Ebene dazu führen, dass die Immunkompetenz, also die Möglichkeit, Infektionen abzuwehren, für die Phase der Hochleistung und einige Stunden danach, sogar reduziert ist. Das heißt, wir haben eine Population, also eine Gruppe von Menschen, die eher gefährdet ist, als die Allgemeinbevölkerung", so Hygiene-Experte Kistemann.
    Nach Informationen der "ARD-Radio-Recherche Sport" wurden in den vergangenen Jahren in 10 der 36 Stadien der Erst- und Zweitligisten der Saison 2016/2017 Legionellen festgestellt. Neben der Arena in Frankfurt außerdem noch in Darmstadt, Mainz, Leverkusen, Hoffenheim, dem Berliner Olympiastadion, sowie in Nürnberg, Karlsruhe, Bochum und Sandhausen. In Hoffenheim und Sandhausen wurden die Befunde als unbedenklich eingestuft. In allen anderen Stadien lagen die Werte über dem sogenannten technischen Maßnahmenwert von 100 KBE/100 ml, und damit im Risikobereich. Denn ab 100 KBE/100 ml können laut Experten schon Infektionen auftreten.
    In einigen Stadien liefen Sanierungsmaßnahmen ab, ohne, dass die Öffentlichkeit darüber informiert wurde, wie in Mainz im Jahr 2015 und in Bochum in der Zeit nach 2015. Und nicht nur in Frankfurt ist nach Angaben der Behörden das Legionellen-Problem im Stadion noch aktuell, sondern auch in Bochum. Hier wurden 2017 im dritten Jahr in Folge erhöhte Legionellenwerte gemessen, und zwar in den alten Kabinen im Stadion. Diese würden zwar nicht mehr von den Fußballern benutzt werden, eine Zeit lang hätten sich in den betroffenen Kabinen im Stadion allerdings noch die Sicherheitskräfte umgezogen, teilte der Pressesprecher des VFL Bochum mit. Ob das immer noch der Fall ist, wisse er nicht.
    Im Stadion in Nürnberg wurden im Vorfeld der Fußball-WM 2006 festgestellt. In Unterhaching in der Dritten Liga musste 2012 sogar der gesamte Duschbereich gesperrt und renoviert werden. Die Spieler mussten sich in Containern duschen, die für die Dauer der Sanierungsarbeiten vor dem Stadion aufgestellt waren.
    Krankheitsfälle von Legionellen bei Fußball-Profis sind bis heute aber nicht bekannt. Prof. Thomas Kistemann, der sich seit Jahren mit der Thematik beschäftigt, sieht sich durch die Recherche-Ergebnisse darin bestätigt, dass es aber sicher Fälle gegeben haben muss. Die aber offenbar nicht erkannt wurden, weil der Krankheitsverlauf nicht so schwer war, dass es zu einer Lungenentzündung gekommen ist. Sondern möglicherweise nur zu einem Pontiac-Fieber, das auch durch Legionellen ausgelöst wird.
    "Pontiac-Fieber, das ist sozusagen der kleine Bruder. Der macht zwei, drei Tage grippalen Infekt. Da ist der Spieler natürlich auch geschwächt, nimmt nicht am Training Teil, muss vielleicht bei einem Spiel aussetzen,…, die dann langsam wieder ins Training eingestiegen sind, und wo im Grunde genommen nicht weiter hinterfragt oder untersucht wurde, was der eigentliche Grund gewesen ist", so Kistemann.
    Auf Anfrage gibt kein einziger Bundesliga-Verein an, seine Spieler schon mal explizit auf Legionellen oder eine Legionellen-Vorerkrankungen untersucht zu haben. Dabei wäre es ganz einfach, eine Blutabnahme und ein entsprechender Test-Auftrag für das Labor genügt. Legionellen bei Fußballprofis - eine unsichtbare Gefahr, die überhaupt noch nicht systematisch untersucht wurde. Und die offensichtlich von Fußball-Vereinen vollkommen unterschätzt wird.
    Experten fordern Vereine zum Umdenken auf
    Universitäts-Professor Kistemann rät den Bundesliga-Vereinen, das Thema Hygiene aktiv anzugehen. Die Clubs sollten standardisierte Legionellen-Kontrollen bei den Spielern einführen, in den Stadien beim Trinkwasser und den Lebensmitteln von sich aus eigene Kontrollen durchführen, das Verkaufspersonal besser schulen und dafür sorgen, dass nur frische Produkte angeboten werden.
    Außerdem seien die gesetzlichen Vorschriften, wie im Stadion das Wasser kontrolliert und die Ergebnisse dann dem Gesundheitsamt mitgeteilt werden müssen, zu lax.
    Lafu-Chef Gary Zörner fordert ein Umdenken und strengere Kontrollen: "Die Ergebnisse haben nicht einmal Kreisklassen-Niveau, das darf gar nicht sein. Aber wir haben schon viele solcher Kontrollen im Lebensmittelbereich getätigt und die Gefahren werden immer wieder unterschätzt. Vor allem die Gefahr durch Antibiotika resistente Keime hat in den vergangenen Jahren immer mehr zugenommen. Das Wasser sieht sauber und klar aus, kann aber krank machen. Hier wird eindeutig zu wenig kontrolliert".
    Update 2. Juni 2017, 9 Uhr:

    Inzwischen hat sich auch der FC Bayern München zu dem Bericht geäußert. Er schreibt in einer Stellungnahme:

    "Das Trinkwasser in der Allianz Arena wird – wie gesetzlich vorgeschrieben – regelmäßig nach der aktuellen Trinkwasserverordnung untersucht. Bei den Laboruntersuchungen des Trinkwassers wurden keinerlei Auffälligkeiten festgestellt.

    Grundsätzlich überwacht und dokumentiert unser Gastronomiepartner Arena One im Rahmen des speziell für die Allianz Arena ausgearbeiteten Qualitätsmanagementsystems sämtliche Prozesse und Vorgänge. Zusätzlich werden durch das externe Hygieneinstitut FRESENIUS regelmäßig unangekündigte Audits durchgeführt. Hierbei werden sowohl qualitätsrelevante Prozesse geprüft und Lebensmittelproben sowie Oberflächenabklatsche gezogen. Im Rahmen des letzten Audits der Kioske vom 1. April 2017 wurden Ergebnisse zwischen 97,15 Prozent und 99,64 Prozent erzielt.

    Nach Durchsicht der internen HACCP-Dokumente vom in Ihrer Anfrage angeführten Spieltag (6.5.17) sind keinerlei Abweichungen bei Anlieferung, Lagerung, Transport sowie Abgabe sämtlicher Speisen feststellbar.

    Sämtliche Mitarbeiter werden regelmäßig gemäß den gesetzlichen Vorgaben sowie des Infektionsschutzgesetzes nachweislich belehrt. Die Supervisor aller Kioske sind angewiesen, die Mitarbeiter nicht nur auf Kundenfreundlichkeit, sondern auch auf Personalhygiene zu überprüfen und zu trainieren."