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Bundesnachrichtendienst
"Es ist klug, jetzt den Wechsel einzuleiten"

Angesichts der anstehenden Ausrichtung auf neue Aufgaben des Bundesnachrichtendienstes sei es richtig, den Prozess in eine Hand zu legen, sagte Patrick Sensburg (CDU), Vorsitzender des NSA-Untersuchungsausschusses, im DLF. Da Gerhard Schindler nur noch knapp zwei Jahre im Amt geblieben wäre, sei ein Wechsel an der Führungsspitze klug. Mit Bruno Kahl komme ein BND-Chef, der für diese Aufgaben gut gewappnet sei.

Patrick Sensburg im Gespräch mit Thielko Grieß | 27.04.2016
    Patrick Sensburg (CDU), Vorsitzender des NSA-Untersuchungsausschusses
    Patrick Sensburg (CDU), Vorsitzender des NSA-Untersuchungsausschusses (picture alliance/dpa/Soeren Stache)
    Thielko Grieß: Der Chef des Bundesnachrichtendienstes, Gerhard Schindler, hatte gestern Nachmittag einen Termin, einen öffentlichen. Er hat sich mit der Kanzlerin angeschaut, wie digitale Terrorabwehr funktionieren soll. Keiner der Beobachter, der bei diesem Termin dabei war, hat bemerkt, dass Schindlers Tage als Chef des Bundesnachrichtendienstes gezählt sind. Am Abend kam dann die Meldung, das Bundeskanzleramt, zuständig für den BND, wolle den 63jährigen Gerhard Schindler austauschen, in den Ruhestand schicken. Als neuer Chef des BND ist Bruno Kahl im Gespräch, ein Abteilungsleiter aus dem Bundesfinanzministerium. Zeitpunkt und Personalie sind in Berlin eine Überraschung.
    Der Bundesnachrichtendienst bekommt einen neuen Chef und jetzt begrüße ich am Telefon Patrick Sensburg, Abgeordneter der CDU im Deutschen Bundestag. Guten Tag, Herr Sensburg.
    Patrick Sensburg: Ich grüße Sie!
    Grieß: Ich ordne Sie kurz ein: Sie sind Fachmann für Sicherheitspolitik und leiten den Untersuchungsausschuss zum Gebaren des amerikanischen Geheimdienstes NSA.
    Sensburg: Richtig.
    Grieß: Wenn Schindler geht, demnächst, Ende Juni, bekommt er von Ihnen wenigstens noch einen Blumenstrauß?
    Sensburg: Er würde sicherlich einen Blumenstrauß bekommen. Aber es geht ja nicht um die Verleihung von Blumen. Ich glaube, dass Herr Schindler eine gute Arbeit gemacht hat in den Jahren, in denen er den BND geführt hat. Im Dialog mit dem Parlament war er offen. Er hat für den BND gestritten. Das erwarte ich von einem Präsidenten des BND. Er hat aber auch die parlamentarische Kontrolle ermöglicht und bei uns im NSA-Untersuchungsausschuss die Fehler eingestanden, die wir auch vermutet haben. Er hat offen auch Kritik nach innen geübt und wollte den BND dementsprechend reformieren.
    Grieß: Das ist doch ein ganz anständiges Zeugnis, das er hier von Ihnen bekommt, Herr Sensburg. Warum jagen Sie ihn dann vom Hof?
    Sensburg: Das ist richtig, das ist ein anständiges Zeugnis, und das wird ja auch bei den Kommentaren der Kollegen aus den anderen Fraktionen deutlich, dass Herr Schindler doch bei den Kolleginnen und Kollegen geachtet war. Man muss aber sehen: Mit 63 Jahren und den Aufgaben, die jetzt anstehen - wir wollen ja den Bundesnachrichtendienst, was die interne Kommunikation, was die Aufstellung zum Beispiel der Abteilung Technische Aufklärung, was aber auch die Ausrichtung auf neue Aufgaben in einer digitalen Welt angeht - neu ausrichten. Das ist ein Prozess, der wird lange dauern, und ich glaube, da ist es klug, diesen aus einer Hand zu beginnen, nicht nach knapp zwei Jahren dann einen Wechsel zu haben an der Führungsspitze, sondern jetzt den Wechsel einzuleiten.
    Grieß: Wenn 63 Jahre ein Ausschlusskriterium ist für solche schwierigen Posten, dann dürfte die Kanzlerin demnächst nicht mehr antreten für die nächste Amtszeit; sie ist 61.
    Sensburg: Der BND-Präsident muss natürlich in Rente gehen als Spitzenbeamter. Da steht eine Pensionierung an. Das haben wir bei anderen Tätigkeiten nicht. Von daher hätten wir hier die Diskussion in zwei Jahren ja gehabt, wer wird der Nachfolger, kann man vielleicht noch mal um ein oder zwei Jahre verlängern, wie geht das, und das vor dem Hintergrund anstehender Reformen. Da ist es, glaube ich, schon eine richtige Entscheidung, für die gute Arbeit einerseits Herrn Schindler als jetzigen Noch-Präsidenten zu danken, andererseits aber auch zu sagen, wir müssen die Weichenstellung am Anfang der Reformen machen und nicht mittendrin die Pferde wechseln.
    Grieß: Das haben wir eben gehört von der Kollegin Gudula Geuther aus dem Hauptstadtstudio. Sie haben den Bericht ja auch gehört. Das ist offenbar, diese Personalie, in der Koalition nicht im Vorhinein abgesprochen gewesen. Warum denn nicht?
    Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Gerhard Schindler, spricht im Juli 2015 auf der Jahrestagung der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche  in Hamburg.
    BND-Chef Gehard Schindler geht Ende Juni. (picture alliance / dpa / Bodo Marks)
    Sensburg: Wir diskutieren natürlich nicht Personalfragen in breiter Öffentlichkeit, auf dem Marktplatz. Ich glaube, dass es eine richtige Entscheidung ist, dass so eine Personalentscheidung dann schnell getroffen wird. Insbesondere ist es wichtig, dass sie klug getroffen wird. Ich glaube, dass mit Bruno Kahl ein Fachmann an die Spitze des Bundesnachrichtendienstes kommt, der den Bundesnachrichtendienst einerseits, was notwendig ist, inhaltlich neu aufstellt nach innen hin, der aber auch die Kommunikation zum Parlament, zu den Kontrollgremien pflegen wird. Von daher, glaube ich, ist es eine Entscheidung, die in den nächsten Jahren tragen wird.
    Grieß: Noch einmal festgehalten: Die Personalie BND-Chef, die müssen Sie als Sicherheitspolitiker vorher nicht erfahren? Das interessiert Sie vorher auch nicht?
    Sensburg: Mich interessiert ganz, ganz viel und es ist immer schön für Abgeordnete, wenn sie als erste Bescheid wissen. Aber die Entscheidung trifft nicht der einzelne Abgeordnete. Die wird in der zuständigen Behörde getroffen. Das kann entweder das Innenministerium sein, das kann das Kanzleramt sein, ob wir über den Verfassungsschutz reden oder den BND reden. Diese Entscheidung ist getroffen worden. Man kann über den Zeitpunkt diskutieren. Ich halte den Zeitpunkt, am Anfang von Reformen neu zu starten, besser, als während der Reformen die Pferde zu wechseln.
    "Kahl kann über den Tellerrand hinausgucken"
    Grieß: Bruno Kahl, der Neue, gilt als ein Vertrauter des Bundesfinanzministers, von Wolfgang Schäuble. Das Vertrauen Wolfgang Schäubles zu erlangen, ist vermutlich auch schon eine gewisse Leistung. Aber was kann er ansonsten?
    Sensburg: Ich glaube, dass der Finanzminister Wolfgang Schäuble sowohl in seiner Funktion als Innenminister als auch als Finanzminister Leistung abgefordert hat von seinen Beamten. Er leistet auch selber wirklich sehr viel. Von daher ist das sicherlich ein Plus, das sagen Sie zurecht. Ich glaube aber auch, dass er die Strukturen der Ministerien kennengelernt hat, über den Tellerrand hinausgucken kann und eine Persönlichkeit ist, so wie ihn kenne, der ein dementsprechend großes Amt, wie der Bundesnachrichtendienst es ist, führen kann, der aber auch den Dialog zum Parlament verstehen wird, weil den musste er auch schon als Abteilungsleiter in Ministerien führen. Von daher ist er für so eine Aufgabe gewappnet. Aber das sage ich auch: Auf den BND kommen viele Herausforderungen zu. Das wird kein leichter Job sein. Und er muss nicht nur intern wirken, sondern auch sich immer wieder mit der Bundesregierung, dem Kanzleramt, aber auch intensiv mit dem Parlament auseinandersetzen.
    Grieß: Ist denn Wolfgang Schäuble mit all der Erfahrung und seinen Mitarbeitern, die er geprägt hat über die Jahre, so eine Art nebenamtlicher Sicherheitsminister im Kabinett?
    Sensburg: Das sehe ich jetzt nicht. Ich glaube, dass er ein guter Innenminister war. Ich glaube auch, dass er ein exzellenter Finanzminister war, und er hat genug Aufgaben als Finanzminister, deutschlandweit den Haushalt zu konsolidieren, aber auch europaweit für Stabilität zu kämpfen. Er wird sich nicht in innenpolitische Sicherheitsfragen einmischen. Mit dem Blick aufs Ganze im Kabinett sind aber alle Minister, auch der Justizminister beispielsweise aufgerufen, das Ganze zu sehen, und da ist Wolfgang Schäuble jemand, der wirklich auch das Ganze im Blick haben kann.
    Diskussion um neue Kompetenzen des BND
    Grieß: Wolfgang Schäuble hat sich vor kurzem dagegen verwahrt oder dagegen argumentiert, den BND in seiner Aktivität im Ausland zu sehr zu beschränken. Führt Bruno Kahl jetzt das aus, was sich sein künftiger Ex-Chef wünscht?
    Sensburg: Ich werde jetzt nicht quasi für Bruno Kahl jetzt seine Aufgaben definieren. Es ist richtig, dass der Bundesnachrichtendienst für uns ein ganz wesentlicher Dienst ist, der uns Klarheit schaffen muss über weltpolitische Lagen und Fragen, und von daher brauchen wir den Bundesnachrichtendienst. Er muss aber im Rahmen der Gesetze handeln und sein Handeln muss auch nachprüfbar sein, auch durch das Parlament. Diesen Spagat muss der neue Präsident des Bundesnachrichtendienstes leisten. Aber wir werden auch darüber diskutieren, ob der Bundesnachrichtendienst neue Kompetenzen braucht in einer digitalen Welt, wo Terroristen und Attentäter ganz neue Kommunikationswege nutzen.
    Der designierte BND Präsident Bruno Kahl, aufgenommen am 27.04.2016 im Bundeskanzleramt in Berlin.
    Der designierte BND Präsident Bruno Kahl, aufgenommen am 27.04.2016 im Bundeskanzleramt in Berlin. (dpa / picture alliance / Michael Kappeler)
    Grieß: Jetzt haben Sie gerade gesagt, Sie wollten da nicht so gerne Vorschläge machen. Aber da muss ich dann doch noch mal nachfragen: Was soll der Bundesnachrichtendienst denn im Digitalen tun?
    Sensburg: Wir diskutieren ja schon jetzt darüber, wie die Möglichkeit ist, in sozialen Netzwerken Informationen zu gewinnen. Es reicht nicht mehr aus, wenn Sie beispielsweise in Syrien die Tageszeitungen, die nicht frei sind, lesen und zusammenschneiden und einen Bericht aus den entsprechenden Ländern für das Außenministerium, das Innenministerium und das Parlament erstellen. Sie müssen sehr viel in die sozialen Netzwerke gucken, wo Sie ganz andere Lagebilder kriegen, wo Oppositionelle im Grunde frei, noch halbwegs frei ihre Berichte und ihre Dokumentationen veröffentlichen können. Das wird ein Punkt sein.
    Wir werden besser in den Datenaustausch gehen müssen. Es kann nicht sein, dass wir Dinge wissen, aber unsere Partnerländer nicht und umgekehrt. Das haben wir bei den Attentaten in Paris und Belgien ja leidlich erfahren. Also wir müssen da noch besser werden.
    Grieß: Nicht nur in der Amtszeit Gerhard Schindlers, aber eben auch ist es ja dazu gekommen, dass der Bundesnachrichtendienst das Bundeskanzleramt nicht darüber informiert hat, dass auch Freunde, befreundete Staaten zum Beispiel und deren Figuren ausgespäht wurden. Erwarten Sie vom neuen Chef, dass das nicht wieder vorkommt?
    Sensburg: Das ist ja einer der Punkte, die Gerhard Schindler offen auch bei uns im Untersuchungsausschuss zugegeben hat. Er ist da ganz offen mit den Fehlern umgegangen. Und das ist ja ein Wunsch sowohl von uns Parlamentariern, aber ich gehe davon aus auch von der Bundesregierung, dass das abgestellt wird, dass die Kommunikation nach oben zum Präsidenten, aber dann auch ins Kanzleramt und dann wieder in die Parlamentarischen Kontrollgremien funktioniert. Wir wollen wissen, was der BND macht, arbeitet er im Rahmen des Auftragsprofils der Bundesregierung, und wenn er andere Dinge macht, die sich nicht gehören, dann müssen die Gremien unterrichtet werden und das abgestellt werden, und das muss der neue BND-Präsident gewährleisten.
    Grieß: Wann treffen Sie sich mit ihm?
    Sensburg: Jetzt wollen wir erst mal gucken, dass wir Herrn Schindler ordentlich verabschieden, wie es sich für einen guten Präsidenten gebührt. Dann wird zum 1. Juli der neue Präsident eingeführt voraussichtlich und dann wird es sicherlich auch ein zeitnahes Treffen geben. Jetzt ist aber erst mal noch Gerhard Schindler mein Ansprechpartner.
    Grieß: Aber nicht mehr lange. - Danke schön! - Patrick Sensburg von der CDU heute bei uns im Deutschlandfunk im Interview. Einen guten Tag wünsche ich.
    Sensburg: Gleichfalls.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.