Donnerstag, 28. März 2024

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Bundesparteitag der Grünen
"Pragmatische Entscheidung, ohne grüne Kultur über Bord zu werfen"

Auf dem Parteitag haben die Grünen die Trennung von Partei- und Regierungsämtern gelockert. So könne der Vizeministerpräsident Robert Habeck - falls er zum Vorsitzenden gewählt würde - in Schleswig Holstein einen verantwortlichen Übergang organisieren, sagte Grünen-Politikerin Claudia Roth. "Im September ist diese Übergangszeit vorbei."

Claudia Roth im Gespräch mit Stephanie Rohde | 27.01.2018
    Die Grünen-Politikerin und Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth
    Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Claudia Roth (dpa / Maurizio Gambarini)
    Stephanie Rohde: Die Grünen wählen also heute die neue Doppelspitze, die die Partei dann in die Zukunft führen soll. Aber in welche Richtung? Darüber möchte ich sprechen mit Claudia Roth, sie war bis 2013 Parteivorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen und ist derzeit Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags. Guten Morgen!
    Claudia Roth: Schönen guten Morgen, Frau Rohde!
    "Ein grüner Parteitag ist nicht einfach"
    Rohde: Frau Roth, die Wahl der Grünen-Parteivorsitzenden ist wahnsinnig kompliziert mit diesen ganzen Regelungen. Wären Sie gerade lieber in der CDU?
    Roth: Oh nein, nein, um Gottes willen, nein, nein, nein! Aber so ist es nun mal, ein grüner Parteitag ist nicht einfach, das ging gestern auch sehr emotional zu bei uns, es sind sehr leidenschaftliche Reden gehalten worden und dann haben wir am Ende bei der Satzungsdebatte etwas gezeigt, das würde ich vielleicht als pragmatische Prinzipientreue bezeichnen: Wir haben die Trennung von Amt und Mandat, die bei uns ein sehr hohes Gut unserer politischen grünen Kultur ist, nicht aufgegeben, aber wir haben eine Übergangsfrist ermöglicht für Menschen, die in exekutiven Ämtern, also in Ministerämtern sind, und das war eine pragmatische Entscheidung, ohne jetzt sozusagen die alte grüne Kultur über Bord zu werfen. Genauso wird es sein mit dem Frauenstatut, das gilt. Wir sind eine Partei, die als allererste gezeigt hat, dass die Frauen eben auch an zentralen Stellen ihre Politik ausüben können müssen, und wir haben die Stellvertretenden, wir haben die Beisitzer des Bundesvorstands zu stellvertretenden Bundesvorsitzenden jetzt gemacht, das ist eine Umbenennung, aber es ist mehr als eine Umbenennung, es soll auch zeigen, dass ein Bundesvorstand ein Team ist, das gemeinsam arbeiten muss.
    "Eines ist klar: Im September ist diese Übergangszeit vorbei"
    Rohde: Frau Roth, Sie selber haben 2002 vorübergehend den Parteivorsitz verloren wegen dieser damals geltenden Unvereinbarkeit von Amt und Mandat. Wie neidisch sind Sie, dass Robert Habeck jetzt eine Extrawurst bekommt?
    Roth: Na ja, übrigens war das auch in Hannover, also ich bin da schon ein bisschen mit gemischten Gefühlen nach Hannover in diese Halle gekommen, weil, damals hat es an sieben Stimmen gefehlt, dass Fritz Kuhn und ich weiter Parteivorsitzende bleiben konnten. Aber wir haben dann ja eine Urabstimmung gemacht und da wurde schon die strikte Trennung von Amt und Mandat etwas erweitert, es durften auch Menschen mit einem Mandat im Bundesvorstand sein. Das heißt, ich bin dann ja wieder Vorsitzende geworden. Was mir wichtig ist, dass man jetzt bei uns sehr klargemacht hat: Das, was uns stark gemacht hat, das werden wir nicht einfach über Bord werfen, sondern wir versuchen, es realistisch umzusetzen. Und wir wollen denen, die in anderen verantwortungsvollen Funktionen sind wie Robert Habeck als Vizeministerpräsident in Schleswig-Holstein, dennoch die Möglichkeit geben, einen guten, einen klugen, einen verantwortlichen Übergang zu organisieren in Schleswig-Holstein. Eines ist klar: Im September ist diese Übergangszeit vorbei, sollte Robert Habeck gewählt werden heute, und dann ist er nur noch Parteivorsitzender.
    Rohde: Aber so ganz happy klingen Sie darüber nicht, muss ich sagen.
    Roth: Doch, ich bin zufrieden! Es war eine heftige Auseinandersetzung, es war gut. Und ich finde richtig, dass man Menschen, die verantwortliche Übergänge gestalten wollen, diese Möglichkeit auch gibt. Wir bleiben uns selber treu, aber wir passen diese Treue an Rahmenbedingungen an, wir geben uns nicht auf, aber wir machen es möglich, dass Menschen in Verantwortung ihre anderen Funktionen übergeben. Ich klinge nicht unhappy, Frau Rohde!
    "Es wird ja so sein, dass die besten Kandidaten gewählt werden"
    Rohde: Frau Roth, warum können die Grünen nicht ganz einfach die besten Kandidaten wählen?
    Roth: Ja, es wird ja so sein, dass die besten Kandidaten gewählt werden. Aber es hat uns eben auch stark gemacht, dass wir Funktionen nicht nur auf ganz, ganz wenige Personen reduzieren, sondern wir sind eine vielfältige Partei. So wird es auch bleiben, wir sind eine Partei mit sehr unterschiedlichen Männern und Frauen, mit sehr unterschiedlichen Perspektiven auch. Und wir wollten eben durch diese Reduzierung von wenigen Leuten, die alle Ämter und alle Macht in sich haben, genau das verhindern, was man ja in anderen Parteien jetzt erlebt, übrigens auch bei der CDU erlebt, wo Frau Merkel sehr, sehr lange sozusagen die wichtigsten Positionen einnimmt und man, glaube ich, das nicht als besonders beispielhaft bezeichnen kann.
    "Unterschiedlichen Flügel einer Partei können etwas sehr Inspirierendes sein"
    Rohde: Sie sagen, Sie sind eine vielfältige Partei. Und viele Beobachter stellen sich die Frage: In welche Richtung soll das gehen? Man bekommt so ein bisschen den Eindruck, die Grünen wollen mehr Mitte wagen mit diesen Realos und gleichzeitig aber auch mehr links sein. Leidet die Grüne wie so häufig daran, dass sie zu offen ist für alles und dann vielleicht nicht mehr ganz dicht?
    Roth: Nee, nee. Also ich muss Ihnen sagen, wenn ich mir so das politische Umfeld angucke, dann finde ich, dass wir verdammt dicht sind, aber dass wir sehr wohl wissen, dass auch die unterschiedlichen Strömungen einer Partei, dass die unterschiedlichen Flügel einer Partei etwas sehr Inspirierendes sein können, etwas sehr Profilierendes sein können, etwas, was eine streitbare Auseinandersetzung in einer Partei – streitbar nicht gegeneinander, nicht gegen Personen, sondern streitbar, wie wir uns mit den großen, globalen Herausforderungen auseinandersetzen –, dass das etwas sehr Positives ist. Und ich glaube, es ist sehr klar, was wir sind. Wir sind eine moderne linke Partei, die wertebasiert ist, die emanzipatorisch ist und die ziemlich genau weiß, was die großen Herausforderungen sind.
    Rohde: Eine große Herausforderung ist die Migration. Während der Jamaika-Sondierung haben die Grünen das Angebot gemacht, 200.000 Flüchtlinge pro Jahr aufzunehmen, so eine Art Obergrenze zu haben. Jetzt sagen Sie, Sie wollen sich wieder mehr für den Familiennachzug einsetzen, also gehen da mehr wieder in die linke Richtung. Ist das nur ideologisch flexibel oder auch beliebig?
    Roth: Nein, es stimmt einfach nicht. Ich meine, die CSU hat sich sehr bemüht, mit ihren typischen Schmutzeleien interessengeleitet die Sondierungen zu interpretieren, das stimmt einfach nicht. Mit uns wird es keine Obergrenze geben. Das Grundrecht, …
    Rohde: Aber die Grünen haben 200.000 Flüchtlinge angeboten.
    Roth: … weil das Grundrecht auf Asyl keine Obergrenze kennt. Und da war ganz klar, das war übrigens auch mit Frau Merkel sehr klar so vereinbart: Es gibt keine Obergrenze beim Grundrecht auf Asyl, es gibt keine Begrenzung, wenn es um Flucht geht, aber es gibt die Notwendigkeit – und das macht ja auch Sinn –, dass man sagt, wir stellen uns auf eine bestimmte Größenordnung ein, auf einen bestimmten Rahmen, wir stellen uns darauf ein, was die Infrastruktur von Aufnahme angeht, was Wohnungen angeht, was Integrationskurse angeht. Und ist es die ganzen letzten Jahre eine Größe um die 200.000, aber keine Obergrenze. Und glauben Sie mal nicht, dass wir in den Sondierungsgesprächen nicht für die Familie gestritten haben, und bei uns hätte es eben nicht das gegeben, was jetzt die kleine Große Koalition offensichtlich vorhat, dass der Familiennachzug für subsidiär Geschützte nämlich komplett abgeschafft wird. Wir haben gesagt, mit uns Grünen gilt das Grundrecht, das Grundrecht auf Familie, der Artikel 6. Da steht ja nicht drin "Schutz von deutscher Familie", sondern "Schutz von Familie". Und da hätten wir auf keinen Fall einer Regelung zugestimmt, wie sie jetzt von der Großen Koalition im Sondierungspapier drinsteht.
    "Wir waren immer Bewegungspartei, da brauche ich nicht Frau Wagenknecht dazu"
    Rohde: Robert Habeck hat gesagt, er möchte eine attraktive Bewegungspartei sein. Inzwischen sind ja alle wieder bewegt, auch Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine von der Linkspartei wollen eine große linke Bewegung starten. Bleibt den kleinen Grünen angesichts der AfD als starke Oppositionsführerin gar nichts anderes übrig, als sich mit Wagenknecht zusammenzutun?
    Roth: Nein, das sehe ich irgendwie … Wenn ausgerechnet Frau Wagenknecht und Herr Lafontaine von einer linken Bewegung sprechen, da muss ich Ihnen sagen, da habe ich erhebliche Zweifel, was das Links da eigentlich meint. Denn es ist Frau Wagenknecht, die immer Positionen in der Flüchtlingsfrage eingenommen hat, die weder humanistisch sind noch aus meiner Sicht links, sondern die sich durchaus nach CSU-Sound anhören. Wenn ich mir anhöre, was Frau Wagenknecht zu der ganz großen Herausforderung Europa sagt, dann unterscheidet sich das sehr von uns, denn wir wollen in Zeiten von Trump und von Putin und von Erdogan und wie sie alle heißen, aber auch von Orbán und von denen, die in Polen gerade den Rechtsstaat versuchen zu zertrümmern, wir brauchen eine ganz, ganz klare und starke europäische Perspektive. Wir waren immer Bewegungspartei, da brauche ich nicht Frau Wagenknecht dazu. Wir haben immer gesagt, wir sind diejenigen, die den Kontakt, die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft, mit den Bewegungen brauchen, mit der Umweltbewegung, mit den Flüchtlingsbewegungen, mit der Demokratiebewegung. Wir sind nicht die kleinen Grünen, sondern wir sind glaube ich eine sehr starke Partei, die sich diesen Herausforderungen stellt, sich nicht wegduckt und nicht in Legislaturperioden denkt.
    Rohde: Das sagt Claudia Roth, sie war bis 2013 Parteivorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen und ist derzeit Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Vielen Dank für das Gespräch!
    Roth: Ich danke Ihnen, Frau Rohde, Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.