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Bundespräsident hat Spielraum

Die Präsidentin der Europa-Universität Viadrina, Gesine Schwan, hat sich für ein Selbstauflösungsrecht des Bundestags ausgesprochen. Die Auflösung der Volksvertretung sei allerdings eine der letzten Entscheidungskompetenzen des Präsidenten. Laut Schwan hat Horst Köhler durchaus Spielraum in dieser Frage.

Moderation: Klaus Remme | 29.06.2005
    Klaus Remme: Warum hat man nur den Eindruck, dass in diesem Land alles komplizierter ist als anderswo. Bundestag und Bundesrat blockieren sich gegenseitig. Der Bundeskanzler meint, ausgerechnet durch ein konstruiertes Misstrauensvotum soll ein konstruktives Mittel der Innenpolitik werden. Und wenn sich SPD-Abgeordnete dann bei einer Vertrauensfrage der Stimme enthalten, ist dass angeblich auch eine Art, dem Kanzler Vertrauen zu schenken, so Franz Müntefering, der Fraktionsvorsitzende. Ob es den Wähler überzeugt, darf bezweifelt werden. Doch zunächst sind andere gefragt. Bundespräsident Köhler muss letztendlich über eine Auflösung des Parlaments entscheiden, und auch das Bundesverfassungsgericht wird sich vermutlich mit dem umstrittenen Prozedere beschäftigen. Am Telefon ist jetzt Gesine Schwan, sie ist Politikwissenschaftlerin und Präsidentin der Europa-Universität Viadrina. Guten Morgen, Frau Schwan.

    Gesine Schwan: Einen schönen guten Morgen.

    Remme: Frau Schwan, Vertrauen in die Politik ist ein Thema, das Ihnen immer besonders wichtig war und ist. Überzeugt Sie das Verfahren, das der Kanzler am Abend der NRW-Wahl in Gang gesetzt hat?

    Schwan: Das Wahlverfahren kann nicht restlos überzeugen, weil es einfach in der Sache sehr schwierig ist, vom Legalen her. Es ist vom demokratischen Impetus durchaus überzeugend, weil ich verstehen kann, dass Schröder versuchen möchte - nachdem in den Landtagswahlen die rot-grüne Koalition immer mehr verloren hat - auszuprobieren, ob er für seine Politik eine Mehrheit hat. Er hat wohl befürchtet, dass wenn er das nicht noch einmal ausprobiert, dass seine Politik dann sozusagen langsam stirbt. Entweder direkt zu Ende oder mit einem neuen Schub voran. Ich glaube, das war das konstruktive Kalkül, was er sich gedacht hat und das ist auch einigermaßen nachvollziehbar. Aber da wir bei uns keine Selbstauflösung des Parlaments im Grundgesetz haben, ist das Verfahren einfach ungemein kompliziert. Ich kann gut verstehen, dass viele das nicht mitmachen wollen.

    Remme: Spätestens seit den Landtagswahlen sind die Zerfallserscheinungen offen zu besichtigen. Warum ist die Politik dieser Regierung so aus dem Ruder gelaufen?

    Schwan: Ich glaube eigentlich nicht, dass die Politik zunächst aus dem Ruder gelaufen ist, sondern die Regierung hat eine schwere Entscheidung nach der anderen treffen müssen, die für die Bevölkerung über weite Strecken nicht gut nachvollziehbar war. Ich vermute, dass jede andere Regierung, die das versucht hätte, ganz ähnlich gescheitert wäre - wir sehen das auch in den anderen Ländern in Europa - gescheitert eben nicht, dass sie sachlich falsch sein muss, sondern gescheitert in dem Sinne, dass sie nicht die Mehrheit der Bevölkerung mit sich nimmt. Das liegt generell an dem Problem, dass aus meiner Sicht seit der immer deutlicheren Globalisierung der Ökonomie nationalstaatliche Politik damit kaum noch fertig werden kann, diese Ökonomie kaum noch gestalten kann. Das spüren die Menschen. Sie wollen andererseits immer wieder, dass die Politik das tut. Die Politik verspricht das auch halb oder sogar manchmal vollmundig vor den Wahlen, um die Gesellschaft zu gewinnen. Aber sie kann es hinterher nicht halten. Ich glaube, dass jede vollmundige Regierung dabei scheitern muss.

    Remme: Aber, Frau Schwan, andere Staaten, auch Nachbarländer, tun dies mit größerem Erfolg.

    Schwan: Das sagt man immer. Aber dann muss man natürlich nachfragen, warum tun sie es zum Teil mit größerem Erfolg. Das eine ist, dass sie es vielleicht früher und richtiger angefangen haben. Der zweite Punkt ist aber auch, dass in den Staaten, die der Bundesregierung vor allen Dingen vorschweben und das sind die skandinavischen, der Grundkonsens in der Gesellschaft sehr viel besser funktioniert, als bei uns. Meine Analyse ist seit längerer Zeit, dass wir nicht mehr zwischen den großen tragenden Verbänden unserer Gesellschaft den Grundkonsens darüber haben, was wir gemeinsam wollen. Sondern dass da zum Teil durchaus der Versuch besteht, die andere Seite - das gilt jetzt gegenseitig - insbesondere gegen die Gewerkschaften, weil die eine schwache Position haben, dass man die praktisch weitgehend aus dem Spiel bringt. Und auf diese Weise kann es nicht gelingen.

    Remme: Frau Schwan, eines hat die SPD-Spitze schon geschafft, es entsteht eine linke Alternative angeführt von Leuten, die wissen, wie man Stimmung macht. Ist das Ihrer Ansicht nach eine Herausforderung von Dauer?

    Schwan: Ich glaube das nicht, weil ich nicht sehe, dass da irgendeine programmatische und auch noch nicht mal eine persönliche Substanz dahinter ist. Deswegen sehe ich das nicht. Ich würde auch nicht sagen, dass die SPD-Spitze das geschafft hat, sondern das ist einfach das Ergebnis einer Politik, die das Hauptversprechen, die Arbeitslosigkeit zurückzufahren, nicht einlösen kann. Wir wollen abwarten, wie das mit einer anderen Politik - wenn sie versucht würde - werden würde. Ich glaube, das ist einfach das Ergebnis dessen, dass diese hohe Anzahl der Arbeitslosen nicht in kurzer Zeit wegzubringen sind. Und man muss natürlich auch jetzt fragen, ob eine weitgehend auf Angebotspolitik orientierte Regierungspolitik das schaffen kann. Ich glaube das gegenwärtig in der Tat. Angesichts dessen, dass die Binnennachfrage bei uns und die Binnendynamik das Hauptproblem darstellen, nicht die Nachfrageseite politisch mehr bedacht werden muss.

    Remme: Es wird nicht zum ersten Mal über das Instrument der Vertrauensfrage gestritten. Sie haben das eben schon mal angedeutet. Wäre es nicht besser, anstelle dieser Winkelzüge, die Verfassung zu ändern?

    Schwan: Ich glaube, es wäre besser. Man hat es ursprünglich nicht in die Verfassung bringen wollen, weil man befürchtete, dass wie zu Weimarer Zeiten die Regierungen zu instabil werden und das Parlament sich immer wieder ohne konstruktive Alternative auflöst. Das ist ja auch eine völlig nachvollziehbare Sorge. Es haben sich aber inzwischen in Deutschland so stabile Verhältnisse etabliert, dass diese Sorge jetzt nicht mehr so bestehen muss. Ich würde schon dafür plädieren. Man muss allerdings dazu sagen, dass das eine der letzten Entscheidungskompetenzen - die wirklich akut politisch sind - des Bundespräsidenten ist, wobei diese Entscheidung eigentlich auch nicht politisch, sondern in erster Linie verfassungsgemäß getroffen werden muss.

    Remme: Die Entscheidung ist - wie gesagt - letztendlich eine des Präsidenten. Kann er denn durch seine Entscheidung etwas von dem Vertrauen in Politik retten, was anderswo verspielt wurde?

    Schwan: Das glaube ich ehrlich gesagt nicht. Ich bin ja ohnehin der Meinung, dass ein Bundespräsident sich nicht in akute Politik einmischen sollte und darf, weil das Ergebnis nur die Delegitimierung der jeweiligen wirklich zuständigen Politik ist. Wenn man sich jetzt mal kurz fragte, ob der Präsident oder die Präsidentin, wenn sie akut in der politischen Verantwortung wären, es besser machen würden, dann ist ja die Antwort ganz offen. Es ist immer leichter für einen Bundespräsidenten, eine Bundespräsidentin, die über den Parteien steht, das Vertrauen der Gesellschaft zu haben - das war in allen Umfragen über alle Jahrzehnte so - als sich dann wirklich ins Getümmel zu begeben. Und wenn ein Präsident oder eine Präsidentin aktiv immer wieder, wenn auch nur verbal, in die Politik eingreift, dann ist das Ergebnis im Grunde nur Wasser auf die Mühlen von Populisten, die sagen, na ja die aktiven Politiker taugen sowieso nichts.

    Remme: Hat denn Horst Köhler angesichts des allgemeinen Drucks aller Parteien überhaupt einen Spielraum nach Freitag?

    Schwan: Natürlich hat er einen Spielraum. Er muss das alleine entscheiden. Und wie immer er es entscheidet, er wird deswegen weder aus dem Amt gehen müssen noch wird er vor anderen Autorität verlieren. Das ist seine ganz persönliche Entscheidung. Ich glaube, wenn ein Bundespräsident, wenn er der Meinung wäre, dass er das Parlament nicht auflösen darf, einem öffentlichen Druck nicht standhalten könnte, dann wäre er seinem Amt nicht gewachsen.

    Remme: Frau Schwan, Sie haben vor einem Jahr für das Amt kandidiert. Sind Sie froh, dass Sie diese Entscheidung nicht treffen müssen?

    Schwan: Nein, ich habe ja nie Angst vor schwierigen Entscheidungen gehabt. Das ist kein Punkt. Aber ich habe, nachdem die Wahl entschieden war, mich ehrlich gesagt nicht mehr mit dem Gedanken beschäftigt, was ich gemacht hätte.

    Remme: Sie haben die Problematik gerade erörtert. Wie würden Sie entscheiden?

    Schwan: Dazu habe ich mich jetzt im Detail nicht genug mit allen rechtlichen Dingen befasst. Dazu kann ich Ihnen keine eindeutige Antwort geben.

    Remme: Die Politikwissenschaftlerin und Präsidentin der Europa-Universität, Gesine Schwan, war das. Frau Schwan, ich danke Ihnen für das Gespräch.