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Bundespräsidentenwahl
"Es ist eine sehr hilfreiche Komponente, wenn jemand tatsächlich gläubig ist"

Margot Käßmann für das Amt des Bundespräsidenten vorzuschlagen, war eine kluge Idee, sagte der Politikberater und Buchautor Erik Flügge im DLF. Es würden nun wieder pastorale Präsidenten gesucht, denn es sei wichtig, einen Bewerber "ethisch verorten" zu können. "Es spricht für einen Kandidaten, eine Kandidatin, wenn diese Person öffentlich glaubt", so Flügge.

Erik Flügge im Gespräch mit Christiane Florin | 13.10.2016
    Erik Flügge - politischer Stratege mit eigenem Unternehmen
    Man suche für das Bundespräsidentenamt immer "eine integrierende Figur". Außer der Kirche blieben aktuell dafür nicht viele Autoritäten übrig, sagte der politische Stratege Erik Flügge im Interview mit dem Deutschlandfunk. (Deutschlandradio/David Sievers, Squirrel & Nuts GmbH)
    Christiane Florin: Joachim Gauck ist evangelischer Pastor. Johannes Rau hatte für alle Gelegenheiten einen Bibelspruch parat. Gustaf Heinemann war mit einer Theologin verheiratet. Bundespräsidenten verwandeln schon mal gerne Reden in Predigten und Bürger in Schäfchen. SPD-Chef Sigmar Gabriel wollte offenbar an diese große Tradition des pastoralpräsidialen Tons anknüpfen. Er hat Margot Käßmann als mögliche Bundespräsidentin ins Gespräch gebracht. Die frühere Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche und derzeitige Reformationsbotschafterin hat aber abgelehnt - dankend.
    Ich bin nun verbunden mit Erik Flügge, er ist Politikberater, Kommunikationsberater - unter anderem für die SPD und die Grünen - und er ist ein Kenner der kirchlichen Sprache, wie er in seinem Buch "Der Jargon der Betroffenheit" beweist. Über dieses Buch haben wir hier in der Sendung auch schon einmal gesprochen. Jetzt mal pastoral gefragt: Margot Käßmann als Bundespräsidentin. Was wollte uns, wenn nicht gleich Gott, so doch Gabriel damit sagen?
    Erik Flügge: Was der Erzengel uns damit sagen wollte ... Ich glaube, dass wir gerade in einer Phase sind, in der unterschiedliche Personalien abgetestet werden und dabei wird versucht, bezogen auf die Mehrheitsverhältnisse in der Wahlversammlung, so vorzugehen, dass möglichst viele sich hinter einer Personalie versammeln können. Von daher war Margot Käßmann eine recht kluge Idee.
    Sie haben über die Komponente der Religion bei CDU/CSU einen Anknüpfungspunkt, Sie haben über das Thema der Solidarität, das bei Margot Käßmann stark ist, und darüber, dass sie eine Frau ist, natürlich auch Sympathien bei den Grünen. Sie können aber auch den Bogen bis zur Linkspartei spannen, die Margot Käßmann eben deswegen schätzen, weil sie eine klare Kriegsgegnerin und Auslandseinsatzgegnerin ist.
    Für die SPD ist Margot Käßmann sowieso vermittelbar. Von daher war die Idee grundsätzlich erstmal gut und politisch funktional. Spannend ist, dass es dann zusätzlich eine Theologin ist und das durchaus - wie Sie es eben beschrieben haben - in einer langen Reihe von pastoralen Bundespräsidenten steht.
    "Andere Autoritäten sind zurzeit stark dekonstruiert"
    Florin: Nun leiden aber die Kirchen nicht gerade an Überfüllung. Ein Drittel der Deutschen fällt bei den Statistikern in die Rubrik "ohne Bekenntnis". Aber in der Politik gibt es offenbar eine pastorale Sehnsucht. Warum soll der Jargon der Betroffenheit in der Politik und speziell im Bundespräsidialamt funktionieren, der in den Kirchen schon länger nicht mehr funktioniert?
    Flügge: Wir haben ja eine ganze Phase gehabt, in der diese pastoralen Präsidenten nicht mehr präsent waren. Horst Köhler, Christian Wulff, davor auch ein bisschen. Wir haben ein Segment von Jahren gehabt, in denen diese Präsidenten nicht gesucht wurden. Jetzt werden sie wieder gesucht. Und das hat auch damit zu tun, dass andere Autoritäten zurzeit stark dekonstruiert sind.
    Wirtschaftliche Autoritäten sind seit der Finanzmarktkrise und eigentlich auch davor schon stark unter Druck geraten. Publizistische Autoritäten sind zurzeit stark unter Druck unter dem Vorwurf der Lügenpresse. Die Politik ist sowieso gerade an einem Punkt, an dem sie ständig angegriffen wird von Bürgerinnen und Bürgern.
    Man sucht für das Bundespräsidentenamt eben immer eine integrierende Figur und aktuell bleiben nicht so viele Autoritäten übrig, außer jetzt beispielsweise die Kirchen. Das war zum Beispiel ganz anders, als der Missbrauchsskandal in den Kirchen auf dem Höhepunkt war; da wäre niemand auf die Idee gekommen, einen Pastor, eine Pastorin zu fragen, ob er oder sie Bundespräsident werden möchte.
    "Das leistet ein Theologiestudium, dass Sie diese Multiperspektivität einnehmen können"
    Florin: Nehmen wir einen Tag wie heute. Ein Terrorverdächtiger nimmt sich in seiner Gefängniszelle das Leben. Würden Sie da einem Bundespräsidenten, einer Bundespräsidentin zu einem pastoralen Ton raten, zu einer Rede die den Menschen in den Mittelpunkt stellt?
    Flügge: Das ist natürlich eine riesige Herausforderung, die man am heutigen Tag hat. Deswegen bin ich froh, dass ich dieses Amt nicht füllen muss als Bundespräsident. Man muss nämlich heute zweierlei machen: Einmal muss man thematisieren, dass wir wirklich einen Justizskandal in Sachsen haben und dass es möglich ist, dass ein Selbstmordattentäter, der unter hoher Beaufsichtigung steht, sich das Leben durch Erhängen nehmen kann, was ja durchaus Zeit braucht. Das heißt: Da muss jemand weggesehen haben oder nicht hingesehen haben. Zumindest ist genügend Zeit dafür übrig gewesen.
    Gleichzeitig habe ich einen einzelnen Menschen, der sein Leben verloren hat, aber zuvor klar geplant hatte, anderen Menschen das Leben zu nehmen. Da haben Sie es mit so einer komplexen ethischen Situation zu tun und gleichzeitig mit politischen Vorwürfen, dass Sie zumindest darin ausgebildet sind, sich über so etwas Gedanken zu machen. Das leistet ein Theologiestudium tatsächlich, dass Sie diese Perspektiven, diese Multiperspektivität einnehmen können.
    "Wir wollen eine Person, die moralisch-ethisch leitend wirkt"
    Florin: Ist Bellevue ein Kathedralen-Ersatz? Sollen da die Predigten gehalten werden, die sich Pastoren und Pastorinnen nicht mehr trauen oder zutrauen?
    Flügge: Nein, ganz bewusst glaube ich nicht. Wenn es ein Kathedralen-Ersatz wäre, dann hätten wir einen papstähnlichen Bundespräsidenten - das haben wir aber nicht. Wir haben mit dem Bundespräsidentenamt als Erfahrung aus der Weimarer Republik ja ganz bewusst eine moralische Instanz, die gleichzeitig relativ wenig Autorität hat. Deswegen wird der Bundespräsident bei uns auch nicht vom Volk gewählt, damit er nicht zu viel Autorität erhält.
    Wir wollen ganz bewusst eine Person, die moralisch-ethisch leitend wirkt und genau dafür ausgewählt wird, die aber nicht politisch dominant ist. Das wäre in Kirchen, insbesondere mit Blick auf die katholische Kirche, anders. Da würde der Bundespräsident mit Prunk und Pomp auftreten und wie ein Popstar sich wie der Papst inszenieren.
    "Offensichtlich hat sich in Herrn Gaulands ethischem Fundament etwas verschoben"
    Florin: Navid Kermani ist auch als Bundespräsidentenkandidat im Gespräch - zumindest bei uns Medien. Er hat seine Friedenspreisrede im vergangenen Jahr mit einem Gebet beendet. Spricht praktizierter Glaube, öffentlich gezeigter Glaube, eher für oder eher gegen einen Kandidaten? Oder hängt es vom Glauben ab?
    Flügge: Ich glaube tatsächlich, dass das erstmal für einen Kandidaten, eine Kandidatin spricht, wenn diese Person öffentlich glaubt. Das liegt daran, dass ich natürlich für das Bundespräsidentenamt unbedingt möchte, dass ich jemanden ethisch verorten kann. Also ich möchte, wenn jemand eine ethische Leitfunktion in unserer Gesellschaft wahrnehmen soll, sicher sein als jemand, der diese Person wählt, dass dessen Ethik sich unterwegs nicht radikal verändert, dass es keinen massiven Umschwung gibt.
    Ein Beispiel: Der Herr Gauland war zuvor Herausgeber der MAZ (Märkische Allgemeine Zeitung; Anm. d. Red.) und war CDU-Mitglied, jetzt ist er plötzlich Fraktionsvorsitzender der AfD. Offensichtlich hat sich in seinem ethischen Fundament etwas verschoben. So etwas möchte ich für das Bundespräsidentenamt ausschließen. Deswegen ist es immer eine sehr hilfreiche Komponente, wenn jemand tatsächlich gläubig ist, denn von diesem Glauben wird sich jemand so schnell nicht lossagen - vor allem wenn der einen schon sehr lange begleitet.
    "Religion macht verortbar"
    Florin: Und Religion macht ethisch?
    Flügge: Naja, Religion macht zumindest verortbar. Sie können zum Beispiel erahnen, wo sich jemand in der Abtreibungsdebatte positioniert, je nach dem zu welcher Konfession jemand gehört und wie stark jemand gläubig ist. Schauen Sie sich Winfried Kretschmann in Baden Württemberg an. Das ist auch jemand, der eine hohe Glaubwürdigkeit dadurch gewinnt, dass er immer wieder sein Katholischsein formuliert und sagt: Die Bewahrung der Schöpfung, das ist für mich nicht nur grüne Ideologie, sondern das ist für mich tatsächlich grundlegender Teil meiner innersten Überzeugung und meines Glaubens. Das verschafft Stabilität und am Ende auch moralische Autorität.
    Florin: Es wirkt so, als seien Spitzenämter schwer vermittelbar. Warum sagen so wenige: Wow, das ist eigentlich ein toller Job, ich will Bundespräsident, ich will Bundespräsidentin werden? Warum muss man immer so tun als sei ein hohes Amt ein Fallbeil, das auf einen herabsaust, wie es der frühere Papst Benedikt einmal ausgedrückt hat, als er gerade zum Papst gewählt worden war?
    Flügge: So wie das Amt des Bundespräsidenten in Deutschland konstruiert ist, haben wir tatsächlich Herausforderungen, es zu finden. Für diejenigen, die heute aktiv in der Politik sind und ein Ministerium führen beispielsweise, ist es eher uninteressant ins Bundespräsidentenamt überzugehen, außer ganz am Ende ihrer Karriere, weil sie dort nicht mehr so viel Einfluss und Macht haben werden, weil sie nicht mehr eine komplette Verwaltung unter sich haben, die sie steuern.
    Gleichzeitig haben wir auch ein paar Bundespräsidenten in der näheren Vergangenheit gehabt, die einfach in dem Amt dekonstruiert wurden: Horst Köhler, der das Gefühl hatte, zurücktreten zu müssen, als er zu politisch wurde, Christian Wulff, der wegen einem Bobby-Car zurücktreten musste. Da finde ich es logisch, dass Angst da ist.
    Florin: Ethische Verortung mahnt Erik Flügge an. Herzlichen Dank für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.