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Haßelmann: Verlängerung der Wahlperiode "nicht das richtige Signal"

Die Grünen sehen eine Ausdehnung der Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre skeptisch. Wenn dann müsse sie verbunden sein mit der Einführung von mehr Elementen der direkten Demokratie wie Volksentscheide, sagt die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Britta Haßelmann, im Deutschlandfunk.

Britta Haßelmann im Gespräch mit Peter Kapern | 28.12.2013
    Leere Stühle im Bundestag
    Die Idee einer längeren Wahlperiode wird unter anderem von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) unterstützt. (dpa / picture-alliance / Michael Kappeler)
    Peter Kapern: Bei uns am Telefon ist nun Britta Haßelmann, die parlamentarische Geschäftsführerin der grünen Bundestagsfraktion. Guten Tag, Frau Haßelmann!
    Britta Haßelmann: Ja, hallo, guten Tag!
    Kapern: Frau Haßelmann, Sie haben es gerade gehört: Im Bundesrat ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig, um die Legislaturperiode zu verlängern. Die Grünen können das Projekt also zu Fall bringen. Werden sie das auch tun?
    Haßelmann: Na, wir werden da jetzt erst mal diskutieren, weil die Frage, was hat jetzt eigentlich Priorität, ... Wir starten gerade mit einer sehr, sehr großen Koalition in diese 18. Legislaturperiode, und ich glaube, dass ganz oben auf der politischen Agenda jetzt erst mal die Frage Wahrung der Minderheitenrechte im Deutschen Bundestag stehen muss, die Frage von Rede, Gegenrede, die Frage der Untersuchungsausschüsse und der Wahrung der Minderheitenrechte – und dann kann man darüber diskutieren: Was kann eigentlich unsere repräsentative Demokratie gut ergänzen? Und da, finde ich, ist die direkte Demokratie total wichtig, und darüber werden wir Grüne natürlich im Bund und in den Ländern dann diskutieren, wenn ein entsprechender Vorschlag gemacht wird. Noch liegt der ja nicht vor, es sind irgendwelche Überlegungen in der Weihnachtspause. Aber mir geht es darum: Verbunden mit einer solchen Idee muss doch sein mehr Beteiligung, mehr Mitentscheidung, mehr Transparenz und mehr Zugang für Bürgerinnen und Bürger zum Wahlrecht, und kann man nicht einfach nur über fünf statt vier Jahre reden.
    Kapern: Das klingt aber so, als wäre Ihre Partei bereit, sich auf einen Deal einzulassen nach dem Motto: Ein paar Minuten mehr Redezeit im Bundestag oder etwas Ähnliches, und auf der anderen Seite hält man dann den Bundesbürger länger von den Wahlurnen fern.
    Haßelmann: Nein, nein, nein. Also wir müssen das Thema nicht verknüpfen. Ich sage, für mich hat jetzt im Moment nicht die Frage fünf statt vier Jahre Priorität, sondern die Frage der Wahrung der Minderheitenrechte im Deutschen Bundestag. Das steht ganz oben auf der Agenda und ...
    "Muss immer verknüpft sein mit mehr direkter Demokratie"
    Kapern: Aber warum fällt es Ihnen so schwer, Frau Haßelmann, einfach zu diesem Projekt Verlängerung der Legislaturperiode „Nein!“ zu sagen?
    Haßelmann: Wir haben immer vertreten die Auffassung, dass es unbedingt verknüpft sein muss mit mehr direkter Demokratie. So, und das ist eine zentrale Voraussetzung für die Grünen. Wir wollen, dass es mehr Beteiligung für Bürgerinnen und Bürger gibt, dass es mehr Mitentscheidungsmöglichkeiten gibt, das Thema Volksentscheide, Volksbegehren, diese ganzen Fragen von direkter Demokratie und dem Zugang zum Wahlrecht, sowohl für jüngere Menschen als auch für Menschen ohne deutschen Pass – das waren immer Punkte, wo wir gesagt haben als Grüne: Wenn ihr über eine Verlängerung der Legislaturperioden diskutieren wollt, dann bitte muss dies klar verbunden sein mit mehr direktdemokratischen Elementen. Darüber wird bisher ja öffentlich gar nicht gesprochen. Das vermissen wir, und deshalb, finde ich, steht es für uns nicht auf der Tagesordnung.
    Kapern: Das könnte ja ein seltsamer Handel werden, Frau Haßelmann, wenn man jetzt Volksentscheide einführt. Auf der einen Seite, da lesen wir ja beispielsweise, dass sich in der Schweiz nur kleine Minderheiten, jedenfalls nicht sehr viele Menschen, an solchen Volksentscheiden beteiligen, und das im Gegenzug für eine Reduktion der Zahl der Bundestagswahlen dann nur noch alle fünf Jahre, bei denen es heute in Deutschland eine sehr hohe Beteiligung gibt.
    Haßelmann: Also zum einen, finde ich, muss die Frage von mehr Beteiligung und Volksentscheiden, Volksbegehren immer auch mit einem wirksamen Minderheitenschutz verbunden sein. Das ist für mich selbstverständlich. Die Rechte eine Minderheit einzuschränken - das muss einfach ganz klar geregelt und definiert werden, dass es einen wirksamen Minderheitenschutz gibt, das ist für mich eine ganz wichtige Voraussetzung für mehr direkte demokratische Elemente, die wir durchaus einführen sollten, das ist meine Auffassung immer schon gewesen. Denn die Frage, wie ist eigentlich die Lebendigkeit unserer demokratischen Mitwirkung auf Dauer zu sichern – da ist es doch ganz wichtig, dass wir den Menschen viel stärker mit einbeziehen, dass wir das zivilgesellschaftliche Engagement stärker einbeziehen. Und dazu gehört dann aber eben auch ein wirksamer Minderheitenschutz.
    Kapern: Aber jetzt sind Sie meiner Frage etwas ausgewichen, Frau Haßelmann. Warum ist es besser, wenn 30 Prozent der Wahlberechtigten an einem Volksentscheid teilnehmen, besser, als wenn 70 Prozent der Wahlbürger an einer Bundestagswahl teilnehmen?
    Haßelmann: Das eine ersetzt das andere doch nicht.
    Kapern: Aber doch in gewissem Maße, wenn man nur noch alle fünf Jahre wählen lässt.
    Haßelmann: Ja, also mein Projekt ist es nicht, alle fünf Jahre zur Bundestagswahl zu gehen. Ich glaube auch, dass es öffentlich im Moment nicht das richtige Signal ist. Es geht doch darum, dass neben unserer repräsentativen Demokratie, dass die gut ergänzt werden kann durch direkte demokratische Elemente. Und das sollte im Vordergrund stehen, nicht die Verlängerung der Wahlperiode.
    "Wahlkampfzeiten gehören doch genauso zur Demokratie"
    Kapern: Wir haben ja von den Befürwortern dieser Verlängerung der Wahlperiode gehört, dass man in Wahlkampfzeiten gar nicht so gut Politik machen kann und der Wahlkampf eigentlich stört bei der Arbeit eines Parlamentariers. Ist das nicht in gewissem Sinne auch eine Bankrotterklärung der Repräsentanten in einer repräsentativen Demokratie, wenn sie zugeben müssen, dass sie in Wahlkampfzeiten keine gute Politik mehr machen können?
    Haßelmann: Also Wahlkampfzeiten gehören doch genauso zur Demokratie dazu wie die Frage transparente politische Parteien. Also das ist doch ein ganz wichtiger Punkt, dass es die Auseinandersetzung gibt darüber, wer vertritt welche Auffassung in welcher inhaltlichen Frage, wer ringt um Positionen und wer repräsentiert auch eine bestimmte Haltung, einen Wertekanon, eine politische Idee und ein Konzept? Und von daher kann ich eine solche Argumentation gar nicht nachvollziehen.
    Kapern: Das heißt aber doch, die Grünen müssen für die Beibehaltung der vierjährigen Legislaturperiode eintreten, oder nicht?
    Haßelmann: Ja. Wir haben das Projekt Verlängerung auf fünf Jahre nicht auf die politische Tagesordnung gesetzt und ich sage: Wenn wir damit konfrontiert werden vonseiten der Großen Koalition, dann muss in diese Debatte sofort reinkommen das Thema direkte Demokratie, mehr Beteiligung, mehr Transparenz, mehr Mitentscheidung für Bürgerinnen und Bürger.
    Kapern: Dann sind wir gespannt, ob die Grünen am Ende des Tages für oder gegen die Verlängerung der Legislaturperiode sind. Das war Britta Haßelmann, die parlamentarische Geschäftsführerin vom Bündnis 90/Die Grünen heute Mittag im Deutschlandfunk. Frau Haßelmann, danke für das Gespräch, einen schönen Tag noch!
    Haßelmann: Ja, danke, Ihnen auch!
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