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Bundestagswahl
Das Programm der FDP

Die Wahlprogramme als politische Literatur: Unsere Korrespondenten haben alle Papiere der chancenreichen Parteien gelesen und ordnen sie nach bestimmten Kriterien ein. Nicht zuletzt interessieren uns der Stil und die Ansprechhaltung. Erster Teil: Die FDP.

Von Stefan Maas | 31.07.2017
    Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner und FDP-Generalsekretärin Nicola Beer sprechen auf einer Pressekonferenz im Hans-Dietrich-Genscher-Haus in Berlin. Die FDP stellt den Programmentwurf zur Bundestagswahl 2017 vor.
    Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner und FDP-Generalsekretärin Nicola Beer bei der Vorstellung des Programms zur Bundestagswahl 2017. "Schauen wir nicht länger zu", der Titel des Wahlprogramms klingt wie die dazu passende Beschwörung (dpa / Silas Stein)
    "Wir sehen die Herausforderungen", mit dieser Überschrift beginnt das Programm der Freien Demokraten für die Bundestagswahl. In wenigen Zeilen sind diese Herausforderungen umrissen:
    Eine Welt, die sich rasend schnell verändert, Wohlstand, der verteidigt werden will genauso wie Freiheit und Demokratie selbst.
    Doch während mancher politische Mitbewerber ein Land sieht, das wehrlos äußeren Bedrohungen ausgeliefert ist, eine ausgelaugte Gesellschaft voll ausgebeuteter Arbeitnehmer beklagt, sieht die FDP:
    "ein Land voller Kraft und Gestaltungswillen. Das platzt vor Ideen. Ein Land voller brachliegender Potenziale."
    Die zu entfesseln, das ist für die Freien Demokraten die wahre Herausforderung.
    1. Die Schwerpunkte
    Bäume, die in den Himmel wachsen sollen, brauchen zunächst starke Wurzeln. Und das heißt: Bildung. Doch nicht irgendeine Bildung.
    "Weltbeste Bildung für jeden ist ein 'Mondfahrtprojekt'. So wie John F. Kennedy sein Land mit einer gewaltigen Kraftanstrengung auf den Mond führte, wollen wir Deutschland an die Spitze der Bildungsnationen dieser Welt zurückführen."
    Damit die so entflammten Potenziale nicht ungenutzt verglühen, will die FDP die Gründerkultur vorantreiben, die Bedingungen für Wagniskapital sollen verbessert werden, moderne Geschäftsmodelle brauchen nicht nur die technische Infrastruktur, weshalb der Netzausbau vorangetrieben werden soll; sie brauchen auch einen passenden Rechtsrahmen, deshalb sollen etwa die Regelungen zur Personenbeförderung angepasst werden, das gilt auch für den Taximarkt. Die Ladenöffnungszeiten sollen flexibilisiert werden, damit die kreativen Menschen, die von überall aus und zu allen Zeiten arbeiten können sollen, dann einkaufen können, wann es gerade gut passt. Sonntagsverkaufsverbot? Von gestern.
    Der dazu passende Staat ist schlank und stellt sich der Zukunft nicht in den Weg.
    2. Die Gesellschaft
    Besteht, wenn man dem Wahlprogramm der Freien Demokraten glauben darf, vor allem aus leistungswilligen und leistungsstarken Menschen, die sich unerschrocken den Herausforderungen stellen. Denn, das hat der Leser ja schon gleich zu Beginn des Wahlprogramms gelernt, Herausforderungen sind vor allem Chancen. Die Hauptpersonen im FDP-Wahlprogramm wollen sich ihr Leben lang weiterbilden, wollen flexibel arbeiten und in den Ruhestand gehen können oder eben auch nicht - und sollen all das auch können. Denn sie sind hochqualifiziert und motiviert.
    "Wir Freien Demokraten fordern mehr Flexibilität bei der Regulierung von Arbeitszeitmodellen. Deshalb wollen wir das Arbeitszeitgesetz flexibilisieren, indem die bisherige Grenze der täglichen Höchstarbeitszeit von acht beziehungsweise zehn Stunden sowie in den nicht sicherheitsrelevanten Bereichen die elfstündige Ruhezeit aufgehoben wird. […] Auch die alten Regulierungen der Industriegesellschaft passen nicht mehr in die neue Wirklichkeit und müssen auf ihre Tauglichkeit hin überprüft werden."
    Befreit vom großen Nachteil einer Volkspartei, nämlich die ganze Gesellschaft im Auge haben zu müssen, kann die FDP die anderen Menschen, deren Jobs sich nicht an "die neue Wirklichkeit" angepasst haben, zu Statisten werden lassen. Vage Randnotizen in einem ansonsten sehr kleinteilig entworfenen Programm.
    3. Die Kosten
    Die Freien Demokraten wollen mehr Geld für Bildung ausgeben, damit Deutschland zu den führenden fünf Ländern der 35 Staaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gehört. Sie wollen in den nächsten fünf Jahren pro Schüler zusätzlich insgesamt 1.000 Euro für Technik und Modernisierung investieren, volljährigen Schülern, Auszubildenden und Studierenden eine elternunabhängige Ausbildungsförderung geben. 500 Euro Zuschuss plus Darlehensangebot. Entscheidend für die Rückzahlung ist – genau wie bei den nachgelagerten Studiengebühren – die Höhe des späteren Verdienstes. Wenn Eltern Geld für die Bildung ihrer Kinder sparen, soll der Staat für jeden Euro etwas dazugeben.
    Im Grundgesetz soll eine Belastungsgrenze für Steuern und Sozialabgaben festgeschrieben werden, aktuelles Potenzial für Steuerentlastungen sieht die FDP bei rund 30 Milliarden Euro.
    Der Soli soll verschwinden, Altschulden abgebaut werden, Generationengerechtigkeit bei Finanzentscheidungen eine wichtige Rolle spielen.
    "Wir brauchen eine Politik, die rechnen kann."
    Mit welchen Gesamtkosten die FDP rechnet, beziffert sie nicht genau. Bei der Finanzierung setzt sie aber auch auf die für die kommenden Jahre erwarteten Steuermehreinnahmen.
    4. Die Praxis
    Die Chancen, zumindest einige Forderungen umzusetzen, stehen gar nicht so schlecht. Vorausgesetzt die Freien Demokraten haben es vorher geschafft, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen und stark genug in den Bundestag zurückzukehren, damit es für Schwarz-Gelb, Schwarz-Gelb-Grün oder eine Ampel reicht. Ausschließen will die FDP erst einmal keine Option.
    5. Der Stil
    Die letzten vier Jahre als Zaungast der Bundespolitik hat die FDP für eine Rundumerneuerung genutzt. Neue Farbgestaltung, verändertes Design, vom alten Personal ist auch nicht mehr viel übrig geblieben. Von Aufbruch kündet zudem die Sprache. Dynamisch. Positiv. Modern. Die Schuldenbremse ist 2.0, das Kindergeld auch. Herausforderungen heißen Chancen, Afrika wird so zum "Chancenkontinent".
    Zum Thema Steuern, dem Thema der alten FDP, kommt das Wahlprogramm erst im letzten Drittel. Nach Bildung, Digitalisierung, Altersvorsorge, sogar Landwirtschaft und Umwelt. Doch langjährigen FDP-Wählern dürfte das meiste dennoch sehr vertraut vorkommen, denn auch sie sollen ja dazu beitragen, dass die Freien Demokraten wieder nach Berlin zurückkehren dürfen.
    "Schauen wir nicht länger zu", der Titel des Wahlprogramms klingt wie die dazu passende Beschwörung.
    Das Wahlprogramm der FDP zum Nachlesen (PDF)