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Bundestagswahl
"Der Wahl-O-Mat ist demokratischer Volkssport geworden"

Für den Chef der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, ist das Online-Tool Wahl-O-Mat eine Möglichkeit, sich "spielerisch" mit den Wahlprogrammen der Parteien auseinanderzusetzen". Sechs Prozent der Wahl-O-Mat-Benutzer hätten vorher nicht die Absicht gehabt, wählen zu gehen - danach hätten sie es doch getan.

30.08.2017
    Ein Mann steht am 02.08.2016 hinter einem "Wahl-O-Mat" in Berlin. Wähler, die sich noch unsicher sind, welche Partei sie wählen sollen, können mit Hilfe des "Wahl-O-Mats" herausfinden, welche Parteien für sie in Frage kämen.
    Start des "Wahl-O-Mat" für die Abgeordnetenhauswahl in Berlin am 02.08.2016. (dpa/ Foto: Monika Skolimowska)
    Tobias Armbrüster: Was genau lässt sich nun mit so einem Tool, mit so einem Computerprogramm herausfinden und wo liegen möglicherweise die Probleme? Darüber können wir jetzt sprechen mit Thomas Krüger, dem Präsidenten der Bundeszentrale für politische Bildung, also einem der Männer und Frauen hinter diesem "Wahl-O-Mat". Schönen guten Morgen, Herr Krüger.
    Thomas Krüger: Einen schönen guten Morgen.
    Armbrüster: Herr Krüger, schon der Begriff "Wahl-O-Mat" klingt ja so ein bisschen wie ein Gag. Ist dieses kleine Programm mehr als politische Unterhaltung?
    Krüger: Ja, es ist ein Angebot der politischen Bildung. So ist das gedacht. Und wir haben es entdeckt zunächst in den Niederlanden. 2002 haben wir dann die deutschen Lizenzrechte dafür erworben und seitdem sehr viel in die Entwicklung dieses Angebots der politischen Bildung investiert. Und es ist erfreulicherweise ein Angebot, was von sehr vielen Menschen nachgefragt wird, weil die Lektüre von Wahl- und Parteiprogrammen jetzt nicht jedermanns Sache ist. Von daher ist es sicherlich eine ganz gute Möglichkeit, über den "Wahl-O-Mat" spielerisch sich an diese inhaltlichen Positionierungen der Parteien anzunähern.
    Mittelalter Mann in Jacket und Krawatte, mit kurzen dunken Haaren und Brille bei einer Rede; vor blauem Hintergrund
    BPB-Chef Thomas Krüger (dpa/ Soeren Stache)
    "Kein repräsentative Wahlhilfe"
    Armbrüster: Sie sagen jetzt spielerisch. Das klingt so ein bisschen, als würde man das benutzen, um sich selbst ein bisschen zu unterhalten und einfach mal zu gucken, was der Computer einem eigentlich raten würde. Haben Sie denn Zahlen darüber, die belegen, dass Leute das tatsächlich benutzen, um ernsthafte Beratung für das Kreuzchen in der Wahlkabine zu bekommen?
    Krüger: Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, dass der "Wahl-O-Mat" keine repräsentative Wahlhilfe ist, sondern es ist ein spielerischer Umgang, sich mit diesen Themen in den Wahlprogrammen der Parteien auseinanderzusetzen. Und das ist schon deshalb so, weil diese 38 Thesen natürlich immer nur einen Ausschnitt der Themen bedeuten können. Und dieser Ausschnitt kann nie repräsentativ für alle Menschen stehen, weil dem einen ist Verkehrspolitik wichtiger, dem anderen ist Innenpolitik wichtiger. Von daher kann man nur sagen, dass es eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Positionen ist und keine, die erstens alles repräsentativ abdeckt. Und zweitens ist es auch so, dass die Sympathien zu Personen nicht abgebildet werden im "Wahl-O-Mat". Der "Wahl-O-Mat" ist wirklich ein klassisches Angebot der politischen Bildung und da geht es um Inhalte.
    Armbrüster: Wer wählt denn die Inhalte aus? Wer wählt konkret die Bereiche aus, die im "Wahl-O-Mat" abgedeckt werden?
    Krüger: Das ist auch eine Besonderheit des "Wahl-O-Mat", und zwar ist es seit jeher eine Gruppe von Jugendlichen, die sich bewirbt. In diesem Jahr haben sich über 500 Leute bei der Bundeszentrale beworben. Das sind junge Leute bis 26 Jahren, die nach repräsentativen Gesichtspunkten ausgewählt werden und in mehrtägigen Workshops die Wahlprogramme der vom Bundeswahlleiter antretenden Parteien durchsehen und dann die Thesen formulieren. Dabei bekommen sie Hilfe von Politikwissenschaftlern, Statistikern, Journalisten, die sich hinsichtlich der Formulierungen und der Ausgewogenheit der Formulierungen unterstützend mit den jungen Leuten zusammensetzen. Dann werden diese Thesen den Parteien übersandt und von ihnen autorisiert. Das ist auch eine Besonderheit. Das ist nicht ein Angebot, was wir uns in irgendeinem Elfenbeinturm ausdenken, sondern es ist ein Angebot, was von den Generalsekretären der Parteien selbst autorisiert wird und damit von den Parteien selber beglaubigt und zertifiziert ist.
    Thema Diesel-Kraftstoff im Wahl-O-Mat vertreten
    Armbrüster: Können Sie uns denn mal ein Beispiel geben? Was ist ein Thesenbereich, den Sie da abdecken?
    Krüger: Natürlich haben wir jetzt aktuelle Debatten auch mit abgebildet. Nehmen Sie das Thema Diesel-Kraftstoff. Und es wird natürlich eine These dazu im "Wahl-O-Mat" vorkommen, nämlich die Frage, ob Diesel-Kraftstoff höher besteuert werden soll. Daran machen sich dann Unterschiede der einzelnen Parteien in den Wahlprogrammen deutlich. Die einen sind dafür, die anderen sind dagegen. Jede Partei hat auch die Möglichkeit, hinter jede These eine Kurzerklärung für ihre Positionierung vorzunehmen, weil sich nicht alles in diesem klaren Cluster Ja, Nein und Neutral abbilden lässt. Es ist wirklich eine Möglichkeit, sich an diese Positionen anzunähern und dann Hintergrundinformationen zu generieren. Und das ist genau die Absicht, die wir als politisch Bildender wollen. Wir wollen informieren, wir wollen die Möglichkeit geben, dass sich jeder eine eigene Meinung bilden kann, und nicht indoktrinieren oder manipulieren.
    Armbrüster: Und am Schluss steht dann die Konsequenz, Sie müssen oder Sie sollten diese oder jene Partei wählen, wenn das, was Sie gerade angekreuzt haben, wirklich ernst gemeint ist?
    Krüger: Genau das steht nicht dahinter, sondern man kann mit bis zu acht Parteien vergleichen. Und man bekommt, wenn man so will, eine Skalierung, zu wieviel Prozent die eigene Position mit den Positionen der ausgewählten Parteien übereinstimmt. Da haben wir natürlich durch eine Evaluation, die wir in den letzten Jahren gemacht haben, bei allen "Wahl-O-Maten" eine ungefähre Größenordnung. Wir wissen etwa, dass 92 Prozent derjenigen, die den "Wahl-O-Mat" benutzen, vorher schon eine klare Position haben, und dass 91 Prozent derjenigen, die den "Wahl-O-Mat" nutzen, zu 100 Prozent oder zumindest in der Nähe der eigenen Partei bei dem "Wahl-O-Mat" herauskommen. Was besonders interessant ist, ist, dass sechs Prozent der Leute eigentlich vor der Nutzung des "Wahl-O-Mats" die Absicht hatten, nicht wählen zu gehen, und sich haben aktivieren lassen durch die Auseinandersetzung mit den Positionen der Parteien, nun doch an den Wahlen teilzunehmen. Und das ist natürlich eine besondere Aufgabe auch der Bundeszentrale für politische Bildung, Bürgerinnen und Bürger zu ermutigen, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen.
    "Absolut legitim, solche Online-Tools zu schaffen"
    Armbrüster: Herr Krüger, ist das Ganze denn nicht auch ein Armutszeugnis für unsere Demokratie, wenn Bürger, wenn Wähler auf solche Programme zurückgreifen müssen, die so was extrem kurz und bündig verarbeiten, in Form eines Computerprogramms? Kann man nicht eigentlich von Wählern erwarten, dass sie sich entweder gründlich informieren, oder Parteiprogramme lesen?
    Krüger: Das ist eine schwierige Frage. Im Grunde genommen ist es so, es ist nicht jedermanns Sache, solche Wahlprogramme zu lesen. Und das sind auch Textsorten, von denen man manchmal den Eindruck hat, dass sie vielleicht für die eigene Klientel, für die eigene Selbstverständigung in den Parteien auch verfasst worden sind. Das hat auch seine Hintergründe. Man muss, wenn man kampagnenfähig werden will, sich auch auf eine Position verständigen in den Parteien, um sie dann tatsächlich auf der Straße und in verschiedenen Veranstaltungen herüberzubringen. Die Welt ist in Wirklichkeit nicht - wie der "Wahl-O-Mat" - binär. Das heißt, man kann nicht zu allen Fragen Ja, Nein oder Neutral sagen. Die Sachverhalte sind in der Tat dann komplizierter. Aber es ist ja schon eine Aufgabe, verschiedene Zugänge dazu zu bauen und zu entwickeln, mehr Klarheit über die Positionen zu bekommen. Und nicht nur, wenn man so will, die Personalaspekte bei Wahlentscheidungen zu berücksichtigen, sondern sich genauer anzugucken, was für eine Politik hat man denn in den nächsten vier Jahren zu erwarten. Um da eine Schneise hineinzuschlagen, finde ich, ist es absolut legitim, solche Online-Tools oder Zugänge zu schaffen, sich mit diesen Positionen auseinanderzusetzen, weil es natürlich so ist, dass die Parteien an der Willensbildung mitbestimmen. Der entscheidende Aspekt ist aber, dass die Wählerinnen und Wähler was zu sagen haben. Wenn man so will: Der "Wahl-O-Mat" ist bei den letzten Bundestagswahlen 13 Millionen Mal genutzt worden. Man kann schon sagen, das ist ein demokratischer Volkssport geworden.
    Armbrüster: Das können wir alles testen ab heute Mittag. Dann geht der aktuelle "Wahl-O-Mat" online. Wir haben darüber gesprochen mit Thomas Krüger, dem Präsidenten der Bundeszentrale für politische Bildung. Vielen Dank, Herr Krüger, für Ihre Zeit heute Morgen.
    Krüger: Nichts zu danken.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.