Mittwoch, 24. April 2024

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Bundesteilhabegesetz
Bessere Leistungen für Menschen mit Behinderung

Das geplante Bundesteilhabegesetz soll die Kommunen bei der Eingliederung von Menschen mit Behinderung mit fünf Milliarden Euro unterstützen. Der Präsident des Sozialverbandes Deutschland, Adolf Bauer, forderte im DLF, Leistungen für Behinderte sollten unabhängig von deren Einkommen und Vermögen gezahlt werden.

Adolf Bauer im Gespräch Georg Ehring | 30.12.2014
    Ein Mann im Rollstuhl schaut in seinem Zimmer aus dem Fenster
    Bislang wurden Sozialleistungen nur gewährt, wenn die Personen nicht über ein eigenes Einkommen verfügen. (Angelika Warmuth / dpa)
    Georg Ehring: Echte Teilnahme am gesellschaftlichen Leben anstatt nur Hilfe, und die oft nach Kassenlage – das ist das Anliegen des geplanten Bundesteilhabegesetzes. Behinderte sollen nach ihrem Bedarf gefördert und Nachteile ausgeglichen werden. Im Jahr 2015 soll das Gesetz ins Parlament, ein Jahr später soll es in Kraft treten. Der Haken dabei: Allzu viel kosten darf die Angelegenheit nicht, Länder und Gemeinden erhalten vom Bund fünf Milliarden Euro, denn sie sind hauptsächlich zuständig für Leistungen an Behinderte. Wie der Bedarf ganz praktisch aussieht, das hat Anke Petermann bei einem Besuch bei einer Rollstuhlfahrerin erfahren.
    "Teilhabe statt Gnade - Rollstuhlfahrer und Bundesteilhabegesetz", Beitrag von Anke Petermann
    So weit der Beitrag unserer Rheinland-Pfalz-Korrespondentin Anke Petermann. Über das Bundesteilhabegesetz möchte ich jetzt sprechen mit Adolf Bauer. Er ist Präsident des Sozialverbandes Deutschland. Guten Tag, Herr Bauer!
    Adolf Bauer: Guten Tag, Herr Ehring!
    Ehring: Herr Bauer, die Rollstuhlfahrerin in dem Beitrag klagt unter anderem darüber, dass viele Hilfen nicht berufstätigen Menschen gar nicht zustehen. Wird sich so etwas mit dem neuen Gesetz voraussichtlich ändern?
    Bauer: Das ist die Hoffnung und die Forderung zugleich, denn bisher waren solche Maßnahmen nach dem Bundessozialhilfegesetz finanzierbar, aber eben nur dann, wenn nicht eigene Einnahmen zur Verfügung stehen.
    "Individuelle Bedarfsdeckung sicherstellen"
    Ehring: "Teilhabe statt Sozialleistung" ist die Überschrift. Was heißt das eigentlich für Sie?
    Bauer: Die Sozialleistung wird eben nur gewährt, wenn, wie eben in dem Beitrag schon dargestellt, die Personen nicht über eigenes Einkommen verfügen oder auch die Familie dazu nicht in der Lage ist. Das heißt also, die Sozialhilfe nimmt Rückgriff auf Angehörige und auf eigenes Vermögen, und die Teilhabe nach dem Bundesteilhabegesetz soll eine individuelle Bedarfsdeckung sicherstellen und unabhängig von Einkommen und Vermögen gezahlt werden. Das ist die Forderung der Behindertenverbände und auch Absicht der Regierung.
    Ehring: Das ist Ihre Forderung. Wie weit wird denn diese Absicht dann tatsächlich verwirklicht werden? Fünf Milliarden Euro hört sich ja erst mal sehr viel an, aber die sind ja schnell alle.
    Bauer: Das hört sich gewaltig an, aber der Ansatz war ursprünglich auch nicht unbedingt, den Behinderten eine bessere Bedingung zu schaffen, sondern die Kommunen von Leistungen zu entlasten. Und unsere Forderung, die Forderung der Behindertenverbände, ist, die Finanzierung nicht unter Fiskalgesichtspunkten zu sehen, sondern auch unter Verbesserung der Leistungen für Menschen mit Behinderungen. Wenn diese Forderung nicht erfüllt wird, glaube ich, verfehlt das Gesetz auch seinen Zweck.
    Ehring: Wir reden ja sehr viel über die schwarze Null, beim gesamten Haushalt. Glauben Sie denn, dass unter diesen Voraussetzungen die Forderungen erfüllt werden?
    Bauer: In der Absichtserklärung der Großen Koalition steht, es dürfe nicht mehr kosten, es dürfe nicht zu einer automatischen Erhöhung der Kosten führen. Die Meinung des SoVD ist allerdings, dass man nicht zum Nulltarif Verbesserungen von Leistungen für Menschen mit Behinderungen erreichen kann. Es wird teurer werden als nur diese fünf Milliarden zum Ausgleich von Sozialleistungen der Kommunen insgesamt.
    "Es ist ein langwieriger Prozess"
    Ehring: Was sind denn so die wichtigsten Probleme für Behinderte heute? Welche praktischen Verbesserungen fordern Sie denn?
    Bauer: Es muss zunächst einmal sichergestellt werden, dass der neue Behinderungsbegriff umgesetzt wird, wie er nach der UN-Behindertenrechtskonvention heute verwendet wird. Es muss dann zum Zweiten sichergestellt werden, dass die individuelle Bedarfsdeckung beibehalten wird, beziehungsweise dass das Einkommen und Vermögen der betroffenen Menschen nicht angerechnet werden kann. Es muss außerdem sichergestellt werden, dass eine Beratung, eine neutrale, unabhängige Beratung auf Augenhöhe, wie man das so schön sagt, auch geschaffen wird und dass man das Gesamte auch unter das SGB IX unterbringt und dass man das Wunsch- und Wahlrecht der Betroffenen nicht schleift. Das sind also eine ganze Reihe von Forderungen und Erwartungen. Und Sie haben in der Anmoderation schon erklärt: Es ist ein langwieriger Prozess. Die Behindertenverbände sind in einer Arbeitsgruppe des Bundesarbeitsministeriums beteiligt wie andere, wie Kostenträger, wie der Bund und die Länder auch, die Gewerkschaften. Und gemeinsam wird versucht, hier die Bedingungen zu schaffen, ein Teilhabegesetz zu formulieren, dass den Forderungen entspricht und das auch nicht nur den Interessen der Länder entgegenkommt.
    Ehring: Adolf Bauer, der Chef des Sozialverbandes SoVD. Herzlichen Dank!
    Bauer: Gerne, Herr Ehring!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.