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Bundesteilhabegesetz
Meilenstein oder Einschränkung?

Die Opposition sieht ein "Spargesetz" im neuen Bundesteilhabegesetz für Menschen mit Behinderung. Die Rechte der Betroffenen würden sogar noch eingeschränkt, lautet die Kritik. Die Koalition räumt Interessenkonflikte ein, sieht aber dennoch einen großen Fortschritt.

Von Volker Finthammer | 01.12.2016
    Mit Plakaten versammeln sich tausende Menschen mit Behinderung in Hannover. Auf einem Plakat steht "Teilhabe statt Ausgrenzung".
    Über das Teilhabegesetz hat der Bundestag heute kontrovers debattiert - und es verabschiedet. (picture-alliance / dpa / Holger Hollemann)
    Selten war ein Gesetz so umstritten und umkämpft wie das neue Bundesteilhabegesetz, das der Bundestag heute mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD verabschiedet hat. Während die Koalition von einem neuen Meilenstein der Behindertenpolitik spricht, sehen de Oppositionsparteien darin ein Spargesetz, das zudem das Selbstbestimmungsrecht der Behinderten nicht voll anerkennen würde.
    Unbestritten ist das Gesetz eine groß angelegte Reform. Sozialministerin Andrea Nahles sprach von einem Systemwechsel. Denn die Neuregelung beinhaltet, dass die Leistungen für Menschen mit Behinderungen nicht mehr allein der Fürsorge dienen, sondern die Beteiligung der Betroffenen am gesellschaftlichen Leben fördern sollen.
    "Es war nicht immer einfach aus den vielschichtigen, ja teilweise völlig gegenteiligen Interessenlagen einigungsfähige Positionen zu entwickeln. Wir haben uns dafür sehr viel Zeit genommen und es ist wichtig, dass wir an dieser Stelle auch sagen, dass es Interessenkonflikte gibt und dass die auch ein Stück weit bleiben werden. Aber das schmälert nicht den großen Fortschritt, den wir heute auf den Weg bringen."
    Opposition sieht "verfehltes Gesetz"
    Erst am vergangenen Dienstag hatten sich die Koalitionsfraktionen noch einmal auf weitere Änderungen an dem Gesetzentwurf verständigt, etwa in der Frage der Schonvermögen für Behinderte und deren Angehörige und dem Selbstbestimmungsrecht bei den Wohnformen.
    Auch die Gewährung der Eingliederungshilfe wird zumindest bis zum Jahr 2023 nicht von den Lebenslagekriterien der UN abhängig gemacht. Diese Nachbesserungen, die auch dem Druck der Behinderten auf der Straße geschuldet waren, die in zahlreichen öffentlichen Aktionen gegen die Pläne demonstriert hatten, hielten die Opposition nicht davon ab, weiterhin von einem verfehlten Gesetz zu sprechen, wie dies der Fraktionsvorsitzende der Linken, Dietmar Bartsch tat.
    "Weil es die uneingeschränkte und gleiche gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung nicht erreicht. Die Unterhaltspflicht von Eltern für volljährige Kinder soll erhalten bleiben, die Leistungen aus der Eingliederungshilfe beziehen. Sei ändern nichts an der Möglichkeit, Betroffene in Heime zu zwingen, wenn die Kosten für die Unterstützung zu Hause zu hoch sind. Und auch in Zukunft wird es keine deutliche Verbesserung für Menschen mit Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt geben. Sie schränken die Rechte von Menschen mit Behinderung ein und zwar aus Kostengründen, weil sie Kosten sparen wollen."
    Mangelnde Umsetzung der Behindertenrechtskonvention
    Ähnlich argumentierte auch die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt. Die Koalition habe vor dem Hintergrund der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen ein neues Haus bauen wollen, aber herausgenommen sei nur die Garage.
    "Dieses Gesetz sagt noch nichts über mehr Autonomie aus, noch nichts über mehr Selbstbestimmung und noch nichts aus über ein freieres Leben und deswegen ist es höchstens ein erster Schritt und deswegen sage ich Ihnen, wir sind bei der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention noch lange nicht da, wo wir hin müssen."
    In dieser Frage gab es auch aus den Regierungsfraktionen keine wirkliche Gegenrede. Im Gegenteil. Der sozialpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Karl Schiewerling, verwies darauf, dass alle Abgeordneten ein Interesse daran hätten, dass Menschen mit Behinderung gleichberechtigter Teil der Gesellschaft sein könnten. Die intensive Begleitung des Gesetzgebungsverfahrens durch die Behindertenverbände sei auch nicht ohne Wirkung geblieben.
    "Es war unsere Aufgaben als Politik, die divergierenden Interessen zum Ausgleich zu bringen und es zu einem Gesetz zusammenzuführen. Dies war mühsam, ich bin aber sicher, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Das Bundesteilhabegesetz wird nicht das letzte Gesetz sein. Wir werden auch in Zukunft weiter Stück für Stück an Verbesserungen für die Menschen arbeiten."
    "Wir machen echte Verbesserungen"
    Rund 7,5 Millionen Behinderte leben in Deutschland, von denen gut 700.000 Eingliederungshilfe beziehen. Von einer homogenen Gruppe kann keine Rede sein, dafür sind die Lebenslagen und die daraus abgeleiteten Interessen zu unterschiedlich. Die soziapolitische Sprecherin der SPD Bundestagsfraktion, Katja Mast, wies jedoch auch den Vorwurf zurück, es handele sich um ein Spargesetz.
    "Wir nehmen 800 Millionen Euro Jahr für Jahr in die Hand, um das Leben der Menschen mit Behinderungen und ihrer Familien zu verbessern - und da verschwindet kein Euro im System, wie Dietmar Bartsch suggeriert hat. Sondern wir machen echte Verbesserungen und ich will noch einmal betonen niemand will mit diesem Gesetz Leistungseinschränkungen oder -ausdehnungen."