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Bundesverkehrswegeplan
"Es ist keine Verkehrswende"

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hat seinen Verkehrswegeplan vorgestellt. Der Minister habe Anlass darauf stolz zu sein, sagte der Verkehrsökonom Christian Böttger im DLF. In der Struktur sei der Plan im Vergleich zu seinen Vorgängern besser geworden. Er kritisierte jedoch, dass die Schiene darin vernachlässigt würde.

Christian Böttger im Gespräch mit Daniel Heinrich | 03.08.2016
    Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) stellt am 16.03.2016 in Berlin den neuen Bundesverkehrswegeplan 2030 vor.
    Muss Kritik für seinen Verkehrswegeplan einstecken: Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU). (dpa / picture alliance / Bernd von Jutrczenka)
    Daniel Heinrich: Am Telefon ist nun Christian Böttger, Experte für Verkehrswesen an der HTW in Berlin. Herr Böttger, bedeuten diese Pläne nie wieder Stau in Deutschland?
    Christian Böttger: Nein, sicherlich nicht. Die Mittel, die bereitstehen zum Ausbau, haben sich also eigentlich kaum verändert. Und je nachdem, wie sich der Verkehr entwickelt, muss man davon ausgehen, dass sich die Stausituation sicherlich nicht verbessern wird.
    Heinrich: Warum war Herr Dobrindt so stolz?
    Böttger: Also, die Aufstellung des Bundesverkehrswegeplans ist natürlich eine gewaltige Leistung und ich weiß, dass viele Politiker, die selber auch gerne Verkehrsminister geworden wären, immer Angst davor hatten, einen Verkehrswegeplan aufstellen zu müssen. Das ist schon eine gewaltige Leistung und man muss eben sagen, dass viele Dinge auch in der Struktur besser geworden sind gegenüber früheren Plänen. Und in dem Sinne hat sicherlich Herr Dobrindt auch allen Anlass, stolz zu sein.
    Heinrich: Was ist besser geworden?
    Böttger: Wir haben eine etwas systematischere Projektbewertung, wir haben zum ersten Mal den Versuch jedenfalls, zu einer etwas rationaleren Auswahl von Projekten zu kommen. Das war bisher also ein reines politisches Spiel und wir sehen also, dass man jetzt versucht hat, schon etwas mehr Rationalität reinzubringen, indem zum Beispiel die Bewertungskennziffern veröffentlicht werden.
    "Es gibt ein Verfahren, mit dem alle Projekte bewertet werden"
    Heinrich: Was bedeutet das?
    Böttger: Also, es gibt ein Verfahren, mit dem alle Projekte bewertet werden, das sogenannte standardisierte Bewertungsverfahren. Und in der Vergangenheit war das so, dass diese Zahlen nicht veröffentlicht wurden. Es gab viel mehr Projekte im Verkehrswegeplan, als tatsächlich Mittel zur Verfügung standen, und dann war es ein komplett irrationales politisches Gerangel, welche dieser Projekte wirklich realisiert wurden. Und wir haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten ja eben auch erlebt, dass also dramatisch wichtige Projekte nicht realisiert wurden und stattdessen im Rahmen irgendeines Deals mit irgendeinem Bundesland irgendein Projekt auf die Liste gekommen ist, das verkehrlich nicht besonders bedeutend ist.
    Heinrich: Welches würden Sie da besonders aufzählen?
    Böttger: Also, sicherlich ein Glanzbeispiel dafür ist die Bahnstrecke Berlin-Rostock, die irgendwie im Rahmen eines Deals zwischen dem Land Mecklenburg-Vorpommern und dem Bund auf die Liste gekommen ist, obwohl eben es viel, viel wichtigere Projekte gegeben hätte, die bis heute nicht realisiert sind.
    Hauptkritikpunkt am Verkehrswegeplan
    Heinrich: Lassen Sie uns auf den Plan zurückkommen, der da vorgestellt wurde! Die Straße steht da im Mittelpunkt. Müssen wir uns nicht viel mehr auf die Schiene konzentrieren?
    Böttger: Ja, das ist eigentlich aus meiner Sicht der Hauptkritikpunkt an diesem neuen Plan. Bisher hat die Politik und auch die Regierungsparteien ja immer gesagt, dass sie alles dafür tut, eine Verlagerung von Verkehr auf die Schiene herbeizuführen, und eigentlich ist der neue Verkehrswegeplan die Verabschiedung von diesen Plänen. Also, davon ist kaum noch die Rede. Es gibt keine zusätzlichen Mittel für die Schiene, sondern die bisherige Verteilung wird ungefähr so fortgeschrieben. Und da eben erhebliche Mittel von der Schiene eben auch für lokale Projekte zum Beispiel in der Wohngegend des Ministers und für Projekte mit geringer politischer Bedeutung wie Stuttgart 21 zur Verfügung gestellt werden müssen, bleibt also für die wirklich dramatisch wichtigen Projekte, für die Schiene kaum Geld. Und also, mit diesem Plan ist absehbar, dass wir also eher Marktanteilsverluste auf der Schiene haben werden als Marktanteilsgewinne.
    Heinrich: Wie erklären Sie sich, dass die CSU trotzdem darauf beharrt, dass die Schiene da zur Geltung kommt voll?
    Böttger: Gut, ich meine, 42 Prozent der gesamten Mittel werden für die Schiene ausgegeben. Es ist also unfair zu sagen, die Schiene bekommt eben nichts ab. Aber wir sehen eben, dass in der heutigen Wettbewerbslandschaft mit den anderen Rahmenbedingungen, die wir nun mal haben in der Verkehrspolitik, dass das eigentlich nicht reicht, um tatsächlich Verkehr auf die Schiene zu bringen. Also, ja, wir geben Geld für die Schiene aus mit dem neuen Verkehrswegeplan, aber es reicht eben nicht aus und es ist eben auch nicht zu erkennen, dass man sagt, wir schichten Mittel um von der Straße auf die Schiene.
    Heinrich: Umweltverbände sagen, die Pläne stammen aus den 60er-Jahren. Teilen Sie diese Ansicht?
    Böttger: Ja, also, ich bemühe mich ja immer, solche Polemiken zu vermeiden, aber in der Aussage ist es sicherlich so: Also, es ist keine Verkehrswende und es ist also richtig enttäuschend eben, was tatsächlich für die Schiene gemacht worden ist. Ich kann auch mal ein Beispiel nennen: In der Vergangenheit wurde zum Beispiel immer mal ein komplettes Szenario gerechnet, was also passieren würde, wenn man tatsächlich mal mehr Geld für die Schiene bereitstellen würde. Und dieses Szenario wurde nie umgesetzt, aber es wurde zumindest mal darüber nachgedacht. Und man kann also sehen, in diesem Plan ist das Ganze nur noch ganz, ganz oberflächlich gemacht worden. Also, eigentlich ist die Frage "Sollten wir irgendetwas tun, um mehr Verkehr auf die Schiene zu verlagern?" im Rahmen dieses Verkehrswegeplans nicht wirklich untersucht worden.
    "Busse stellen keine Lösung des Problems öffentlicher Fernverkehrsangebote dar"
    Heinrich: Jetzt reden wir viel über die Schiene. Wir erfahren: FlixBus übernimmt Postbus. Sind denn die Busse keine Alternative?
    Böttger: Also, ich sehe die Busse nicht als wirkliche Alternative an. Also, die Busse sind eben deutlich langsamer, als die Eisenbahn auf Hauptstrecken ist. Die Busse belasten im Prinzip die Straße, die ja nun sowieso schon verkehrlich stark belastet ist, und in dem Sinne ist es nicht so, dass die Busse jetzt also eine Lösung des Problems öffentlicher Fernverkehrsangebote darstellen. Sie sind sicherlich auf einzelnen Strecken eine sinnvolle Ergänzung, aber mehr auch nicht.
    Heinrich: Herr Böttger, das Bundesverkehrsministerium hat die Bürger auch beteiligt dieses Mal, 40.000 Eingaben hat es gegeben. Halten Sie eine solche Entwicklung für sinnvoll?
    Böttger: Also, grundsätzlich finde ich es sinnvoll, allerdings muss man eben sehen, dass es inzwischen unglaublich komplex geworden ist. Es gibt also ein Methodenhandbuch, das ist mit großer Sorgfalt geschrieben worden, also wirklich ein tolles Werk, aber es sind eben 400 Seiten. Und eigentlich ist es so, dass Bürger oder eben auch Verbände sich also schwertun, sich dort einzuarbeiten. Und am Ende kommt es immer dazu heraus, dass man sagt, wir haben das in unser großes System hineingeworfen und es sind nun mal diese und jene Zahlen dabei herausgekommen. Und es hat sich glaube ich kaum jemand angeguckt und es wurde auch nie wirklich öffentlich diskutiert, welche Annahmen eigentlich in diesem System drinstecken.
    Heinrich: Das heißt, das System ist zu komplex?
    Böttger: Es ist sehr komplex. Es ist immer die Frage, ob man ein einfacheres Modell stricken könnte, aber man muss einfach festhalten: Natürlich muss man viele Parameter in so einer Planung berücksichtigen, aber wir haben am Ende ein System – wie gesagt, bei aller Sorgfalt, die da angewandt worden ist –, das kaum noch durchschaubar ist für einen Einzelnen und das am Ende eben auch tatsächlich in der Methodik schon Probleme generiert, die eigentlich unverständlich sind. Ich darf mal ein Beispiel dazu bringen: Es wird zum Beispiel der Zeitwert gerechnet. Das heißt also, jede verkehrliche Maßnahme wird danach bewertet, ob sie die Fahrtzeiten verkürzt. Und diese Fahrtzeiten werden also berechnet. Wenn man also sagt, wir vermeiden, dass ein Bürger eine Stunde im Stau steht, dann bedeutet das, dass dieses Projekt aus diesem Grund also sinnvoll ist, also einen positiven wirtschaftlichen Wert hat. Die Folge von Verkehrsunfällen, wenn jemand stirbt, wird niedriger bewertet. Es gibt zwar auch einen Wert eines menschlichen Lebens, aber das menschliche Leben an für sich ist weniger wert, ungefähr nur ein Drittel so viel wert wie die Zeit, die man im Stau steht. Das hat niemand so gewollt, aber es steckt irgendwo in den Tiefen dieser Modelle so drin und führt eben dazu, dass dieses Modell natürlich auch bestimmte Ergebnisse liefert, in diesem Fall, dass die Straße zum Beispiel gegenüber der Schiene im Modellvergleich immer besser abschneidet.
    Heinrich: Der Verkehrsökonom Christian Böttger, vielen Dank für das Gespräch!
    Böttger: Ja, sehr gerne, Herr Heinrich!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.