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Bundeswehr-Affäre
"Es haben Einzelne versagt, auch in der Aufsicht"

Der ehemalige Wehrbeauftragte des Bundestags (*), Hellmut Königshaus, glaubt nicht, dass die Bundeswehr insgesamt ein Problem mit Rechtsextremismus habe. Im Fall Franco A. gehe es nur um einen kleinen Personenkreis, sagte Königshaus im DLF. Allerdings brauche der Militärische Abschirmdienst mehr Personal.

Hellmut Königshaus im Gespräch mit Peter Kapern | 11.05.2017
    Der Wehrbeauftragte der Bundesregierung, Hellmut Königshaus (FDP), spricht (23.04.15) in Berlin im Bundestag.
    Der ehemalige Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags, Hellmut Königshaus (FDP) (dpa / picture alliances / Paul Zinken)
    Peter Kapern: Jetzt sind es also drei Soldaten, die verhaftet sind, weil sie Terroranschläge auf deutsche Politiker geplant haben sollen, um diese Anschläge dann Asylbewerbern in die Schuhe zu schieben. Der Generalbundesanwalt ermittelt und die Politik liefert sich einen Schlagabtausch. Ist Verteidigungsministerin von der Leyen ein Teil des Problems, oder ist sie ein Teil der Lösung? Steckt die Bundeswehr im braunen Sumpf, oder sind das alles nur Einzelfälle? Am Telefon Helmut Königshaus von der FDP, der frühere Wehrbeauftragte des Bundestages. Guten Morgen!
    Hellmut Königshaus: Schönen guten Morgen.
    Kapern: Herr Königshaus, gestern im Verteidigungsausschuss in der Sondersitzung, da haben wir ja das Erwartbare erlebt. Die Verteidigungsministerin kam mit einer ellenlangen Spiegelstrich-Liste, Reformen, die jetzt ganz dringend unternommen werden sollen, und Opposition und SPD haben der Ministerin Verantwortung für diese Skandale zugewiesen. Glauben Sie, dass die Affäre damit schon ihrem Ende entgegendümpelt?
    Königshaus: Ja, das hängt von den weiteren Ermittlungen ab. Bisher wie gesagt sind es drei Personen, um die es hier geht. Die Bundeswehr im militärischen und zivilen Teil, das sind 250.000 Menschen. Das heißt, wir reden hier im Moment über einen sehr, sehr kleinen Personenkreis, selbst wenn sich die Ermittlungen ausweiten und sich dort möglicherweise noch an der einen oder anderen Stelle noch etwas zeigt. Dass man daraus dann sozusagen ein Bundeswehrproblem insgesamt macht, das geht mir dann doch etwas schnell, bevor man weitere Erkenntnisse hat. Ich war ja nun gestern genauso wenig wie die Öffentlichkeit insgesamt in dieser Sitzung drin. Nach dem, was man hinterher gehört hat, muss man davon ausgehen, dass dort zwei verschiedene Sitzungen stattgefunden haben. Das wird sich sicher im Laufe der Zeit dann noch zeigen.
    Kapern: Jetzt haben Sie auch wieder darauf hingewiesen, dass drei Verhaftete angesichts von 250.000 Bundeswehrangehörigen sehr, sehr wenige sind. Gleichwohl ist ja von einem Nazi-Netzwerk die Rede. Zu Recht oder zu Unrecht?
    Königshaus: Das weiß ich nicht. Es wird immer wieder davon geredet, aber Belege dafür kenne ich nicht. Das Einzige, was natürlich nun erreicht ist: Mit drei Personen haben wir es doch mit einer Gruppe zu tun. Das ja. Aber ob das ein Netzwerk ist, das sich, wie der Begriff ja dann quasi unterstellt, sozusagen durch die gesamte Bundeswehr zieht, dafür habe ich bisher noch keinerlei Anzeichen gehört oder gesehen, und auch in meiner Zeit als Wehrbeauftragter habe ich so etwas überhaupt nicht feststellen können.
    "Es haben Einzelne versagt, auch in der Aufsicht"
    Kapern: Aber das ganze Problem scheint doch deutlich über diese drei bislang Verhafteten hinauszuweisen. Oder haben Sie möglicherweise schon eine plausible Erklärung dafür gehört, wie es sein kann, dass ein Soldat eine rassistische Masterarbeit schreibt, seine Vorgesetzten erfahren davon und unternehmen exakt gar nichts?
    Königshaus: Das ist ja genau das Problem. An und für sich ist das ja eine Sache, die im Rahmen der normalen militärischen Struktur sofort hätte auffallen müssen, sofort hätte untersucht werden müssen, und das ist nicht geschehen. Das ist aber eine Frage, die zunächst einmal die militärischen Vorgesetzten betrifft. Die Frage, ob das System funktioniert, das ist dann die Frage, die sich dann anschließend an die politische Führung richtet. Aber dazu braucht sie ja erst mal Anhaltspunkte und solange sie davon überhaupt nichts erfährt, dass es so etwas gibt, innerhalb der Struktur, die übrigens seit Jahrzehnten besteht, auch in der Zeit, als die, die nun so heftig angreifen, auch selbst die militärische Führung sozusagen installiert hatten, dort, muss man sagen, hat die Ministerin ja sofort reagiert. Das wurde ihr ja im Gegenteil nun wiederum negativ ausgelegt, dass sie so heftig reagiert hat. Sie hat sich dann ja auch dafür entschuldigt, dass sie dort quasi eine zu große Rede gehalten hat, was insbesondere die Frage angeht, ob die Bundeswehr insgesamt ein Problem habe. Ich glaube, nein, das hat sie insgesamt eben nicht. Es haben Einzelne versagt, auch in der Aufsicht.
    Kapern: Sie sehen da kein strukturelles Problem, wenn welcher Mechanismus greift, der Vorgesetzte dazu bringt, über solche rassistischen Äußerungen, die schriftlich abgegeben werden, einfach mal hinwegzusehen?
    Königshaus: Ja. Aber ich weiß nicht, ob das ein strukturelles Problem ist. Wir werden immer Menschen haben, die ihrer Aufgabe in einer konkreten Situation nicht gerecht werden. Das scheint hier der Fall zu sein und dem geht die Ministerin ja nach. Das hat sie ja nun auch versucht, dadurch zu erreichen, dass sie einen Maßnahmenkatalog vorgelegt hat, der solche Dinge für die Zukunft ausschließen soll. Aber ich behaupte mal, das wird nie ganz funktionieren, weil es immer irgendwelche Bereiche gibt, in denen der Einzelne seinen konkret beschriebenen Aufgaben nicht wirklich nachkommt. Diese Masterarbeit ist ja aufgefallen, aber die Ministerin muss ja nicht die Masterarbeit lesen. Die Frage ist, wer ist dafür strukturell zuständig und verantwortlich. Das war der militärische Vorgesetzte, der genau diese Strukturen, den MAD und andere, eben nicht entsprechend dann eingebunden hat.
    Kapern: Und ich habe immer gedacht, die Gesamtverantwortung würde die Ministerin tragen.
    Königshaus: Natürlich trägt sie die Gesamtverantwortung, nämlich dass sie auf solche Probleme, wenn sie denn auftreten, reagiert. Aber solange sie nicht auftreten, weil sie auch gar nicht bekannt sind, kann sie dafür ja auch gar keine irgendwie geartete Verantwortung tragen. Politische Verantwortung richtet sich doch darauf, dass sie ihren Aufgabenbereich erfüllt. Wenn irgendwo anders jemand versagt, dann muss sie doch, wenn sie davon Kenntnis hat, darauf reagieren. Das hat sie getan.
    "Es geht nicht nur um die Frage, wie ich Fehlentwicklungen im Denken bekämpfe"
    Kapern: Fällt es denn in die Kategorie der richtigen Reaktionen der Ministerin, wenn sie nun ihre Soldaten losschickt, um in Spinden und Stuben in den Kasernen dieser Republik nach Wehrmachts-Devotionalien zu suchen?
    Königshaus: Das ist ja jetzt eine der Aktionen, die, wie ich finde, dann natürlich angebracht ist, soweit es um Gemeinschaftsräume geht, um festzustellen, gibt es hier möglicherweise ein falsches Denken, um darauf dann auch einzuwirken. Aber man muss ja hier zwei Dinge, glaube ich, unterscheiden. Die, um die es hier geht im konkreten Fall, das sind Offiziere. Die sind nicht dadurch beeinflusst, dass dort irgendwo in Gemeinschaftsräumen irgendwelche falschen Symbole aufgestellt waren. Die hatten studiert, die haben sehr genau gewusst, was sie tun, und dort lag das Problem. Ich glaube, ein zentrales Problem – und dort muss die Ministerin jetzt tatsächlich wirken – ist, dass der MAD als die Institution, die solchen Bestrebungen und solchen Problemen entgegenwirken muss, personell nach wie vor unterbesetzt ist, dass er personell überlastet ist und dass er deswegen auch wieder gestärkt werden muss. Und ich erlebe das auch als Anwalt jetzt, dass er teilweise seiner konkreten Aufgabe, nämlich Sicherheitsüberprüfungen durchzuführen, gar nicht nachkommen kann, weil er auch gar nicht zeitgerecht irgendwelche Überprüfungen vornehmen kann.
    Kapern: Ganz kurz noch, Herr Königshaus. Muss man die Wehrpflicht wieder einführen, um die rechten Umtriebe einzudämmen?
    Königshaus: Die können Sie gar nicht wieder einführen. Das ist mal das eine. Einfach deshalb, weil wir mit einer so kleinen Bundeswehr, wie wir sie jetzt haben, ja gar nicht Wehrgerechtigkeit klarstellen können und weil Sie dann so kurze Zeiten hätten, dass der Aufwand, diese Soldaten auszubilden, viel größer wäre und viel mehr Personal binden würde, als es militärisch dann nutzt. Es geht nicht nur um die Frage, wie ich Fehlentwicklungen im Denken bekämpfe, sondern dort geht es ja auch noch um andere Themen. Aber grundsätzlich geht es darum, dass wir genauer hinschauen, dass man – und das wird ja jetzt gemacht, anders als früher – auch schon bei der Einstellung schaut, wer kommt da eigentlich. Aber dazu müssen die, die das durchführen, die diese Überprüfung durchführen, auch gestärkt werden, und da liegt es wohl noch im Argen.
    Kapern: … sagt Hellmut Königshaus von der FDP, der frühere Wehrbeauftragte des Bundestages. Herr Königshaus, vielen Dank, dass Sie heute früh Zeit für uns hatten. Ich wünsche Ihnen einen guten Tag!
    Königshaus: Danke schön. Ihnen auch!
    (*) In einer früheren Version hatten wir die Funktion von Hellmut Königshaus versehentlich falsch angegeben. Wir haben den Fehler korrigiert.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.