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Bundeswehr
"Es besteht absoluter Handlungsbedarf"

Georg-Wilhelm Adamowitsch vom Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie begrüßt die Forderung nach einer Reform des Beschaffungsmanagements bei der Bundeswehr. Viele juristische Grundlagen für Verträge zwischen Bund und Rüstungsindustrie seien völlig veraltet, sagte er im DLF.

Georg Wilhelm Adamowitsch im Gespräch mit Jasper Barenberg | 07.10.2014
    Georg Wilhelm Adamowitsch am 03.05.2013 in Hamburg auf dem Kirchentag
    Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, Georg Wilhelm Adamowitsch (Angelika Warmuth/dpa)
    So gehe man immer noch nach dem Preisrecht von 1953 vor. In den letzten Jahrzehnten hätte sich ein komplizierter Planungs- und Entscheidungsprozess entwickelt, der viel zu bürokratisch sei. "Viele Hinweise kommen zur rechten Zeit," sagte Adamowitsch zu dem Gutachten, das der Bundeswehr in Sachen Beschaffung und Materialzustand ein vernichtendes Urteil ausstellt 
    Es sei nun wichtig, auf Grundlage des Gutachtens einen neuen Planungsprozess zu organisieren, der den Bedürfnissen der Bundeswehr Rechnung trage - etwa in Form von Rahmenverträgen zwischen Rüstungsindustrie und der Bundeswehr.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Soldaten, die in Bulgarien oder auf Gran Canaria festsitzen, weil ihre Transportmaschine streikt, Hubschrauber mit Haarrissen, fehlerhafte Bohrungen bei Kampfjets - die Pannenberichte aus der Truppe haben sich in den letzten Wochen gehäuft. Die Mängel treten auch zutage, weil sich die Lieferung von modernem Material immer mehr verzögert, denn neues Gerät ist teuer und die Anschaffung dauert.
    Mitgehört hat Georg-Wilhelm Adamowitsch, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Schönen guten Morgen.
    Georg-Wilhelm Adamowitsch: Guten Morgen.
    Barenberg: Die Gutachter kommen ja zu dem Ergebnis, Herr Adamowitsch: zu spät, zu teuer, zu schlecht. Ich will es mal auf diese knappe Formel bringen. Verspricht die Rüstungsindustrie mehr als sie halten und liefern kann?
    Adamowitsch: Nein! Wir sind hier, wie das vorher schon geschildert worden ist, in einem komplizierten Planungs- und Entscheidungsprozess, der nach heutigen Entscheidungskriterien längst einer Überholung bedarf. Das haben wir als Industrieverband schon seit Jahren gefordert. Von daher ist das jetzt vorliegende Gutachten eine hervorragende Diskussionsgrundlage, in den Bereichen Rüstungsmanagement, zentrale Rüstungsprojekte sowie aber auch bei solchen schwierigen Fragen wie Materialerhaltung und Einsatzbereitschaft einen neuen Planungs- und Entscheidungsprozess zu organisieren, der den Bedürfnissen der Bundeswehr Rechnung trägt.
    Preisrecht: "Bestimmungen aus dem Jahr 1953"
    Barenberg: Wir haben in den letzten Tagen und Wochen viel über Mängel gehört. Da ist die Rede davon, dass beim Schützenpanzer Puma zum Beispiel die Zielerkennung nicht richtig funktioniert, dass beim Hubschrauber NH90 leicht Rost ansetzt, und auf das neue Transportflugzeug A400M wartet die Bundeswehr ja auch schon seit Jahren. Welche Verantwortung tragen die Unternehmen dafür?
    Adamowitsch: Nun, es gibt zu jedem Projekt einen entsprechenden Beschaffungsvertrag, der, wie auch geschildert, zwischen Juristen ausgehandelt werden muss. Wenn das Gutachten zu dem Ergebnis kommt, dass die Qualität der juristischen Beratung auf der Amtsseite nicht ausreichend ist, kann man dieses der deutschen Industrie nicht vorhalten. Wir haben aber komplizierte Rahmenbedingungen dabei zu berücksichtigen. Da geht es zum Beispiel auch um das Thema des Preisrechtes. Da argumentieren beide Seiten noch auf der Grundlage von Bestimmungen aus dem Jahre 1953. Da ist ganz erheblicher Renovierungsbedarf angesagt. Wir müssen über die Frage der IPR, der Rechte an Entwicklungen diskutieren, und vieles andere mehr, und insbesondere auch über die Frage, wer bei solchen Projekten das Risiko trägt, wie das vorher auch richtig gesagt worden ist.
    Barenberg: Und da, Herr Adamowitsch, ist ja der Eindruck entstanden, dass das Risiko im Wesentlichen der Steuerzahler, also wir alle tragen, jedenfalls nicht die beteiligten Unternehmen.
    Adamowitsch: Nein, das ist nicht richtig. Es gibt in fast allen Verträgen entsprechende Regelungen für Strafzahlungen, wenn bestimmte Dinge nicht eingehalten werden. Zum großen Teil ist auch von diesen vertraglichen Regelungen bis heute Gebrauch gemacht worden. Ich hätte mir gewünscht, dass in der öffentlichen Diskussion auch mehr darüber gesprochen wird und nicht eine solche einseitige Diskussion an den Tag gelegt wird.
    Barenberg: Dann wollen wir mal kurz reinhören, was der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion genau zu diesem Punkt sagt. Rainer Arnold:
    Rainer Arnold: "Man muss exemplarisch mit der Industrie jetzt einmal unsere Regressansprüche durchsetzen, damit die einfach merken, es wird ernst in diesem Bereich."
    "Da muss jetzt ein Neuanfang gemacht werden"
    Barenberg: Rainer Arnold, der verteidigungspolitischeSprecher der SPD, der ja auch sagt, es hat eigentlich noch nie eine Regresszahlung gegeben, und die Gutachter wiederum sagen, die Industrie setzt die Preise durchweg zu niedrig an, um sie dann Stück für Stück zu erhöhen. Ist das alles aus der Luft gegriffen?
    Adamowitsch: Nein, nicht aus der Luft gegriffen. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus. Einmal das, was die Transparenz bei der Preisgestaltung und der Konventionalzahlung angeht. Da gibt es ja Anfragen im Deutschen Bundestag mit entsprechenden Antworten aus dem Frühjahr dieses Jahres. Alle, die sich an dieser Diskussion beteiligen, sind gut beraten, wenn sie die Dokumente, die im Deutschen Bundestag vorliegen, einmal in die Diskussion mit einbeziehen. Zum Zweiten: Das Thema Preisrecht ist ein schwieriges Thema. Ich habe das bereits angesprochen. Auf Grundlage des geltenden Preisrechtes dürfen unsere Unternehmen ohnehin nur sechs Prozent an den Produkten verdienen. Das ist im Maßstab mit anderen Wirtschaftsbereichen zugestandenermaßen sehr wenig. Deswegen besteht dort absoluter Handlungsbedarf. Und das Gleiche gilt natürlich auch für die Vertragsgestaltung insgesamt. Wir müssen viel mehr zu Rahmenverträgen kommen. Dort macht auch das Gutachten entsprechende Beispiele. Ich habe ja eingangs gesagt: Viele Hinweise aus diesem Gutachten kommen zur rechten Zeit, weil wir jetzt die Möglichkeit haben, gemeinsam über Planungs- und Entscheidungsprozesse neu nachzudenken, denn die Bürokratisierung ist ja nicht durch die Unternehmen entstanden, sondern die Bürokratisierung ist durch die Bürokratie über 50 Jahre entstanden, und da muss jetzt ein Neuanfang gemacht werden.
    Barenberg: Das heißt, Sie haben es auf der anderen Seite des Tisches im Ministerium durchweg mit Laien und Dilettanten zu tun?
    Adamowitsch: Nein! Im Gegenteil! Das ist gar nicht akzeptabel, eine solche Formulierung, sondern es ergeben sich in der Entwicklung von Verwaltungs- und Entscheidungsprozessen über viele Jahre hinweg kaum noch zu steuernde, auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu steuernde Bürokratieansätze, und da muss man jetzt rangehen aufgrund der Erfahrung, die man gemacht hat, aufgrund der Grundlage, die in diesem KPMG-Gutachten vorliegt, und dann in einem gemeinsamen Verständnis die Probleme angreifen, ansetzen, um tatsächlich zum Nutzen der Bundeswehr zu einem vernünftigeren Vertragsmanagement zu kommen.
    Barenberg: Sie sagen, Ministerium und beteiligte Unternehmen müssen sich gemeinsam auf den Weg machen, damit die Bundeswehr schneller zu neuem modernen Gerät kommt. Was bieten Sie denn an, damit das geschieht?
    Adamowitsch: Wir haben gestern im Bundesverteidigungsministerium darüber ein sehr intensives Gespräch gehabt. Wir haben die ersten Arbeitsschritte vereinbart, wie wir einen solchen Prozess gemeinsam aufsetzen. Noch einmal: Das ist ein Prozess, der unter der Federführung der Bundeswehr stattfinden wird, und wir haben dort entsprechend unsere Expertise mit einzubringen. Letztendlich bleibt alles eine Entscheidung der Politik.
    "Auch im europäischen Bereich über gemeinsame Kernkompetenzen nachdenken"
    Barenberg: Welche Rolle spielt bei diesen Gesprächen, dass es jetzt eine Vorentscheidung zumindest gibt, was eigentlich nationale Schlüsseltechnologien sein sollen, dass jedenfalls U-Boote, Handwaffen und gepanzerte Fahrzeuge künftig nicht mehr dazu zählen?
    Adamowitsch: Nun, das ist eine erste Überlegung, die aus dem Ministerium gekommen ist. Wenn wir über die Frage von Kernfähigkeiten oder Schlüsseltechnologien diskutieren, dann müssen wir natürlich auch einen entscheiden Punkt, nämlich das Thema Europa dort mit einbringen. Was in den Überlegungen aus dem Bundesverteidigungsministerium überhaupt nicht dargestellt ist, ist die Frage der notwendigen Harmonisierung und Zertifizierung auf europäischer Ebene, die die Voraussetzung dafür ist, auch im europäischen Bereich über gemeinsame Kernkompetenzen nachzudenken.
    Barenberg: Heißt das jetzt, Herr Adamowitsch, Sie haben ein Problem mit dieser Definition, oder heißt das, Sie haben damit kein Problem?
    Adamowitsch: Nein, ich habe da kein Problem mit. Ich sehe nur Handlungsbedarf auf der Amtsseite, und dieser Handlungsbedarf ist noch nicht eindeutig definiert, sondern hier ist nur eine Zielvorstellung auf einer Seite beschrieben. Das ist natürlich überhaupt nicht ausreichend.
    Barenberg: Sie hoffen noch auf andere Impulse, andere Signale aus anderen Teilen der Bundesregierung, aus dem Wirtschaftsministerium?
    Adamowitsch: Für uns wäre es wichtig, wenn wir mit jedem Ministerium, das sich an einem solchen Prozess beteiligt, einzeln reden müssen. Die haben den Anspruch, dass die Bundesregierung geschlossen mit uns dieses Thema diskutiert.
    Barenberg: Georg-Wilhelm Adamowitsch, der Hauptgeschäftsführer vom Bundesverband Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Danke für das Gespräch heute Morgen.
    Adamowitsch: Auf Wiederhören!
    Barenberg: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.