Donnerstag, 28. März 2024

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Bundeswehr im Inneren
"Eine Diskussion, die respektlos ist gegenüber der Polizei"

Der Erste Bürgermeister von Hamburg, Olaf Scholz, hat sich strikt gegen Bundeswehreinsätze im eigenen Land ausgesprochen. Er hält die Polizei auch angesichts möglicher Terrorangriffe für "sehr gut aufgestellt". Aufgabe der Politik sei es, sich hinter die Beamtinnen und Beamten zu stellen, sagte der SPD-Politiker im DLF.

Olaf Scholz im Gespräch mit Stephan Detjen | 07.08.2016
    Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD)
    Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz, SPD: "Ich glaube, dass das kein guter Einfall war." (dpa/picture-alliance/Ingo Wagner)
    Stephan Detjen: Herr Bürgermeister, in Rio sind die Olympischen Spiele eröffnet. Hat es Sie in diesen Tagen noch einmal gewurmt, dass die Hamburger die Spiele 2024 nicht in ihrer Stadt haben wollten?
    Olaf Scholz: Das ist eine Entscheidung, die die Bürgerinnen und Bürger getroffen haben. Mittlerweile liegt das ja auch schon einige Zeit zurück und nun geht es mir so wie fast allen anderen: Ich freue mich auf die Spiele und das, was man da sehen kann.
    Detjen: Freuen Sie sich uneingeschränkt? Denn Olympia ist ja nicht unbedingt schöner geworden. Jedenfalls im Vorfeld der Eröffnung in Rio waren die Spiele ja nochmal ganz vom Thema Doping überschattet.
    Scholz: Das ist schon eine sehr bittere Nachricht – hat ja übrigens auch in der Debatte in Deutschland eine große Rolle gespielt, das Thema Doping. Aber ich glaube, dass es wichtig ist, dass man alles tut um zu verhindern, dass das den Sport und die Freude daran beeinträchtigt.
    Detjen: Jetzt hat sich seit der Entscheidung im Hamburger Referendum auch die Sicherheitslage nochmal verschärft. Man kann es so sehen, dass sich die Befürchtungen derer bewahrheitet haben, die beim Olympia-Referendum in Hamburg vor den Kosten des Sicherheitsaufwandes und den Folgen für die Spiele selbst, für die Atmosphäre der Spiele, gewarnt haben. Haben die im Nachhinein jetzt nochmal Recht bekommen?
    Scholz: Wir werden sehen, wie das ist. Die Spiele werden ja erst gewesen sein. Und dann, glaube ich, macht es Sinn, eine Bewertung vorzunehmen. Für mich ist ganz wichtig, dass wir uns die Freude am Leben, an Spielen, an Sport, an vielen Freizeitveranstaltungen, an Theater und Kultur, an Musik nicht verderben lassen von denjenigen, die Zweifel sehen an unserer Zivilisation.
    Detjen: Also, der Erste Bürgermeister von Hamburg, Olaf Scholz, freut sich auf Olympia. Wir diskutieren in diesem Zusammenhang über Sicherheit auch politisch – damit kommen wir jetzt auf Ihr Feld. Sie haben dieser Tage gesagt, der Ruf nach dem Einsatz der Bundeswehr im Inneren, über den viel gesprochen wurde in den letzten Tagen, sei "Respektlosigkeit gegenüber der Polizei". Warum?
    Scholz: Wer Polizist, Polizistin werden will, muss sich sehr sorgfältig ausbilden lassen. Die Polizeien in den Ländern, auch die Bundespolizei, haben sehr sorgfältige Auswahlprozeduren, um die besten Bewerberinnen und Bewerber für diese Ausbildung zu finden. Und das ist eine Aufgabe, die wirklich nur mit größter Kenntnis und größter Seriosität wahrgenommen werden kann.
    "Die Polizei ist in der Lage, das Erforderliche zu tun"
    Detjen: Aber das stellen diejenigen, die jetzt über einen Bundeswehreinsatz sprechen, ja nicht in Frage, sondern es geht um eine neue Bedrohungssituation.
    Scholz: Und gerade aktuell hat sich ja gezeigt, dass die Polizei in der Lage ist, das Erforderliche zu tun. Deshalb glaube ich, geht es da mehr um eine Pose. Und eines ist auch ganz klar, wir haben eine Verfassungslage, die durch die Bestimmung unseres Grundgesetzes beschrieben ist und durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes. Und für eine Veränderung, da wird es auch keine Mehrheit geben.
    Detjen: Aber wo hat sich in Ihren Augen gezeigt, dass die Polizei diesen neuen Bedrohungslagen wirklich gewachsen ist, alleine gewachsen ist? Darum geht es ja. Denn das, wovor Sicherheitsexperten, auch die Nachrichtendienste warnen, die neue, wirklich neue Dimension des Terrors - koordinierte Angriffe in Großstädten, wie wir sie in Paris erleben mussten - das ist uns ja in Deutschland bisher – gottlob – erspart geblieben.
    Scholz: Ich glaube, dass es richtig ist, dass überall Entscheidungen getroffen worden sind in Deutschland, die Polizei zu verstärken, dass die Ausrüstung verbessert worden ist, dass alle jetzt gucken, wie sie mit einer solchen Situation umgehen können. Es sind aber Polizeilagen, und die Polizei in den Ländern und die Polizei des Bundes haben ganz klare Aufgabenbeschreibungen und auch Kompetenzen in dieser Frage. Ich halte das für eine Diskussion, die respektlos ist gegenüber der Polizei, die sehr wohl in der Lage ist, mit Polizeilagen – und um die geht es hier – umzugehen.
    Detjen: Ist dann das Bundesverfassungsgericht respektlos gegenüber der Polizei, das ja die Verfassungslage – auf die Sie gerade auch angesprochen haben – so interpretiert hat, dass in Einsatzfällen katastrophischen Ausmaßes, zu denen Terror gehören kann, der Einsatz der Bundeswehr im Inneren verfassungskonform sein kann?
    Scholz: An dieser Rechtsprechung hat überhaupt niemand gezweifelt. Ich glaube, was wir jetzt erleben, ist eine Debatte über ein Ereignis, das gar nicht stattfindet. Wir haben gesehen, wie gut die Polizei ist.
    Detjen: Aber auf das man sich vorbereiten muss.
    Scholz: Wir haben gesehen, wie gut die Polizei ist. Und ich glaube, hier wird einfach ein bisschen Positur betrieben, das hat gar nichts mit den realen Geschehen in der Sicherheitslage zu tun. Da muss man sich um die Polizei kümmern und sich hinter die stellen.
    Detjen: Da möchte ich nochmal nachfragen: Es hat etwas mit einer Bedrohungslage zu tun, nicht mit Fällen wie wir sie in München erlebt haben, wo die Bundeswehr ja auch nicht eingesetzt wurde. Sie wurde in Alarmbereitschaft versetzt, zum Einsatz ist es nicht gekommen. Aber es gibt Bedrohungsszenarien, die von Sicherheitsexperten, von Nachrichtendiensten geschildert sind. Sind die übertrieben?
    Scholz: Das merkt man ja an der Art und Weise, wie dann Stück für Stück immer überlegt wurde: "Was könnte man denn jetzt noch sagen, um herauszufinden, warum das notwendig ist." Wir haben eine sehr gut aufgestellte Polizei, die sich auch mit solchen Situationen auseinandersetzen muss und kann. Und ich glaube, dass das kein guter Einfall war, nachdem sie gezeigt hat, wie gut sie in der Lage ist, mit einer schwierigen Situation umzugehen, die besteht, wenn jemand aus einer wirren Einstellung heraus auf andere Menschen zum Beispiel schießt. Dann zu sagen, jetzt muss man darüber nachdenken, was man alles noch machen kann – denn die hat ja gezeigt, dass sie es kann.
    Detjen: Also, dann verstehe ich Sie richtig, weil wir ja nicht über tatsächliche Geschehnisse sprechen, sondern über hypothetische Bedrohungsszenarien: In Hamburg ist die Polizei so aufgestellt, dass sie auch mit extremen terroristischen Bedrohungslagen, wie wir sie in anderen Städten erlebt haben, in Paris erlebt haben, alleine zurechtkäme. Da müsste die Bundeswehr nicht, wie in München, in Alarmbereitschaft versetzt werden?
    Scholz: Die Polizei ist sehr gut aufgestellt, sie ist es überall, und das ist auch richtig so.
    Detjen: Es geht um Grundsatzfragen, um Fragen der Politik über das Verständnis der Armee, unserer Armee, über das Verständnis von unserer Sicherheit. Wie sollte die Politik und wie sollte die Öffentlichkeit solche Debatten führen? Wer entscheidet sowas am Ende? Sind das Parlamente? Ist das die Regierung in einem Weißbuch? Braucht man Verfassungsänderungen? Muss es dafür Volksbefragungen, Mitgliederentscheide in Parteien geben? Das ist eine ganz grundsätzliche Frage an die Politik.
    Scholz: Wir müssen unsere Polizei gut ausstatten und dafür sorgen, dass sie ihre Arbeit machen kann. Und ansonsten müssen wir uns natürlich darauf vorbereiten – und tun das ja auch schon seit langem –, dass es die Gefahr gibt, das die terroristischen Anschläge, die wir anderswo gesehen haben außerhalb Deutschlands, sich auch in Deutschland niederschlagen können. Und das ist etwas, was natürlich auch zu der Arbeit unserer Sicherheitsbehörden dazugehört.
    "Die Möglichkeit von Volksentscheiden halte ich für eine gute Sache"
    Detjen: Ich wollte unser Gespräch jetzt an der Stelle ganz bewusst vom Thema Sicherheit, Polizei weglenken und grundsätzlicher auf Fragen der politischen Diskussionen auch der Entscheidungsformen kommen. Machen wir es mal etwas enger: Volksentscheide, Referenden, das ist auch in Hamburg seit vielen Jahren ein Thema, wie direkte Demokratie gestaltet werden kann – da gibt es auch gerade wieder ein Volksbefahren. Wie ist Ihre Haltung dazu und wie hat sie sich in der letzten Zeit, etwa gerade mit Blick auf das Brexit-Referendum in Großbritannien verändert?
    Scholz: Ich halte die Möglichkeit von Volksentscheiden, die es in vielen Länderverfassungen gibt oder von Bürgerentscheiden auf kommunaler Ebene, unverändert für eine gute Sache. Das muss man auch dann sagen, wenn nicht alle so ausgehen, wie man sich das selber wünscht. Weil ich glaube, dass das eine Begleitung des eigentlichen Entscheidungsprozesses ist, der durch Wahlen stattfindet, durch die Entscheidung von Parlamenten und von Regierung. Das schadet nicht, dass es diese zusätzliche Möglichkeit gibt und dass das in den Ländern und in den Kommunen in Deutschland in vielen Fällen auch möglich ist.
    Detjen: Auf Bundesebene?
    Scholz: Auf Bundesebene haben wir uns immer dafür eingesetzt, aber nie eine dazu erforderliche verfassungsändernde Mehrheit gefunden. Ich glaube, man sollte so realistisch sein, sie in der nächsten Zeit auch nicht zu erwarten.
    Detjen: Im Zusammenhang mit dem Thema Referendum ist das Stichwort Brexit eben schon gefallen. Lassen Sie mich darauf kommen, Herr Bürgermeister. Hamburg ist sozusagen geografisch aber auch wirtschaftlich, mental ein Nachbar Großbritanniens. Was erwarten Sie, was erwartet Hamburg von den jetzt oder Anfang nächsten Jahres, wann auch immer beginnenden Austrittsverhandlungen mit Großbritannien? Welche wirtschaftlichen Interessen spielen da ganz konkret für eine Stadt wie Hamburg eine Rolle?
    Scholz: Wir sind seit Jahrhunderten mit Großbritannien verbunden, viel länger schon als das Wort Großbritannien eine Rolle spielt. Es hat Handelsbeziehungen in ganz früher Zeit zum englischen Königsreich gegeben. Und deshalb sind wir ganz sicher, dass das auch in Zukunft weiter so sein kann. Aber trotzdem ist das eine sehr bedauerliche Entscheidung, die dort in Großbritannien getroffen wurde. Und ich glaube, man darf sich nichts vormachen, es wird auch zu einem Austrittsantrag kommen. Das ist jedenfalls meine Vermutung. Und dann wird nach dem Ende der Verhandlungen Großbritannien die Europäische Union verlassen. Für mich ist das natürlich Anlass zu hoffen, dass dann Bedingungen miteinander vereinbart werden, die eine gute wirtschaftliche Zusammenarbeit auch in Zukunft möglich machen. Und ich glaube, es gibt ja auch gute Beispiele, wie das geschieht mit Norwegen oder der Schweiz zum Beispiel.
    Detjen: Sie haben jetzt die Bedeutung des Handels angesprochen. Damit kommen wir schon fast automatisch zu einem anderen Thema, das Ihre Partei beschäftigt, der Freihandel. Zwei Abkommen, eines mit den USA – TTIP –, eines mit Kanada, stehen zur Debatte. Die SPD will sich am 19. September auf einem Parteikonvent in Wolfsburg zunächst mal mit CETA beschäftigen. Welche Haltung, welche Entscheidung erwarten Sie da von Ihrer Partei?
    "CETA ist ein gut verhandeltes Abkommen"
    Scholz: Wir haben uns schon sehr lange vorgenommen, eine Entscheidung zu dem Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada zu treffen und das sorgfältig zu diskutieren. Dabei war für uns immer klar, diese Diskussion macht erst Sinn, wenn die Verhandlungen soweit fertig sind, dass man auch ein Ergebnis beurteilen kann. Und die öffentliche Diskussion in Deutschland, die öffentliche Diskussion in Europa, das, was die Sozialdemokratische Partei als Beitrag in dieser Diskussion geleistet hat, hat ja dazu geführt, dass das ursprünglich verhandelte Abkommen noch einmal verändert worden ist. Wenn man sich das jetzt anguckt, dann entspricht das aus meiner persönlichen Sicht den Forderungen, die wir im Vorfeld gestellt haben. Das ist also ein gut verhandeltes Abkommen, aus meiner Sicht. Und deshalb hoffe ich, dass der Parteikonvent dem Parteivorsitzenden und Wirtschaftsminister folgt und sagt, dass er in den Gremien der Europäischen Union Ja sagen kann.
    Detjen: Können Sie uns an der Stelle ein Bild Ihrer Partei zeichnen, wie tief spaltet die Diskussion darüber die SPD?
    Scholz: Gar nicht. Es wird darüber diskutiert, was gut ist, weil das ja eine Diskussion ist, die in der Gesellschaft stattfindet. Viele haben Fragen zu den Freihandelsabkommen. Fragen, die in neuester Zeit aufgekommen sind und gerade bei den Freihandelsabkommen, die Regelung mit Ländern betreffen, die so ähnlich sind wie wir in Europa, also die USA oder Kanada. Und das kann man ja auch ganz gut nachvollziehen. Denn selbstverständlich wird zum Beispiel, wenn es um Investor-Staat-Beziehungen geht gefragt, ob das nicht mit den Regeln und Gerichten, die wir heute schon haben, alles bereits ausreichend geregelt ist oder nicht. Deshalb war es auch richtig, dass an dieser Stelle beim kanadischen Freihandelsabkommen nochmal ein Fortschritt erreicht wurde, indem man institutionelle Sicherungen geschaffen hat, dass das quasi öffentliche Einrichtungen sind. Und ich glaube, dass das ein Fortschritt ist, der sich dann auch in späteren Abkommen niederschlagen kann.
    Detjen: Dann leiten Sie jetzt schon über oder werfen den Blick schon auf das andere große Abkommen, TTIP. Die Verhandlungen sind noch nicht so weit und es steht auf der Kippe, niemand weiß, ob das überhaupt noch eine Chance hat. Wünschen Sie sich, dass TTIP noch zu einem erfolgreichen Ende kommt?
    Scholz: Ich glaube, dass ein Freihandel, der richtigen Regeln folgt, indem zum Beispiel Arbeitnehmerrechte so verbessert werden, dass ein Freihandel der Verbraucherrechte, der Rechte derjenigen, die im Kulturbereich tätig sind ordentlich berücksichtigt, das die Demokratie auch absichert, dass nicht demokratische Entscheidungen in Frage gestellt werden können, einen guten Sinn macht. Und das muss man immer irgendwie in Verträgen regeln. Aber jeder Vertrag muss für sich betrachtet werden, wenn er fertig verhandelt ist.
    Vorher lässt sich relativ schwierig darüber etwas vermuten, wie er wohl am Ende gewesen sein wird. Und ich glaube, das ist etwas, was diejenigen, die die Skepsis nicht verstehen, glaube ich, berücksichtigen müssen. Es geht eben immer auch um ganz grundsätzliche Demokratiefragen bei diesem Thema. Jeder versteht, wenn die EU mit bestimmten Ländern auf der Welt Verträge abschließt über Freihandel, dass das überwiegend in deren Interesse ist, weil die auch Vorkehrungen bekommen, die es dann kapitalkräftigen Investoren aus Europa und den USA als ein geordnetes Wagnis erscheinen lassen, dort zu investieren. Aber die Fragen sind natürlich anders, wenn es um die Beziehung zwischen den großen Ländern gibt, die ähnliche Rechtssysteme haben. Und deshalb wundert mich die Debatte nicht – sie muss geführt werden.
    Detjen: Jetzt schauen wir mal rein auf den Teil der Investitionen, die Sie ansprechen. Würde Hamburg, was internationale, was amerikanische Investitionen angeht, von TTIP profitieren?
    Scholz: Wie gesagt, das Abkommen existiert nicht. Sie selber haben eben gesagt, man weiß gar nicht, ob es in der Präsidentschaft Obama noch was werden kann. Die Verhandlungen sind sehr weit zurückliegend. Der Zeitplan ist bisher, soweit ich das beurteilen kann, nicht eingehalten. Da muss man schon sehr skeptisch sein. Und wenn man hört, was im amerikanischen Wahlkampf so alles gesagt wird von den beiden Bewerbern um die Präsidentschaft – Hillary Clinton und Donald Trump –, dann ist da noch weiterer Zweifel angebracht. Ich will also nicht etwas beurteilen, was ich gar nicht kenne.
    Detjen: Das Deutschlandfunk-Interview dieser Woche, mit dem Ersten Bürgermeister von Hamburg, mit Olaf Scholz. Herr Bürgermeister, der Vorsitzende der SPD, Sigmar Gabriel, hat schwierige Zeiten in der Partei, jetzt steht er öffentlich auch noch wegen der Fusion Edeka/Tengelmann in der Kritik. In der Sache – das haben Sie immer deutlich gemacht – stehen Sie hinter ihm, Sie halten diese Fusion für richtig. Sind Sie sicher, dass Gabriel auch im schwierigen, heiklen Verfahren, um das es jetzt geht, alles richtiggemacht hat?
    Scholz: Ich kenne die Akten nicht, aber ich bin sehr überzeugt davon, dass das alles richtig gemacht worden ist, was dort in dem Wirtschaftsministerium vorbereitet worden ist und was an Diskussionen stattgefunden hat. Immerhin ist es ja so, dass hier ganz bewusst vorgesehen ist, dass es ein geordnetes Verfahren gibt und dann noch eine politische Möglichkeit, eine Fusion zu erlauben aus politischen Erwägungen heraus, zum Beispiel, weil man Arbeitsplätze sichern möchte.
    "Hier geht es um Männer und Frauen, die sich Sorgen machen"
    Detjen: Ist das für die SPD auch eine Chance, mal wieder den Schulterschluss mit den Gewerkschaften im Kampf um Arbeitsplätze zu demonstrieren?
    Scholz: Man sollte solche Entscheidungen nicht unter solchen politischen Kriterien fällen – also, was nützt meiner Partei –, sondern hier geht es um viele Männer und Frauen, die in den Unternehmen arbeiten und die sich Sorgen um ihre Zukunft machen.
    Detjen: Ich habe das gefragt, weil sich der Bundeswirtschaftsminister mit dieser Entscheidung ja gegen die Empfehlung beziehungsweise Entscheidung derer hinweggesetzt hat, die für den freien Wettbewerb zuständig sind – Bundeskartellamt, Monopolkommission –, die eine andere Entscheidung empfohlen oder nahegelegt haben.
    Scholz: Er ist nicht der Erste, der das tut. Minister, die dieses Amt vor ihm hatten, aller Parteien, haben schon solche Genehmigungen erteilt. Und es wird auch nicht die letzte sein.
    Detjen: Herr Bürgermeister, wir stehen gut ein Jahr vor der Bundestagswahl. Das könnte die Zeit sein, eine vorläufige Bilanz der Großen Koalition zu ziehen, mit der sich Ihre Partei, die SPD, am Anfang ja schwergetan hat. Wie ist Ihre Bilanz ein Jahr vor der Bundestagswahl?
    Scholz: Wir haben viele Erfolge durchsetzen können. Der wichtigste ist sicherlich die Einführung eines allgemeinen, gleichen, flächendeckenden Mindestlohns in Deutschland. Deutschland ist Nachzügler. Das gibt es in vielen, vielen vergleichbaren Ländern – jetzt haben wir das auch. Und es gibt Verbesserungen etwa im Bereich der Sicherheit von Arbeitsplätzen und von Arbeitnehmerrechten, bei der Leiharbeit, bei Werkverträgen sind wir an der Sache dran. Das ist alles wichtig und eine gute Leistungsbilanz.
    Detjen: Das sah ja schon am Anfang dieser Großen Koalition so aus. In den ersten Monaten hat die SPD ein Projekt nach dem anderen durchgekriegt. Es wirkte so – so haben auch wir in den Medien das beschrieben –, als diktiert die SPD die Agenda dieser Großen Koalition. Das flachte dann etwas ab und vor allen Dingen hat es sich in den Umfragewerten nie richtig niedergeschlagen. Woran liegt das?
    Scholz: Erstmal ist es wichtig, dass man gute Arbeit leistet und es ist nicht schlecht, dass alle das immerhin attestieren. Das ist ja eine gute Empfehlung, wenn es zu Wahlen geht. Und im Übrigen geht es bei Wahlen darum, dass wir die Bürgerinnen und Bürger davon überzeugen, dass man uns auch das Mandat, die Regierung zuführen, anvertrauen kann. Dann gibt das auch mehr Stimmen und mehr Prozentpunkte als in den gegenwärtigen Umfragen.
    Detjen: Ob man eine Regierung führen will, das war ja auch in Ihrer Partei gar nicht so unumstritten oder so gar nicht fraglos. Vor einem Jahr hat sozusagen Ihr Nachbar als Regierungschef, Torsten Albig, der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, noch in Frage gestellt, ob die SPD 2017 überhaupt einen eigenen Kanzlerkandidaten aufstellen sollte. Das war vor der Flüchtlingskrise. Wie sieht das heute aus?
    Scholz: Wir sind uns alle einig: Wir werden einen Kanzlerkandidaten aufstellen. Wir wollen den Kanzler dieser Republik stellen. Und Anfang des nächsten Jahres wird der Parteivorsitzende dazu einen Vorschlag machen.
    "Ein Parteivorsitzender ist immer ein guter Kanzlerkandidat"
    Detjen: Und Sie, das haben Sie immer wieder erklärt, sind dafür, dass Sigmar Gabriel das sein soll?
    Scholz: Ein Parteivorsitzender ist immer ein guter Kanzlerkandidat, sonst wäre er übrigens auch ein schlechter Parteivorsitzender.
    Detjen: Und Sie gehören selbst zu den Mehreren, auf die Sigmar Gabriel auch immer wieder gezeigt hat, die in der SPD noch mögliche Kanzlerkanditen wären.
    Scholz: Das ist ja nichts Schlechtes, dass man das allgemein mehreren Männern und Frauen in der Führung der deutschen Sozialdemokratie zutraut. Trotzdem gilt, der Parteivorsitzende wird einen Vorschlag machen. Und ich wiederhole es nochmal: Ein Parteivorsitzender ist immer ein guter Kandidat.
    Detjen: Wo ist die Linkspartei zurzeit für Sie ein Regierungspartner der SPD, ein guter Regierungspartner? wo in den Ländern? Auf Bundesebene auch?
    Scholz: Die Partei Die Linke vertritt politische Positionen im Hinblick auf die Entwicklung unseres Landes, auf die Entwicklung Europas, auf globale Themen, mit denen man sich gegenwärtig nicht vorstellen kann, wie da eine gemeinsame Regierung funktionieren sollte. Deshalb kann man beim Blick auf die Partei Die Linke große Skepsis haben, dass die in der nächsten Zeit noch die Wende schaffen, dass sie regierungsgeeignet in einem deutschen Staat sind. Ich halte das nicht für möglich.
    Detjen: Das bezieht sich jetzt auf Koalitionen auf Bundesebene, was Regierung angeht. Vor der Bundestagswahl, vor der Bildung einer Bundesregierung steht die Wahl eines Bundespräsidenten, eine sozusagen rot-rot-grüne Koalition in der Bundesversammlung. Ist das für Sie erstrebenswert?
    Scholz: Ich wünsche mir, dass jemand Präsident oder Präsidentin wird, von dem die Bürgerinnen und Bürger sagen: Das ist ein guter Präsident, das ist eine gute Präsidentin. Da geht es nicht zu allererst um Parteipolitik, sondern darum, dass das Land zusammengehalten wird. Und das sollte auch im Vordergrund der Bemühungen stehen. Ich fände es auch sehr gut möglich, dass sich Parteien der jetzigen Regierung auf einen gemeinsamen Kandidaten verständigen, den auch die Grünen zum Beispiel und andere gut finden.
    Detjen: Herr Scholz, jetzt beginnt für die Parteien, zunächst mal als Vorbereitung auf die Wahl, die Aufstellung der Kandidatenlisten – das betrifft auch die SPD in Hamburg natürlich. Können Sie gewährleisten, dass die SPD in Hamburg keine Kandidatinnen oder Kandidaten aufstellt, die dann danach mit gefälschten Lebensläufen den Bürgern etwas vormachen?
    Scholz: Das glaube ich schon.
    Detjen: Das war in Nordrhein-Westfalen offenbar nicht so einfach. Was ist da schiefgelaufen?
    Scholz: Weiß ich nicht. Ich kenne mich vor Ort nicht genug aus. Ich glaube, dass alle sehr betrübt darüber sind, dass es so ist. Und das muss jetzt auch schnell in Ordnung gebracht werden.
    Detjen: Zu den Befunden in dieser Affäre um die SPD-Bundestagsabgeordnete Petra Hinz gehört ja auch das Bild, dass da eine SPD-Abgeordnete war, die eigentlich niemand richtig kannte. Der Vorsitzende des SPD-Unterbezirks Essen, der nordrhein-westfälische Justizminister Kutschaty sagt, es habe eigentlich gar keine persönlichen Beziehungen zu dieser Abgeordneten gegeben. Schlagen sich da ein paar Genossen jetzt im Nachhinein in die Büsche? Oder wirft diese Affäre ein Schlaglicht auf eine für die Politik vielleicht typische Verkümmerung von menschlichen Beziehungen?
    Scholz: Letzteres ganz bestimmt nicht. Wie es dazu gekommen ist, dass das niemand bemerkt hat, auch die ja immer sehr kritische Öffentlichkeit und Presse nicht. Das kann ich mir auch nicht so richtig erklären. Auf alle Fälle, wenn alles zu Ende ist, wird es sicherlich ein gutes Buch über das Thema geben und dann werden wir mehr lernen.
    Detjen: Sie haben vor ein paar Wochen, Herr Scholz, ein Papier geschrieben, das trug die Überschrift: Die Partei der schlechten Laune. Das bezog sich nicht auf die SPD, richtig?
    Scholz: Klar, das bezog sich auf die AfD.
    "Dafür sorgen, dass es eine gute Zukunft gibt"
    Detjen: Warum ist die für Sie die "Partei der schlechten Laune"?
    Scholz: Weil es ja keine konkreten Vorstellungen gibt darüber, wie es weitergehen soll mit unserem Land, sondern vor allem der Eindruck erweckt wird, alles läuft schief und es geht in die falsche Richtung. Ich glaube, dass es immer wichtig ist, dass man Vorstellungen dafür hat, wie man mit demokratischer Politik unser Land besser machen kann und dass man sich auch auf ganz, ganz, ganz konkrete Fragen beziehen muss. Was machen wir mit unseren öffentlichen Haushalten? Wie statten wir die Bundeswehr und unsere Polizei gut aus? Was machen wir, um die Bildung zu verbessern an den Schulen? Wie setzen wir Forschung und Universitäten auf die richtige Spur? Also immer ganz konkrete Politik, bei der es darum geht: Wie können wir dafür sorgen, dass es eine gute Zukunft gibt. Und über sowas muss man diskutieren. Und ich glaube, dass das auch der richtige Umgang ist in der Sache.
    Detjen: Dann werfen wir am Ende des Gesprächs nochmal den Blick auf das konkrete Thema, das uns alle, das das Land im vergangenen Jahr am meisten beschäftigt hat. Vor einem Jahr um diese Zeit schwante den meisten, dass mit der Flüchtlingsbewegung eine riesige Aufgabe, eine Generationenaufgabe auf Bund, Länder, Kommunen zukommen. Wenn Sie jetzt Hamburg anschauen, was sich in diesem Jahr getan hat, ist das für Sie ein Anlass, gut gelaunt auf die Entwicklung zu schauen oder eher schlecht gelaunt?
    Scholz: Was letztes Jahr stattfand, war eine unglaubliche Herausforderung. Und – das, glaube ich, muss man auch ganz offen sagen – in Deutschland war nicht überall klar, wer wann wo ist und wer wohin kommen soll und wer wo aufgenommen wird. Mittlerweile sind viele Institutionen, insbesondere auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, massiv ausgebaut worden. Dieser Ausbauprozess ist noch nicht beendet, das muss nun bald erfolgen. Und wir müssen mit den gesetzlichen Änderungen, die wir ergriffen haben, mit all den Maßnahmen, die wir getroffen haben, vorbereitet sein auf solche Entwicklungen. Das muss das Ergebnis des letzten Jahres sein. Denn wir können ja nicht sicher sein, dass nicht irgendwann mal wieder eine große Zahl von Flüchtlingen kommt. Jetzt sieht es ein wenig danach aus, dass es weniger werden und wir uns jetzt auf die Aufgabe konzentrieren können, diejenigen, die länger bleiben werden, zu integrieren.
    Detjen: Nochmal der Blick konkret auf Hamburg. Was haben Sie geschafft in diesem Jahr?
    Scholz: Wir haben Tausende von Unterkunftsplätzen geschaffen, was nicht ganz einfach ist in einer Stadt, die sehr bebaut ist und relativ mehr Flüchtlinge aufnimmt als andere, weil bei der Verteilung der Flüchtlinge in Deutschland Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft eine Rolle spielen und nicht die Frage 'Wieviel Platz hat man so?'.
    Das haben wir aber gemeistert und haben uns auch über viele Standorte verständigt, haben mit vielen Bürgerinnen und Bürgern gesprochenen, verhandelt, haben unglaublich viel Unterstützung bekommen von denjenigen, die in den Flüchtlingsunterkünften helfen. Und wir haben sofort dafür gesorgt, dass mehr Angebote gemacht werden bei Krippen und Kitas, bei den Schulen, haben zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer eingestellt, damit es ohne Beeinträchtigung des bisherigen Betriebs zu einer schnellen Integration der jungen Leute kommt. Wir haben uns sofort darauf konzentriert, diejenigen, die in dem Alter sind, in dem man zur Berufsschule geht, dort auszubilden, auch mit einer Berufsorientierung zu versehen. Und wir haben Angebote entwickelt, die für diejenigen, die erwachsen sind, eine Arbeitsmarktintegration in den Blick nehmen.
    Detjen: Und vieles ist noch zu tun. Würden Sie Ihren Bürgerinnen und Bürgern in Hamburg sagen: "Wir schaffen das"?
    Scholz: Wer realistisch ist, kann immer nur sagen: Wir können das schaffen. Aber die Bürgerinnen und Bürger haben einen großen Beitrag dazu geleistet, dass zusammen mit einer sehr engagierten Verwaltung wir ganz schön weit gekommen sind und uns jetzt an die nächsten Aufgaben machen.
    Detjen: Herr Bürgermeister, vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.