Freitag, 19. April 2024

Archiv

Bundeswehr
Zehn Jahre nach dem Aussetzen der Wehrpflicht

2011 beschloss der Bundestag, die Wehrpflicht auszusetzen. Befürworter beschworen damals die Vorteile einer Berufsarmee, Skeptiker sahen das Risiko einer Parallelgesellschaft und rechtsextremistischer Tendenzen. Genau zehn Jahre später fällt die Bilanz des Aussetzungs-Beschlusses durchwachsen aus.

Von Norbert Seitz | 23.03.2021
Bundeswehrsoldaten beim Testen Einreisender aufs Coronavirus an der deutsch-österreichischen Grenze
Zuletzt war die Bundeswehr unter anderem im Gespräch, weil sie Amtshilfe bei der Bewältigung der Coronavirus-Pandemie leistet (picture alliance / Sven Simon / Frank Hörmann)
"Ich bekenne mich zur Wehrpflicht. Die Wehrpflicht ist eine wichtige Klammer zwischen Gesellschaft und Streitkräften."
Dieses Bekenntnis von Bundeskanzlerin Angela Merkel währte nicht lange. Es wurde auf einer Bundeswehrgelöbnisfeier aus Anlass des 20. Juli im Jahre 2009 abgegeben. Kaum anderthalb Jahre danach, am 22. November 2010, verkündete Bundesverteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg auf einer Bundeswehr-Tagung in Dresden die Aussetzung der Wehrpflicht:
"An die Stelle der allgemeinen Wehrpflicht tritt ein neuer freiwilliger Wehrdienst, der jungen Frauen und Männern die Gelegenheit gibt, für Zeitraum zwischen 12 bis zu 23 Monaten freiwilligen Dienst in den Streitkräften zu leisten."
Damit wurde die "gesetzliche Pflicht männlicher deutscher Staatsbürger zur Ableistung von Wehrdienst in den Streitkräften der Bundesrepublik Deutschland" ausgesetzt, wie sie seit Juli 1956 Bestand hatte. Fortan ist eine Einberufung zum Militärdienst nur noch im Verteidigungs- und Spannungsfall möglich.
Mehrere Bundeswehrsoldaten gehen auf einen Hubschrauber zu
Mängel bei der Truppe
Die Bundeswehr gilt als eine historische Erfolgsgeschichte. Doch Streitkräfte müssen mehr sein als demokratiefähig – bei Verteidigungsfähigkeit und Effizienz hapert es gewaltig.

"Zäsur in der deutschen Militärgeschichte"

Die Aussetzung der Wehrpflicht im Jahre 2011 stellte eine Zäsur in der deutschen Militärgeschichte dar. Denn zu Beginn des 19. Jahrhunderts, während der Befreiungskriege, wurde ihre Einführung zu den preußischen Reformen gezählt, symbolisierte sie doch eine Aufwertung des zuvor deklassierten Soldatenstandes. Seinen Wehrdienst abzuleisten galt von nun an als "Ehrendienst" und die Armee als "Schule der Nation".
Sönke Neitzel lehrt am Historischen Institut der Universität Potsdam Militärgeschichte und Kulturgeschichte der Gewalt. Unter dem Titel "Deutsche Krieger" ist gerade seine militärgeschichtliche Studie "Vom Kaiserreich zur Berliner Republik" erschienen. Er schildert den Werdegang der Wehrpflicht:
"Die Wehrpflicht gehört in Deutschland sicherlich seit 1813 eigentlich zur Signatur des Militärs und auch zum Verständnis, wie Gesellschaft und Militär zusammengehören. 1813 war das ja eine ganz moderne neue Erfindung, von Frankreich übernommen. Und ist als eine der wenigen Reformmaßnahmen der Militärreform dann auch weitergeführt worden im ganzen 19. Jahrhundert bis 1918."
In den Einigungskriegen zwischen 1864 und 1871 stieg die Wehrpflicht wegen ihrer Effizienz als preußisches Modell zum Vorbild in Europa auf. Auch die damals systemoppositionelle Sozialdemokratie begrüßte die Wehrpflicht. Denn die Streitkräfte sollten von keiner aristokratischen Elitetruppe, sondern von einem kriegsbereiten Volksheer gestellt werden.
"Die große Ausnahme ist dann sicherlich die Weimarer Republik. Da war die Wehrpflicht verboten von den Siegermächten, bewusst verboten, weil man eine Berufsarmee wollte und so verhindern wollte, dass die Deutschen ein großes Reservoir an ausgebildeten Soldaten sich verschafften."
Manöver der Reichswehr an einem Straßenrand in Schlesien während der Zeit der Weimarer Republik: Ein Soldat schaut knieend in ein Fernglas, weitere liegen, einer vor einem aufgestellten Maschinengewehr
Die Berufsarmee der Weimarer Republik entwickelte sich über die Jahre zu einem Staat im Staat (picture alliance / akg-images)

"Berufsarmee stand 1955 nie zur Debatte"

Mit dem kontraproduktiven Resultat, dass die Reichswehr sich als Berufsarmee mit über hunderttausend Mann zum "Staat im Staate" emporschwang und sich in weiten Teilen zu einer rechtsextremen Sammlungsbewegung gegen die junge, schwächelnde Republik entwickelte. Wegen dieser historisch einschlägigen Negativerfahrung wurde bei Gründung der Bundeswehr an die Tradition der Wehrpflicht - vor der Nazi-Diktatur - wieder angeknüpft. Militärhistoriker Neitzel:
"Eine Berufsarmee stand 1955 nie zur Debatte. Und es gehörte eigentlich bei allen Parteien immer zum guten Ton, die große gesellschaftliche Bedeutung der Wehrpflicht in dieser Verbindung von Gesellschaft und Armee zu betonen. Und dass damit eben alle Schichten und Köpfe der Gesellschaft eben auch in die Armee gehen. 'Der Bürger in Uniform' ist damit eines der großen Schlagworte für die Bundeswehr gewesen."
So wurde die Bundeswehr ab dem 12. November 1955 zunächst mit 6.000 Freiwilligen aufgestellt. Die so genannte "Wiederbewaffnung" hatte begonnen. Bundeskanzler Konrad Adenauer lieferte dazu das politische Hauptmotiv inmitten des Kalten Krieges:
"Schutz unserer Freiheit und Schutz unserer Heimat und Schutz Europas vor dem vordrängenden Sowjetrussland, das Europa haben will."

"Kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen"

Die erste gesetzmäßige Einberufung erfolgte am 1. April 1957 für Wehrpflichtige, die nach dem 30. Juni 1937 geboren wurden. Ehrgeiziges politisches Ziel war es, innerhalb von drei Jahren eine Streitmacht von 12 Divisionen mit 500.000 Soldaten aufzustellen. Alle Sonderrechte von Soldaten wie in unseligen Zeiten der deutschen Geschichte wurden abgeschafft. Zum Alleinstellungsmerkmal der Bundeswehr gehört stattdessen, dass sie sich als Parlamentsarmee mit einem eigens vom Bundestag eingesetzten Wehrbeauftragten versteht.
Die Bundeswehr versteht sich als Armee im NATO-Bündnis mit dem militärischen Auftrag der Friedenssicherung durch Abschreckung. "Kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen", lautet ihre Präventionsdoktrin. Außerdem bemüht sie sich sichtbar Amtshilfe zu leisten und knüpft dabei an die Tradition des Rettens und Helfens in Ausnahmesituationen an - wie bei Flutkatastrophen, während der Flüchtlingskrise oder gerade in Pandemiezeiten.
Stets gab es Ärger um die militärische Tradition, auf die sich die Bundeswehr berufen wollte. Denn "die Wehrmacht steckte von Anfang an in der Bundeswehr", so Sönke Neitzel, und man sei auch im 21. Jahrhundert noch nicht ganz von ihr losgekommen, wie die rechtsextremen Vorfälle in jüngster Zeit von Neuem beweisen. 2018 versuchte dann Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen reinen Tisch zu machen:
"Natürlich gab es herausragende soldatische Persönlichkeiten, außergewöhnliches soldatisches Handeln zu allen Zeiten unserer Geschichte, das auf Werten gründete, die wir heute als Fundament unseres Grundgesetzes betrachten. Und es ist auch dieser Wertebezug, der die Aufnahme der Wehrmacht als Institution in unseren Traditionskanon grundsätzlich ausschließt. Dieser Maßstab unserer Werte gilt auch für die Nationale Volksarmee und schließt sie daher als traditionsstiftende Institution aus."

Massive Abrüstung nach Zwei-plus-vier-Vertrag

Mit dem Epochenbruch am Ende des Kalten Krieges änderten sich aber Rolle und Agenda der Bundeswehr. So wurde im Zwei-plus-vier-Vertrag nach der Deutschen Einheit eine massive Abrüstung festgelegt: Die 600.000 Soldaten, über die die Bundeswehr und Nationale Volksarmee der früheren DDR zusammen im März 1991 verfügten, sollten nach der Jahrtausendwende auf 250.000 Mann reduziert werden. Angestrebt wurde eine Sollstärke von 170.000. Gleichzeitig stand eine stufenweise Senkung der Wehrdienstzeit auf dem Plan - ab 1996 von zwölf auf zehn Monate, 2002 auf neun, und 2009 auf sechs Monate. Und der Verteidigungsetat sank von 20 Prozent Anteil am Gesamtetat - wie noch zu Zeiten des Kalten Kriegs - auf zehn Prozent.
Unterzeichnung des Zwei-plus-Vier-Vertrags in Moskau, v.l.n.r.: James Baker (USA), Douglas Hurd (Großbritannien), Eduard Schewardnadze (UdSSR), Roland Dumas (Frankreich), Lothar de Maizière (DDR), Hans-Dietrich Genscher (BRD)
Der Zwei-plus-Vier-Vertrag
1990 unterzeichnen BRD, DDR, USA, Großbritannien, Frankreich und die Sowjetunion ein Abkommen, das die Einheit bringt und die Nachkriegszeit beendet. Ein Rückblick.
Im neuvereinten Deutschland fühlte man sich nur noch von Freunden umgeben. Von einer "Friedensdividende", das heißt einer drastischen Entlastung des Staatshaushalts war die Rede. Außerdem hielten seit 2001 Frauen Einzug in die Bundeswehr mit günstigen Karrierechancen. Mittlerweile liegt der weibliche Anteil in der Truppe bei über 12 Prozent.
"Einsatzgebiet wird die ganze Welt sein, wenn die Vereinten Nationen oder die NATO oder die Europäische Union uns bitten mitzumachen, bei friedenserhaltenden oder friedenserzwingenden Maßnahmen."
So definierte Peter Struck, Verteidigungsminister in der rot-grünen Koalition von 2002 bis 2005, die neue Rolle der Bundeswehr als Armee im weltweiten Einsatz, sei es bei Blauhelm-Missionen oder militärisch in Somalia 1993 oder im Kosovo 1999. Mit dem Satz, die deutsche Sicherheit werde auch am Hindukusch verteidigt, lieferte Struck hernach die Legitimationsformel für den aktuell immer noch währenden Auslandseinsatz in Afghanistan, der nach 9/11 begann, als erstmalig der NATO-Bündnisfall aktiviert wurde und Bundeskanzler Schröder den USA "uneingeschränkte Solidarität" versprach, um notfalls auch im Rahmen eines asymmetrischen Krieges im Kampf gegen die Taliban den Aufbau eines Zentralstaates zu forcieren.

Guttenbergs Modell 'Aussetzung statt Abschaffung'

Vor diesen neuen Herausforderungen geriet die Struktur der Bundeswehr immer stärker auf den Prüfstand. So gab Karl Theodor zu Guttenberg im Jahr nach seiner Berufung zum Verteidigungsminister Anfang 2010 eine "Defizitanalyse zur Erkennung von Stärken und Schwächen der aktuellen Bundeswehr-Situation" in Auftrag. Auch angetrieben von einem Spar-Appell des Finanzministers Wolfgang Schäuble, der eine drastische Kürzung des Verteidigungsetats anmahnte. Eine Strukturkommission wurde eingesetzt unter der Leitung des Chefs der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise.
Als Guttenberg vor einer Spar-Klausurtagung im Juni 2010 mit dem Vorschlag aufwartete, die Wehrpflicht "auszusetzen", zeigte sich Kanzlerin Angela Merkel zunächst reserviert. Doch der junge, vor Ehrgeiz und Innovationseifer nur so sprühende CSU-Minister stellte im August 2010 der Regierungskoalition aus Union und FDP verschiedene Modelle zur künftigen Struktur der Streitkräfte vor. Alle fußten auf einer zukünftigen Stärke von 150.000 bis 180.000 Zeit- und Berufssoldaten.
"Wir brauchen heute keine unverhältnismäßig hohen Umfangzahlen mehr, sondern hoch professionelle Streitkräfte, die über weite Distanzen für schwierige und in schwierigen Einsätzen und Szenarien schnell und nachhaltig eingesetzt werden können und auch entsprechend verlegt werden können."
Guttenbergs favorisiertes Modell 'Aussetzung statt Abschaffung' der Wehrpflicht fand eine überwältigende Mehrheit, auch innerhalb der zunächst skeptischen Union. Der Minister beglückwünschte sich:
"Ich glaube, das ist eine richtige und eine kluge Entscheidung mit Blick auf Szenarien, die wir heute sicher noch nicht ganz absehen können."

Wehrbeauftragte hinterfragt Aussetzungsbeschluss

Auch in Kreisen der Bundeswehr wurde die Notwendigkeit der Wehrpflicht in Frage gestellt. Wie Klaus Olshausen zu berichten weiß. Er war Generalleutnant des Heeres und zuletzt in Brüssel im Hauptquartier der NATO als militärischer Repräsentant Deutschlands tätig.
"Die Wehrpflicht hat sich ja in der Zeit nach 1990 relativ stark entwickelt in Formen von Verkürzung des Grundwehrdienstes, durch alle möglichen Maßnahmen. Und durch die Reduzierung der Streitkräfte waren ja relativ schnell Fragen von Wehrgerechtigkeit in der zivilen Gesellschaft, vor allen Dingen bei einigen Parteien besonders präsent, sodass man sagen muss, als ich die aktive Zeit beendet habe, war eigentlich schon viel an Gründen oder Anlässen gegeben, um über die Durchführung des Grundwehrdienstes nachzudenken, ob das einerseits im Verhältnis zu den verfügbaren Mitteln und dem, was in den gekürzten Wehrdienstzeiten zu vermitteln und dann noch aktiv für die Truppe zu nutzen war, durchaus in Frage gestellt."
Am 15. Dezember 2010 wurde dann im schwarz-gelben Bundeskabinett eine Änderung der Wehrpflicht zum 1. Juli 2011 beschlossen. Danach sollte ab dem 1. März 2011 niemand mehr unfreiwillig verpflichtet werden können.
Eva Högl (SPD), Wehrbeauftragte der Bundestags, spricht in der Führungsakademie der Bundeswehr. Högl informierte sich bei ihrem ersten Besuch in der Akademie über die dortigen Lehrgänge und Strukturen.
"Mehr politische Bildung in der Bundeswehr"
Die Wehrbeauftragte des Bundestags Eva Högl (SPD) fordert mehr Personal, um gegen Rechtsextremismus insbesondere im Kommando Spezialkräfte vorzugehen.
Eva Högl, seit Mai 2020 Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags, war damals SPD-Abgeordnete und stand der Entscheidung kritisch gegenüber. Sie fürchtete, dass mit einer Berufs- oder Freiwilligenarmee Bundeswehr und Zivilgesellschaft auseinanderdriften und sich Parallelgesellschaften entwickeln könnten, wie wir sie tatsächlich gerade in der so genannten Munitionsaffäre beim Kommando Spezialkräfte, kurz KSK, erlebt haben. Weshalb Högl auch im vergangenen Jahr mit Blick auf den zehnten Jahrestag den Aussetzungsbeschluss nochmals auf den Prüfstand stellen wollte - aber ohne Erfolg:
"Ich finde, das war ja zu Recht ein schwieriger und umstrittener Beschluss, die Wehrpflicht auszusetzen. Am Ende ging's dann auch bisschen holterdipolter und ohne ein wirkliches Konzept. Und ich finde das nur richtig, solche wichtigen Beschlüsse nochmal Revue passieren zu lassen und zehn Jahre danach kritisch zu reflektieren, war das eine richtige Entscheidung oder müssen da auch was korrigieren. Die Debatte ist versandet. Ich bedaure das durchaus."
Reinhold Robbe (SPD), Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft
Allgemeine Wehrpflicht kein Allheilmittel
Der frühere Wehrbeauftragte Robbe (SPD) sieht die Ursache für rechtsextreme Vorfälle beim KSK in einem "Auseinanderdriften von Zivilgesellschaft und Bundeswehr".

"Verfassungsrechtlich ein schwerwiegender Eingriff in individuelle Rechte"

Währenddessen hatten sich Liberale und Bündnisgrüne schon länger für eine Abschaffung der Wehrpflicht ausgesprochen, so die Abgeordnete Claudia Roth während der Zeit der rot-grünen Koalition 2004:
"Die bestehende Wehrpflicht ist hoch ungerecht. Man kann nicht mehr von einer Allgemeinen Wehrpflicht reden, wenn etwa zehn Prozent der Wehrpflichtigen eines Jahrgangs überhaupt nur eingezogen werden können."
Aber nicht nur personelle und finanzielle Gründe sprachen für die Aussetzung, sondern auch die sicherheitspolitischen Gegebenheiten nach dem Epochenbruch und dem Fall des Eisernen Vorhangs. Mit dem Niedergang der alten Sowjetunion und der Auflösung des Warschauer Pakts war der wichtigste Grund für eine Wehrpflichtarmee im Sinne einer Mobilmachungsarmee nicht mehr gegeben. Außerdem galt die Wehrpflicht verfassungsrechtlich als schwerwiegender Eingriff in die individuellen Rechte eines jungen Menschen, der nur bei einer akuten Bedrohungslage wie zu Zeiten des Kalten Krieges gerechtfertigt werden konnte.
Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), Bundesverteidigungsministerin und damals CDU-Bundesvorsitzende, spricht im November 2019 über eine allgemeine Dienstpflicht
Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer (CDU) brachte 2019 eine allgemeine Dienstpflicht ins Gespräch (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)

"Größere Mischung tut der Bundeswehr gut"

Die heutigen Debatten, zehn Jahre nach Aussetzung der Wehrpflicht, werden überlagert von Themen wie der Einführung einer Dienstpflicht anstelle der alten Wehrpflicht und den rechtsextremen Umtrieben in der Truppe, von der vormaligen Verteidigungsministerin von der Leyen einmal als "Haltungsproblem" der Bundeswehr umschrieben. Dazu die Wehrbeauftragte Högl:
"Wir haben in der gesamten Gesellschaft ein Problem mit Rechtsextremismus und demzufolge auch in der Bundeswehr. Und das ist eine sehr spannende Frage, ob eine Wehrpflichtarmee besser geschützt ist vor rechtsextremen Tendenzen und Strukturen als eine Berufsarmee. Ich bin der Auffassung, dass eine größere Mischung aus allen Teilen der Gesellschaft der Bundeswehr guttut, eine größere Bandbreite. Ich weiß aber auch, dass natürlich zu Wehrpflichtzeiten auch rechtsextreme Tendenzen in die Bundeswehr über die Wehrpflichtigen gekommen sind."
Die alte Wehrpflicht ist passé. Eine Rückkehr machte militärisch keinen Sinn, wäre nicht zu finanzieren und verfassungsrechtlich problematisch, weil es in der Bundeswehr streng genommen nicht mehr um die Landesverteidigung geht. Außerdem werden in Bundeswehrkreisen die offenkundigen Vorzüge einer professionelleren Armee in digitalen Zeiten gepriesen. Mehr Engagement, Intelligenz und Aufnahmefähigkeit als früher durch mehr Ausbildung, Ausstattung, politische Bildung und bessere Bezahlung.
Auch der Fitness-Faktor spielt bei Auslandseinsätzen eine zunehmend wichtigere Rolle. Damit befindet sich die Bundeswehr im Gleichklang mit ihren Bündnispartnern, denn mittlerweile haben alle NATO-Staaten die Wehrpflicht abgeschafft – mit Ausnahme von Estland, Norwegen, Griechenland und der Türkei, wobei auch bei türkischen Kampfeinsätzen kaum Wehrpflichtige, sondern besser ausgebildete Soldaten herangezogen werden.
Der CDU-Außenpolitiker Dr. Johann Wadephul in einer Porträtaufnahme
Investitionen in die NATO gefordert
Die NATO sei das langlebigste, erfolgreichste Bündnis der Welt, sagt CDU-Außenpolitiker Johann Wadephul. Aber es brauche Investitionen und Reformen, damit das so bleibe.

Schlechter Leumund als "Gurkentruppe"

Bedauerlich, dass trotz der erkennbaren Vorteile einer Freiwilligenarmee sich die Bundeswehr in den vergangenen Jahren einen bislang nie dagewesenen schlechten Leumund eingehandelt hat: den einer defizitär ausgerüsteten, pannenhaft gemanagten und deshalb vielseits belächelten "Gurkentruppe". Zudem tun sich Probleme bei der 'Personalgewinnung' auf: Gehen der Bundeswehr die Leute aus? Eva Högl:
"Ja, das besorgt uns sehr. Das ist natürlich jetzt pandemiebedingt, dass wir aber einen Rückgang an Neuanstellungen von 19 Prozent im Jahr 2020 zu verzeichnen hatten, das heißt jeder fünfte Dienstposten ist nicht besetzt. Und die fehlen dann natürlich."
Dennoch wird bis 2025 eine Truppenstärke von 203.000 Soldatinnen und Soldaten angestrebt, auch angesichts der Zuspitzung der sicherheitspolitischen Ausgangslage in den letzten Jahren. Mit dem stillschweigend hingenommenen Angriff der Russischen Föderation auf Georgien, der Annexion der Krim und der Invasion pro-russischer Terrormilizen in der Ostukraine 2014 ist die alte Landes- und Bündnisverteidigung wieder zurückgekehrt, die 2001 faktisch schon aufgegeben worden war.

Wehrpflicht militärisch nicht benötigt

Die Frage stellt sich: Steuern wir auf eine Bedrohungslage zu, die eine Wiedereinsetzung der Wehrpflicht nötig machen könnte? Der frühere Planungschef Klaus Olshausen nennt Bedingungen für einen Wiedereinsatz der Wehrpflicht.
"Zu denken ist sie nur dann, wenn man sicherheitspolitisch davon ausgeht, dass wir mit der NATO, in der NATO wieder eine Kräfteoption brauchen, die der Durchhaltefähigkeit und den Aufwuchs erfordert. Wenn das die Bedrohungslage und die Einschätzung der eigenen Kräftelage, sozusagen der Folgekräfte bei einer möglichen militärischen Intervention eines Dritten, dann müsste man darüber nachdenken."
Zurzeit jedoch wird die Wehrpflicht militärisch nicht benötigt, wie Historiker Sönke Neitzel unterstreicht:
"Wehrpflichtarmeen hat man immer gebraucht, um Massenarmeen aufzustellen, die vielleicht auch nicht ganz so gut ausgebildet waren, aber eine große Zahl von Soldaten, große Kriege zu führen. Und das steht heute nicht mehr zur Debatte."