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Bundeswehrverband stellt sich hinter Oberst Klein

"Oberst Klein hat aus meiner Sicht militärisch keinen Fehler gemacht", nimmt der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Ulrich Kirsch, zu der umstrittenen Bombardierung bei Kundus Stellung. Klein habe die Gunst der Situation genutzt, um sich von einer Bedrohung, die unmittelbar bevorstand, zu befreien.

Ulrich Kirsch im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 07.11.2009
    Tobias Armbrüster: Es war eine Nachricht, die für viele Menschen das Bild der Bundeswehr empfindlich gestört hat: Auf Anforderung des deutschen Oberst Georg Klein haben NATO-Flugzeuge Anfang September zwei Tanklastzüge im Norden von Afghanistan bombardiert, dabei explodierten die Tanklaster und töteten einem NATO-Bericht zufolge zwischen 17 und 142 Menschen, die genaue Zahl wurde bislang nicht ermittelt.

    Hat Georg Klein mit diesem Angriff Einsatzregeln der NATO verletzt? Hat er möglicherweise gegen Völkerrecht verstoßen? Mit genau dieser Frage beschäftigt sich seit gestern die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Was das nun für die Bundeswehr bedeutet, darüber wollen wir jetzt mit dem Vorsitzenden des Bundeswehrverbandes sprechen, mit Ulrich Kirsch. Schönen guten Morgen, Herr Kirsch!

    Ulrich Kirsch: Guten Morgen, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Der Generalbundesanwalt prüft also ein Ermittlungsverfahren gegen Oberst Klein. Überrascht Sie das?

    Kirsch: Das überrascht mich in der Tat, denn all das, was gestern passiert ist, hätte ich so nicht erwartet. Das kam schon überraschend. Es sind aber alles Dinge, die der Deutsche Bundeswehrverband mit mir an der Spitze schon seit Langem fordert, und insofern können wir Minister zu Guttenberg nur sagen: Gut, dass er diese Dinge endlich beim Namen nennt.

    Armbrüster: Aber Sie sagen, Sie sind überrascht. Viele Leute in Deutschland sind vermutlich nicht überrascht, sie sehen eine große Zahl von Toten in Afghanistan, ein deutscher Oberst, der diesen Angriff unter umstrittenen Bedingungen angeordnet hat - eigentlich ein klarer Fall, dass das Ganze ein juristisches Nachspiel hat.

    Kirsch: Ja, nein, darüber bin ich nicht überrascht, dass das ein juristisches Nachspiel hat. Ich bin darüber überrascht, dass das gestern überhaupt stattgefunden hat, denn erinnern wir uns mal: Wir haben eine Legislaturperiode immer die Situation gehabt, dass diese Dinge schöngefärbt worden sind, und Minister zu Guttenberg hat sie gestern zum ersten Mal klar angesprochen.

    Dass die Generalbundesanwältin jetzt die Zuständigkeit bekommen hat, liegt einfach daran, dass der Generalstaatsanwalt aus Dresden gesagt hat: Das ist keine Sache, die wir zu beurteilen haben, das ist Völkerstrafrecht. Und deswegen hat der Generalstaatsanwalt aus Dresden das an die Generalbundesanwältin abgegeben.

    Und jetzt kommt es ja darauf an, ob die Bundesanwaltschaft nun feststellt: Jawohl, das ist das Völkerstrafrecht, das hier zum Tragen kommt. Wenn das so ist, dann stimmt das, was ich nun schon seit Langem sage: dass es sich hier um einen nicht-internationalen Konflikt handelt. Das heißt, auf der einen Seite sind Streitkräfte, die symmetrisch kämpfen, auf der anderen Seite aufständische Guerillakrieger - man könnte das auch die Fortsetzung des Bürgerkriegs nennen -, und damit spielt halt eben das nationale Recht, das deutsche Strafrecht keine Rolle mehr.

    Und deswegen ist es nicht richtig bei einer Staatsanwaltschaft aufgehoben in einem Bundesland - denn das war die Grundlage: dass die Staatsanwaltschaft des Bundeslandes Zuständigkeit hatte, wo jemand seinen Dienst beziehungsweise Wohnort hat. Und jemand, der dort Staatsanwalt ist, der kann das auch letztendlich kaum beurteilen, weil er die Lage in Afghanistan gar nicht kennt.

    Armbrüster: Herr Kirsch, ist es ein Krieg, in dem die Bundeswehr in Afghanistan kämpft?

    Kirsch: Die Frauen und Männer, die im Kundus im Einsatz sind - und ich war gerade vor fünf Wochen in Afghanistan, ich habe mit all denen gesprochen -, die jeden Tag Kampfgefecht erleben, die Tod und Verwundung erleben, die selber gezwungen sind, in diesen Einsätzen selber töten zu müssen, die sagen in der Tat: Hier ist Krieg. Was sollen die auch sonst sagen?

    Armbrüster: Was sagt denn der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes?

    Kirsch: Ich sage, die sprachgebräuchliche Formulierung Krieg passt auf Kundus, und es passt hier eine Einengung, wie zum Beispiel: die Fortsetzung des Bürgerkriegs. Auch in der Vergangenheit wurden Kriege entweder nach Zeitdauer, nach Ort, nach Region bezeichnet - der Dreißigjährige Krieg, der Siebenjährige Krieg, das war Zeitdauer, oder der Koreakrieg, das war örtlich bestimmt.

    Und hier haben wir, in Afghanistan, sehr, sehr regionale, kleine, kriegerische Handlungen, die ja nicht flächendeckend in Afghanistan sind. Wenn Sie nach Bamiyan zu den Neuseeländern gehen, auf 2400 Meter Höhe, in der Nähe von Kabul, da gibt es überhaupt keine Aufständischen. Auch das ist Afghanistan. Afghanistan ist also sehr komplex, sehr vielfältig. Aber in Kundus und das, was in Kundus passiert, kann man sagen, das ist Krieg.

    Armbrüster: Aber bringt sich die Bundesrepublik, wenn sie sagt, wir sind in Afghanistan im Krieg, nicht in eine etwas dubiose Lage? Denn das Mandat, das die Bundeswehr eigentlich hat, gilt ja nicht für einen Krieg.

    Kirsch: Das ist vollkommen richtig, was Sie sagen, nur: Das, was passiert ist bisher, ist ja ein Prozess gewesen, das ist eine Entwicklung gewesen. Und was ich auch außerordentlich bedaure, ist, dass wir im zivilen Wiederaufbau nicht diese Nachhaltigkeit erreichen konnten, weil es zum Teil nur halbherzig gemacht wurde - was Polizeiaufbau angeht, was Justizaufbau angeht, Verwaltungsaufbau, Wirtschaftsaufbau. Das ist alles halbherzig gemacht worden.

    Armbrüster: Brauchen wir also ein neues Mandat?

    Kirsch: Ein neues Mandat wäre wahrscheinlich nicht schlecht, aber ich sehe das nicht als notwendig an. Die Völkerrechtler sagen: Das ist ein bewaffneter Konflikt, das hat sich dazu ergeben, und deswegen ist die Bezeichnung richtig. Wissen Sie, das ist auch alles ... Was wir betreiben, ist natürlich die juristische Überprüfung, ist zum Teil viel Semantik.

    Aber der Punkt ist der: Wonach wird Oberst Klein - und darum geht es doch im Moment -, wonach wird Oberst Klein hinterher beurteilt? Wie gehen Juristen mit welchen Regeln an das, was Oberst Klein befohlen hat in einer militärisch schwierigen Lage? Ich weiß gar nicht, ob sich das jemand vorstellen kann, wenn jemand über Tage hinweg, über Wochen hinweg ständig Gefecht und Bedrohung um sich herum hat.

    Der Oberst Klein musste zu dem Schluss kommen, zu dem Entschluss kommen, dass er sich genau von dieser Bedrohung befreit, denn was wären denn die Alternativen gewesen? Die Alternative wäre gewesen, dass irgendwann die Tanklastfahrzeuge in seinem Lager gestanden hätten und dort explodiert worden wären. Dann hätte ich gerne mal gehört, was all diejenigen gesagt haben, die das jetzt kritisieren.

    Armbrüster: Verteidigungsminister zu Guttenberg hat aber gestern, Herr Kirsch, auch von Verfahrensfehlern gesprochen bei diesem Einsatz. Können Sie uns erklären, was er damit meint?

    Kirsch: Ich kenne leider den NATO-Bericht nicht, der ist ja geheim, also kann ich nicht wissen, was er damit meint. Ich nehme an - das ist jetzt eine Mutmaßung, die ich nicht belegen kann -, dass es um Verfahrensfehler ging, was die Anforderungen der F-15 betrifft. Das nehme ich an, aber ich kann es Ihnen nicht sagen, weil ich den geheimen NATO-Bericht genauso wenig kenne, wie alle anderen. Und Herr zu Guttenberg hat ja gestern auch noch mal deutlich gemacht, dass er selbst keine direkten Zitate daraus nehmen darf.

    Armbrüster: Was ist denn Ihre Meinung, hat Oberst Klein Fehler gemacht?

    Kirsch: Der Oberst Klein hat aus meiner Sicht militärisch keinen Fehler gemacht. Er hat die Gunst der Situation genutzt, um sich von einer Bedrohung, die unmittelbar bevorstand, zu befreien. Inwieweit er dabei Operation Procedures, also Einsatzregeln, verletzt hat, das wird letztendlich festzustellen sein, das will ich nicht ganz ausschließen. Aber er hat den militärischen Vorteil gesehen, dass er unmittelbar diese Tanklastfahrzeuge bekämpft. Und lassen Sie mich auch noch eins sagen: Jedes zivile Opfer ist zu beklagen und ich kann Ihnen eins sagen - ich habe mit Oberst Klein auch gesprochen -, ich kann Ihnen eins sagen: Der Mann durchläuft im Moment einen Leidensweg der besonderen Art.

    Ich glaube, es kann sich keiner vorstellen, was er sich für Gedanken macht, was insbesondere die zivilen Opfer angeht. Aber er war gezwungen, sonst hätte dieses Tanklastfahrzeug viel Schlimmeres, oder diese beiden Fahrzeuge viel Schlimmeres im Lager angerichtet. Und wenn er Bodentruppen entsandt hätte - die er im Übrigen auch nicht mehr in genügender Anzahl zur Verfügung hatte, weil es ja auch noch weitere Gefechte in diesem Umkreis gab -, wenn er Bodentruppen geschickt hätte, da hätten wir […] gefallene deutsche Soldaten gehabt.

    Also, wir tun uns sehr leicht, von Deutschland aus die Dinge zu beurteilen. Oberst Klein hatte nur drei Möglichkeiten des Handelns: nichts tun, Bodentruppen schicken oder die Gunst der Situation zu nutzen, nachdem die F-15-Flugzeuge zur Verfügung standen.

    Armbrüster: Der Fall, Herr Kirsch, beschäftigt ja nun schon zwei Behörden: die Generalstaatsanwaltschaft in Dresden und die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Brauchen wir in Deutschland einen Spezialgerichtshof für derartige Fälle?

    Kirsch: Also, ich hielte es für durchaus angemessen, auf Bundesebene eine Kammer zu haben, die sich genau mit diesen Dingen beschäftigt, natürlich auch mit dem Völkerstrafrecht. Es ist ja nicht so, dass das Völkerstrafrecht nun irgendwie einen Freibrief gibt. Ja, ich hielte das für erforderlich und der Artikel 96 unseres Grundgesetzes - und das haben unsere Väter des Grundgesetzes, die dieses Gesetz geschrieben haben, sehr wohl im Blickfeld gehabt - lässt das durchaus zu, eine Kammer auf Bundesebene zu haben, wo dann halt eben auch die Fachkompetenz sitzt, solche Dinge zu beurteilen.

    Denn in der Regel war es bisher so, dass die Staatsanwaltschaft in Deutschland zwar eine Polizeikontrolle am Stadtrand von Bielefeld beurteilen konnte, aber sicherlich keinen Checkpoint in Afghanistan, wie wir das auch im letzten Jahr in einer ganz speziellen Situation hatten und wie es da deutlich wurde.

    Armbrüster: Herr Kirsch, ganz kurz zum Schluss: Muss Oberst Klein für seine anwaltliche Vertretung, für seinen Rechtsbeistand selber zahlen, oder wird er dabei unterstützt?

    Kirsch: Er wird dabei unterstützt. Er kann ein Darlehen beantragen beim Bund, und solange er nicht vorsätzlich gehandelt hat, solange ihm das nicht vorgeworfen wird - Vorsatz heißt, mit Wissen und Wollen, aber das ist eine Gratwanderung auch ganz schnell von der groben Fahrlässigkeit zum Vorsatz hin -, wenn ihm das nicht nachgewiesen wird, dann zahlt die Bundesrepublik Deutschland.

    Das heißt, bei einem Freispruch zahlt die Bundesrepublik Deutschland, und wenn die Bundesrepublik Deutschland nicht zahlen sollte, dann zahlt der Deutsche Bundeswehrverband, denn wir stehen vor Oberst Klein und wir gewähren ihm selbstverständlich auch allen Rechtsschutz, den er braucht, um aus dieser schwierigen Lage herauszukommen. Denn die Bundesrepublik Deutschland, das deutsche Parlament hat auch Oberst Klein in diesen Einsatz entsandt.

    Armbrüster: Ulrich Kirsch, der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes. Vielen Dank für das Gespräch!

    Kirsch: Gerne!