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Bundeswettbewerb Gesang 2016 in Berlin
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Der Bundeswettbewerb Gesang wurde schon für etliche junge Künstler zum Karriere-Sprungbrett: Am Montagabend geht im Berliner Schillertheater das Finale über die Bühne. Teilnehmen können Sängerinnen und Sänger zwischen 20 und 30 Jahren, die in Deutschland studieren. Claus Fischer hat beobachtet, wer sich bisher bereits profilieren konnte.

Von Claus Fischer | 28.11.2016
    Aufregung liefert Energie
    Nur noch wenige Minuten hat Elissa Huber bis zu ihrem entscheidenden Auftritt vor der Jury. Selbstverständlich, meint sie augenzwinkernd,
    "ist da was. So ne Aufgeregtheit, die man braucht, um Energie zu bekommen für die Bühne!"
    Die nötige Präsenz hat Elissa Huber bereits. Das merkt man sogar, wenn man ihr einfach nur im Gespräch gegenübersteht und ihr zuhört, wenn sie erzählt, wie sie sich vorbereitet hat.
    "Also ich bin morgens aufgestanden, hab mich eingesungen, hab was gegessen, nochmal ein paar Töne gemacht und dann hier mit dem Pianisten geprobt und dann einfach nur versucht, die Rollen zu verinnerlichen. Das Singen bringt: die Emotion durchleben. Von Trauer bis Liebe bis Glückseligkeit."
    Elissa Huber stammt aus der Nähe von Heidelberg und hat in Zürich studiert. Danach bekam sie einen Platz im Opernstudio der Mailänder Scala. Also sehr gute Voraussetzungen, um beim Bundeswettbewerb Gesang erfolgreich abzuschneiden.
    Hohes Niveau dank intensiver Vorauswahl der Kandidaten
    "Ich finde, dass es dieses Jahr ein hohes Niveau ist – gegenüber anderen Jahren…"
    …sagt Jurymitglied Axel Köhler, Countertenor und bis vor kurzem Operndirektor in Halle an der Saale…
    "Wir haben ein sehr starkes Mittelfeld. Das hat man auch daran gemerkt, daß 26 Kandidaten in die dritte Runde gekommen sind."
    Rund 250 junge Sängerinnen und Sänger hatten sich insgesamt um die Teilnahme beim Bundeswettbewerb beworben, erzählt dessen Geschäftsführerin Bettina Holl. Ermittelt wurden sie durch regionale Jurys.
    "Die Vorauswahlen finden an neun Orten in Deutschland statt, also in Berlin und an acht Theatern schön verteilt. Wir hatten noch zwei zusätzliche Vorauswahlen diesmal dabei: in Hildesheim und auch seit langem wieder an der Oper Leipzig, einfach, um dem Ansturm begegnen zu können."
    "Ich hab in der Vorrunde in Duisburg vorgesungen und bin da ausgewählt worden, weiterzukommen…"
    …erzählt Amelie Petrich, die an der Musikhochschule in Mannheim studiert und vor der Jury unter anderem mit Franz Schuberts Lied "Rastlose Liebe" auftrat.
    Breitgefächertes Repertoire
    Das Repertoire, das die Teilnehmer beim Bundeswettbewerb absolvieren müssen ist, so betont Geschäftsführerin Bettina Holl, wesentlich breiter gefächert, als bei den meisten anderen deutschen Gesangswettbewerben.
    "Also nicht nur Oper und Operette, was jetzt, was den Arbeitsmarkt für junge Sänger angeht, erstmal das Wichtigste sein kann. Sondern die müssen auch Kunstlied liefern, Konzertarien, Oratorium und eben auch ein zeitgenössisches Pflichtstück. Das ist das Einzige, was aus einer Liste ausgewählt werden muss, und die Sachen sind wirklich schwer!"
    Lieder von Aribert Reimann gehörten in diesem Jahr u.a. zum Pflichtprogramm der Kandidaten, die von einer zwölfköpfigen Jury bewertet werden. Die, so betont Mitglied Axel Köhler, ist sehr unterschiedlich zusammengesetzt.
    "Es gibt auch Dirigenten, es gibt auch Korrepetitoren darunter, es gibt Operndirektoren darunter – und jeder hat eine andere Herangehensweise an die Bewertung. Der Pianist geht logischerweise sehr von der Musikalität, von der klanglichen Gestaltung aus. Ein Operndirektor überlegt: Würde er die Partie durchstehen? Könnte ich ihn dafür engagieren? Ein Dirigent sagt: Wie atmet er? Und als Sänger, als Regisseur, guckt man sich die Leute natürlich von der gesangstechnischen Seite an. Aber wichtig ist, was entsteht."
    Gesamtkunstwerk Sängerpersönlichkeit
    Gesucht wird, so betont Axel Köhler, das "Gesamtkunstwerk Sängerpersönlichkeit". Und zwar mit Hilfe eines klassischen Punkteystems, das aber doch insofern modifiziert wurde, als nicht nur das rechnerische Ergebnis am Ende ausschlaggebend ist. Dabei gibt es folgende Leitfragen:
    "Berührt einen das? Wie ist Verhältnis der Leistung zum Alter? Wie ist das Entwicklungspotenzial? Geht es um grundlegende Dinge, die der Sänger wahrscheinlich nie richtig in den Griff wird kriegen, wie z.B. eine permanente Intonationsschwäche oder ein angeborenes schlackerndes Vibrato, ich sags jetzt mal ein bißchen negativ. Oder gibt es Dinge, an denen man arbeiten kann? Und insofern ist die Bepunktung nicht eine reine Leistung, sondern so das Verhältnis von Alter, Entwicklungspotenzial, jetzigem Stand und alldem."
    "Es gab bei allen positive Sachen, bei allen. Und bei manchen war es wirklich nur eine Nuance, warum sie nicht weitergekommen sind…"
    …betont Jurymitglied Michaela Kaune, Sopranistin und Professorin an der Hamburger Musikhochschule. Ihr ist es wichtig, auch mit den ausgeschiedenen Teilnehmern intensiv zu sprechen.
    "Natürlich kann man versuchen, einen kleinen Tipp zu geben für die Zukunft oder für ne neue Richtung oder sowas."
    Gute Berufschancen für die Sieger
    Michaela Kaune hat vor 20 Jahren selbst einen ersten Preis beim Bundeswettbewerb Gesang gewonnen. Verändert, meint sie, hat sich im Ablauf seitdem kaum etwas, aber leider schon, was die Berufsaussichten der Kandidaten betrifft.
    "Damals als ich hier gewonnen habe, war es noch einfacher. Jetzt wird es immer schwieriger, in diesem Beruf zu bestehen und vor allen Dingen auch eine lange Karriere machen zu können."
    "Die Konkurrenz hat sich ja doch enorm verstärkt in den letzten Jahren durch die Internationalisierung des Musikmarkts..."
    …betont die Geschäftsführerin des Bundeswettbewerbs Gesang Bettina Holl. Die Sieger, die zur Stunde beim Finalkonzert im Berliner Schillertheater ermittelt werden, werden aber, meint sie, in jedem Fall gute Berufschancen haben.
    "Also ich verfolge das ja doch regelmäßig und also wirklich die allermeisten Preisträger der letzten Jahre sind, nicht alle jetzt wirklich weltbekannt, aber doch stabile Größen in Ensembles, oder eben als freischaffende Künstler im Musikleben."
    Doch manche schaffen es tatsächlich auch, zum Star zu werden. In den letzten Jahren zu nennen wären die Sopranistin Anja Harteros oder der Tenor Daniel Behle.
    Daß ein Sieg ihre Karriere weiterbringen wird, davon ist die diesjährige Teilnehmerin Elissa Huber selbstverständlich überzeugt. Die Wahlzürcherin aus dem Rhein-Neckar-Raum hat in jedem Fall gute Chancen, unter die ersten zu kommen.
    "Ich bin noch jung und Anfänger, und es ist einfach eine große Chance, sich den Leuten präsentieren zu können und diese Plattform zu haben und dann vielleicht richtig von der Uni ins Geschäft einzusteigen…"

    Der 45. Bundeswettbewerb Gesang in Berlin – das waren Eindrücke von Claus Fischer. Und welche Preisträger die Jury heute Nacht dann ermittelt haben wird, das erfahren Sie in einer Woche in dieser Sendung. In einem Jahr wird der nächste Bundeswettbewerb Gesang ausgetragen, dann in den Sparten Musical und Chanson.