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Bundeswettbewerb Gesang
Musical- und Chanson-Stars von morgen gefunden

Alle zwei Jahre werden beim Bundeswettbewerb Gesang die Musical- und Chanson-Stars von morgen gesucht. Überzeugen müssen die Teilnehmer nicht nur im Gesang, sondern auch in Schauspiel und Tanz. Neben Preisen im Gesamtwert von rund 50.000 Euro ermöglicht der Wettbewerb auch den Kontakt zu Regisseuren, Choreografen und Intendanten.

Von Claus Fischer | 04.12.2017
    Ein roter Theatervorhang
    Die Gewinner können zwar nicht mehr vom Musical-Bomm profitieren, aber das Genre hat in den letzten 15 Jahren am klassischen deutschen Stadttheater Einzug gehalten. (picture alliance / dpa - Marcus Brandt)
    Musik: Lina Gerlitz, "Hey Big Spender"
    Ein Klassiker des Repertoires - dieser Song der Striptease-Tänzerin aus dem Musical "Sweet Charity" von Cy Coleman aus dem Jahr 1966. Lina Gerlitz ist mit solcher Musik aufgewachsen, denn ihr Vater arbeitet als Musiker und Arrangeur im populären Genre. Schon in der Grundschule sang Lina in diversen Chören.
    "Dann wurde ich älter und bin dann auch mal zu Musicals gegangen und so und fand das auch sehr inspirierend, auch einfach diese Kunstformen vereint auf der Bühne, auch mit Tanz und mit Schauspiel."
    Gesang, Schauspiel und Tanz
    Seit einem Jahr studiert Lina Gerlitz das Fach Musical an der Folkwang Universität der Künste in Essen. Möglich ist das in Deutschland außerdem an der Berliner Hanns-Eisler-Hochschule, außerdem an den Hochschulen in München und Osnabrück. Im Kern der Ausbildung stehen gleichberechtigt die Künste Gesang, Schauspiel und Tanz. Es gilt also, am Ende alle drei gleich virtuos zu beherrschen.
    "Dieses Ideal ist natürlich nicht immer erfüllt", sagt die Projektleiterin des Bundeswettbewerbs Gesang Bettina Holl.
    "Viele haben durchaus dann eben auch eine auffallende Stärke. Aber damit können die Regisseure und Choreografen auch immer umgehen. Das ist natürlich abhängig davon, in welchem Alter man mit diesen Dingen angefangen hat, aber es wird insgesamt immer ausgewogener."
    "Schauspiel ist ja das, was alles zusammenhält, was immer die Grundvoraussetzung ist", sagt Katharina Wollmann, die in München studiert und in diesem Jahr immerhin einen Förderpreis beim Bundeswettbewerb gewonnen hat.
    "Also du kannst ja keinen Tanz anfangen ohne Intention dahinter. Oder kein Lied singen, ohne zu wissen, was du sagst. Das ist ja das, was wirklich zählt und was im Endeffekt das Publikum berührt."
    "Die jungen Leute, die jetzt kommen, haben ungefähr 20 Jahre Musical angeguckt"
    Das Niveau der Kandidaten ist in den letzten zehn, 15 Jahren enorm gestiegen, betont der Vorsitzende des Bundeswettbewerbs Gesang und Professor für Musical an der Universität der Künste Berlin Michael Dixon.
    "Die jungen Leute, die jetzt kommen, haben ungefähr 20 Jahre Musical angeguckt, erlebt gesehen, mitgemacht und so, und das habt das Niveau ziemlich gewaltig!"
    "Ich habe mit acht in so einem Musicalverein angefangen, weil ich immer getanzt und gesungen habe", erzählt Yasmina Hempel aus Kassel. Sie hat im Frühjahr Abitur gemacht.
    "Und mir war nie wirklich bewusst, dass das ein richtiger Beruf ist. Bis ich im Theater war, im Theater des Westens bei 'Tanz der Vampire'. Und da dachte ich: Hm! Die Leute stehen da auf der Bühne und singen und tanzen und kriegen Geld dafür und sehen glücklich aus – das will ich machen!"
    Yasmina Hempel war zwar nicht unter den Hauptpreisträgern, aber auch sie bekam einen der Förderpreise des Bundeswettbewerbs. Und der dürfte ihr die Bewerbung um einen Studienplatz in jedem Fall erleichtern.
    "Allein, das ich ins Finale gekommen bin, zeigt ja, dass ich mich vielen Leuten präsentieren konnte. Viele Leute wissen jetzt, was ich kann, was ich nicht kann, kennen meinen Namen eventuell. Also das ist schon eine ganz große Möglichkeit!"
    "Sie sehen ja, dass viele Entscheider auch in der Jury sind, Regisseure, Choreografen, Intendanten, betont deren Vorsitzender Peter Christian Feigel, im Hauptberuf musikalischer Leiter an der Staatsoperette in Dresden.
    "Und dass es deshalb immer auch darum geht, junge Talente kennenzulernen und vielleicht für das eigene Theater mitzunehmen und Produktionen mit ihnen zu machen."
    Bewertung der Kandidaten durch klassisches Punktesystem
    Bewertet wurden die rund 100 Teilnehmer nach einem klassischen Punktesystem. Zwischen null und 25 Punkten konnten die zwölf Juroren vergeben.
    "Derjenige bekommt den Preis, der im arithmetischen Mittel die meisten Punkte erzielt. Deshalb diskutieren wir eigentlich nur über die Zweifelsfälle. Aber wir sind uns glücklicherweise dann doch sehr schnell einig geworden."
    Durch die Gespräche konnten die Juroren also verhindern, das Kandidaten, die stark polarisierten, ausscheiden mussten und stattdessen mittlere nach oben kamen.
    Musik: Markus Fetter, "Der Stalker"
    Der erste Preis in der Disziplin Musical in diesem Jahr ging an Markus Fetter aus Berlin, der an der Universität der Künste in seiner Heimatstadt studiert. Vor zwei Jahren, bei der letzten Ausgabe des Bundeswettbewerbs in den Fächern Musical und Chanson, hatte er bereits einen Förderpreis gewonnen. Sieger im Fach Musical war damals Dennis Weißert, ebenfalls aus Berlin. Diesmal hat er in der Disziplin Chanson teilgenommen.
    "In meinem Gymnasium ab der 9. Klasse habe ich in der Musical-AG mitgemacht. Mir hat´s Spaß gemacht, ich hab ein tolles Feedback bekommen und gesagt: Ja, das ist es."
    Musik: Dennis Weißert
    Sieger im Fach Musical: Dennis Weißert
    Parallel zu seinem Studium an der Berliner Universität der Künste steht Dennis Weißert auch schon auf der Bühne, betont Projektleiterin Bettina Holl.
    "Der ist im Moment bei den Endproben in Augsburg bei dem Musical 'Roxy und ihr Wunderteam'; einem Fußballmusical. Und zwischendurch steigt er in den Nachtzug nach Berlin, denn er ist hier im Wettbewerb Chanson."
    In dieser Disziplin konnte Dennis Weißert allerdings keinen Preis gewinnen. Aber dank des ersten Preises vor zwei Jahren sind seine Berufsaussichten hervorragend - wie überhaupt die der meisten Preis- und Förderpreisträger.
    "Tatsächlich haben wir vor einiger Zeit einmal eine richtige Evaluierung gemacht und dabei zu unserer eigenen positiven Überraschung festgestellt, dass wirklich fast alle in dem Beruf erfolgreich arbeiten."
    Das mag erstaunen, wo doch der Boom sogenannter Long-Run-Musicalproduktionen wie "Starlight Express" oder "König der Löwen" vorbei zu sein scheint. Aber dafür, betont Bettina Holl, hat das Musical in etwa den letzten 15 Jahren am klassischen deutschen Stadttheater Einzug gehalten und beim jüngeren Publikum die Operette als das populäre Genre abgelöst.
    "Man hat natürlich an diesen Bühnen erkannt, dass es eben auch durch die Bevölkerung einfach mehr Leute anspricht, auch altersmäßig. Deshalb hat der Musical-Boom sich vielleicht eher dann doch zu den öffentlich geförderten Theatern verlagert."
    Wenig feste Stellen für Musicaldarsteller an Theatern
    Förderpreisträgerin Katharina Wollmann, die in München Musical studiert, reizen auf jeden Fall beide Arbeitsmöglichkeiten.
    "Momentan glaube ich, dass es mir mehr Spaß machen würde, unterschiedliche Sachen auszuprobieren, also vielleicht eher Stadttheater. Aber mal schauen, vielleicht find ich auch meinen Frieden in Long-Run und kann drei Jahre am Stück das Gleiche machen, ohne dass es mir langweilig wird."
    An deutschen Theatern gibt es allerdings momentan wenige feste Stellen für Musicaldarsteller, sagt Bettina Holl. Die meisten arbeiten freischaffend als Honorarkräfte.
    "Es gibt wenige Bühnen, die ein echtes Musicalensemble sich leisten können. Allerdings hab ich jetzt in den letzten Tagen von Dozenten von Hochschulen gehört, dass es doch auch häufiger passiert, dass junge ausgebildete Musicaldarsteller auch ins Ensemble kommen und die dann eben Schauspiel, Operette, Musical tatsächlich machen. Das zeigt nicht nur deutlich, dass das Genre Musical im klassischen Theaterkanon angekommen ist, sondern auch, dass die Ausbildung an den Hochschulen auf demselben hohen Niveau stattfindet wie im klassischen Bereich. Und dazu hat maßgeblich auch der Bundeswettbewerb Gesang durch die Aufnahme des Genres in seinen Kanon beigetragen."