Freitag, 19. April 2024

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Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU)
Debatte um Flüchtlingspolitik "war überflüssig wie ein Kropf"

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier fordert, dass die Debatte über die Flüchtlingspolitik nicht länger wichtige andere Themen verdrängen darf. Im Handelsstreit mit den USA warnte der CDU-Politiker im Dlf vor drohenden Jobverlusten und mahnte europäische Geschlossenheit an.

Peter Altmaier im Gespräch mit Theo Geers | 22.07.2018
    15.05.2018, Russland, Moskau: Peter Altmaier (CDU), Bundesminister für Wirtschaft und Energie, gibt nach seinem Treffen mit dem russischen Ministerpräsidenten Medwedew ein Statement. Der Bundesminister reist für Gespräche nach Kiew (Ukraine) und nach Moskau (Russland). Foto: Christophe Gateau/dpa | Verwendung weltweit
    Bundeswirtschaftsminsister Peter Altmaier will nicht länger nur über Flüchtlingspolitik reden (dpa)
    Geers: Herr Altmaier, wir führen dieses Interview in Ihrem Heimatort im Saarland. Sie sind im Sommerurlaub und bis nach Berlin zurück ist es je nach Uhrzeit eine Tagesreise. Aber es wäre machbar, wenn in Berlin die Hütte brennen würde, nach Berlin zurückzukommen. Würden Sie in diesen Zeiten auch weiter wegfahren?
    Altmaier: Ich glaube, dass man heute von fast überall her zurückkommen kann, wenn Not am Mann ist. Ich bin einmal in dieser Woche zurückgefahren, als wir die Gasgespräche hatten zwischen der Ukraine und Russland. Das war ein sehr wichtiges Thema. Und im Übrigen in meiner früheren Tätigkeit als Kanzleramtsminister, da war es mir wichtig, dass ich nicht weiter als eine Stunde von Berlin entfernt bin. Und es hat sich leider und sehr traurig auch bewahrheitet, als wir dann im Sommer 2016 die Terroranschläge hatten in Würzburg, in Ansbach und in München.
    Koalitionsstreit über Flüchtlingspolitik war "überflüssig wie ein Kropf"
    Geers: Die Frage, die bei mir mitschwingt, hat natürlich einen Hintergrund, Herr Altmaier. Viele Bürger haben mit Blick auf den Zustand der Regierung und auf den Zustand der Union Zweifel, ob das den Sommer über politisch ruhig bleibt, weil zwei Schwesterparteien, eben die CDU und die CSU, in der Flüchtlingspolitik vielleicht bestenfalls eine Art Burgfrieden geschlossen haben. Hält der Ihrer Meinung nach über den Sommer?
    Altmaier: Das Thema ist ja wichtig und es wird in Deutschland insgesamt kontrovers diskutiert. Trotzdem war die Debatte, die wir uns geleistet haben in den letzten Wochen, überflüssig wie ein Kropf. Sie hat aber, glaube ich, dazu geführt, dass alle Beteiligten spüren, dass wir mit solchen Debatten nirgendwo einen Blumentopf gewinnen, weder bei der Lösung des Problems noch bei den Menschen draußen im Land.
    Und deshalb bin ich überzeugt, dass es die Koalition gestärkt hat, nicht geschwächt hat, dass es die Union zusammengeschweißt hat. Wir haben sozusagen über den Abhang hinausgeschaut und wir sind zum Ergebnis gekommen, dass Deutschland eine große, starke, bürgerliche Partei braucht. Und im Übrigen ist die Regierung stabil, weil es ja auch die parlamentarische Kombination ist, die möglich ist, nachdem eine Jamaika-Koalition mit der FDP nicht zustande kam.
    "Hausaufgabenhefte sind voll mit konkreten Dingen"
    Geers: Sie sagen, die Regierung ist stabil, Herr Altmaier, aber es gibt auch den Satz von Horst Seehofer, der gesagt hat, wenn das Ganze nicht so klappt mit seinem Masterplan, dann geht das Ganze noch einmal wieder von vorne los.
    Altmaier: Ich werde mich jetzt an weiteren Debatten nicht beteiligen zu diesem Thema. Wir haben alle unser Hausaufgabenheft voll mit konkreten Dingen, die zu tun sind. Es gibt bilaterale Abkommen zu verhandeln. Es geht darum, dass wir den Außengrenzenschutz stärken. Ich persönlich würde mir übrigens auch wünschen, dass wir besser und schneller werden mit der Abschiebung von Kriminellen und Gefährdern. Das alles ist bekannt.
    Jeder weiß, was er zu tun hat. Das ist weiß Gott nicht nur ein Ministerium, das betroffen ist. Wir werden am Ende daran gemessen, ob wir mit diesem Thema verantwortlich umgehen, das heißt, ob wir Humanität verbinden können mit der Konsequenz dort, wo das Asylrecht missbraucht wird. Beides ist notwendig in der heutigen Zeit. Und das ist die große Chance auch für diese Koalition, zu zeigen, dass sie die Anliegen der Bürger ernst nimmt.
    06.06.2018, Berlin: Horst Seehofer (l-r, CSU), Bundesminister für Inneres, Heimat und Bau, und Peter Altmaier (CDU), Bundesminister für Wirtschaft und Energie, nehmen an der Sitzung des Kabinetts im Bundeskanzleramt teil. Foto: Kay Nietfeld/dpa | Verwendung weltweit
    Debatte über Flüchtlingspolitik: Peter Altmaier (CDU) im Gespräch mit Bundesinnenminister Horst Seehofer (l.) (dpa)
    Aber es gibt, weiß Gott, nicht nur dieses eine Thema. Es gibt viele andere Themen, die wichtig sind. Die Frage, wie schaffen wir Vollbeschäftigung? Wie können wir neue Arbeitsplätze schaffen? Was können wir tun, um die Wohnungsnot zu bekämpfen, bezahlbare Mieten für Familien, Eigentumsbildung für junge Familien zu ermöglichen? Und die Frage natürlich auch, wie Deutschland sich in einer unsicherer werdenden Welt so positioniert, dass es gemeinsam mit allen in Europa seine Interessen wahrnehmen kann?
    Geers: Das heißt also, einen heißen Herbst erwarten Sie nicht, so mit Blick auf den 14. Oktober, Wahltermin in Bayern?
    Altmaier: Ich habe mir abgewöhnt, zu spekulieren. Wir haben alle ein Interesse daran, dass die Union gestärkt aus dieser Situation hervorgeht. Weil es nur noch diese eine große Volkspartei zum jetzigen Zeitpunkt gibt und weil eine stabile Regierung in Deutschland nur mit einer geschlossenen Union möglich ist. Das ist eine der Lehren, die wir aus der Bundestagswahl gezogen haben.
    Ich habe in vielen Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen aus der CSU, mit Bürgermeistern, mit Landräten, aber auch in der CDU selber zwei Dinge festgestellt: Das eine ist eine große Solidarisierung mit der Bundeskanzlerin, mit Angela Merkel. Und das Zweite ist der Wunsch, dass CDU und CSU zusammenbleiben und sich nicht gegenseitig streiten. Es gibt genügend Themen, mit denen man mit dem politischen Gegner streiten kann, aus gutem Anlass und aus gutem Grund. Das muss nicht unbedingt dann in einen Bruder- oder Schwesterkonflikt ausarten.
    Nach der Sommerpause über andere Themen reden
    Geers: Er bringt offenbar auch nichts. Die CSU, wenn man die jüngsten Umfragen nimmt, Herr Altmaier, die CSU liegt in Bayern aktuell nur noch bei 38 Prozent. Deshalb noch einmal die Frage, glauben Sie nicht, dass da möglicherweise doch noch wieder etwas Unruhe kommen könnte, wenn man sich vorstellt, was 38 Prozent in Bayern für eine CSU bedeuten?
    Altmaier: Ich gehöre nun, glaube ich, seit knapp 24 Jahren dem Deutschen Bundestag an und seit rund 12 Jahren, mit einer kurzen Unterbrechung, auch der Bundesregierung. Ich habe mir angewöhnt, nicht zu spekulieren, sondern auf das zu setzen, was richtig und zielführend ist. Deshalb werden wir in den nächsten Wochen, wenn die Sommerpause oder wenn die Sommerferien zu Ende gehen für Millionen von Bürgerinnen und Bürger, über ganz konkrete Inhalte diskutieren.
    Ich wünsche mir, dass wir über die Zukunft unserer Automobilindustrie reden: Wie wir die Fehler vermeiden und wiedergutmachen können, die gemacht wurden. Aber auch, wie wir beim autonomen Fahren, bei Elektromobilität, alternativen Antrieben weltweit Spitze werden. Deutsche Autos sind ein Exportschlager und die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Landes hängt ganz entscheidend auch davon ab, ob wir die Innovationen im Bereich der Automobilwirtschaft mit vorantreiben, an der Spitze stehen.
    Nordrhein-Westfalen, Warendorf: Ein Mitarbeiter einer Erdbaufirma bündelt Glasfaser-Leerrohre. 
    Ein Problemfeld, das Altmaier angehen möchte: Der Breitbandausbau (dpa / picture alliance / Guido Kirchner)
    Es gibt das große Thema, wie wir unsere Infrastruktur bei Digitalfunk, Mobilfunk, bei Breitbandkabelanschlüssen so verbessern, dass wir auch dort in Europa vorne und nicht hinten liegen im Leistungsdurchschnitt. Also, das sind die Themen. Ich versuche, das Meine zu tun, dass dies gelingt, aber selbstverständlich ein Wirtschaftsminister entscheidet nicht darüber, welche Themen zwischen Parteien diskutiert werden.
    Geers: Und Sie fürchten auch nicht, das das Thema Flüchtlinge, all das, was aus Ihrer Sicht wichtig ist, alles andere wieder überlagert?
    Altmaier: Doch, wir haben ja gesehen, dass es über einen Zeitraum von zwei, drei Wochen vieles überlagert hat. Gott sei Dank nicht alles. Das habe ich sehr bedauert, denn wir diskutieren über dieses Thema bereits seit zweieinhalb Jahren, davon einen erheblichen Zeitraum fast ausschließlich. Ich weiß, dass es viele Bürger in Deutschland gibt, die sich dringend wünschen, dass andere Themen prominent angesprochen werden und deshalb müssen wir die Probleme im Flüchtlingsbereich lösen. Wir haben aber auch ein Interesse daran, dass dieses Thema nicht alle anderen Themen verschlägt und von der Tagesordnung verdrängt.
    "Einen schwerwiegenden Handelskonflikt verhindern"
    Geers: Sagt Peter Altmaier, der Bundeswirtschaftsminister im Interview der Woche im Deutschlandfunk. Herr Altmaier, Ihre größte Baustelle als Wirtschaftsminister ist derzeit sicherlich die Handelspolitik. Es begann mit amerikanischen Zöllen auf Stahl und Aluminium aus Europa, Anfang Juni verhängt. Die EU hat geantwortet mit Gegenzöllen auf Motorräder, auf Whiskey, auf Jeans. Außerdem hat sie Schutzzölle in dieser Woche erhoben auf solche Stahlmengen, die wegen der amerikanischen Zölle jetzt drohen, nach Europa hinüber zu schwappen. Das ist der eine Komplex.
    Der zweite gravierende Komplex: Seit Mai droht Donald Trump mit Zöllen auf amerikanische Autos. Das Ganze wird derzeit geprüft, ob sie kommen, und eigentlich will Trump noch Ende Juli, Anfang August entscheiden, ob die Zölle wirklich verhängt werden. Rechnen Sie damit, dass Sie die noch abwenden können?
    Altmaier: Ich muss in einem Punkt korrigieren: Er droht leider nicht mit Zöllen auf amerikanische Autos, sondern auf europäische Autos. Das bedeutet, dass wir vor einer sehr ernsten Situation stehen. Wir haben in den letzten 40 Jahren international Zölle gesenkt, nicht erhöht Wir haben Handelsbarrieren abgeschafft. Wir haben Märkte geöffnet - mit großen Vorteilen für Bürgerinnen und Bürger, für Verbraucherinnen und Verbraucher. Deshalb haben wir ein Interesse daran, dass es nicht zu einem Wettlauf in Zollerhöhungen kommt.
    Wir haben ein Interesse daran, dass wir einen schwerwiegenden Handelskonflikt verhindern. Das ist eine große Herausforderung, denn wir brauchen einerseits die Geschlossenheit der Europäischen Union, die wir bisher auch Gott sei Dank haben, und andererseits aber auch Gespräche mit den USA, zu denen der Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in dieser Woche fahren wird. Und ich hoffe nach wie vor, dass es möglich sein wird, eine Lösung zu finden, die für beide Seiten attraktiv ist. Und für uns bedeutet das, wir stehen zu offenen Märkten, wir stehen zu niedrigen Zöllen und wir werden über jedes Angebot, was die amerikanische Seite uns diesbezüglich vorlegt, dann im Kreise der Handelsminister der Europäischen Union sehr intensiv diskutieren.
    Geers: Was würde es denn bedeuten für die deutsche Autoindustrie, für die deutsche Wirtschaft, wenn diese Zölle kämen?
    Altmaier: Das kann im Augenblick niemand genau abschätzen, weil wir noch nicht genau wissen, ob und in welcher Höhe sie kommen. Aber um Ihnen ein Beispiel zu geben: Die Zölle auf Aluminium und Stahl hatten ein Volumen von knapp über sechs Milliarden Euro. Wir würden in diesem Fall über knapp das Zehnfache sprechen und das macht die Dimension deutlich.
    "Es geht auch um Arbeitsplätz"
    Geers: Reden wir auch über gefährdete Jobs in dem Fall dann?
    Altmaier: Ich hoffe, dass wir das nach wie vor verhindern können. Und der Bundeswirtschaftsminister sollte nicht den Teufel an die Wand malen, der noch gar nicht da ist. Aber der Handel zwischen Europa und den USA umfasst ungefähr ein Drittel des gesamten Welthandels. Sie können sich vorstellen, wenn wir einen Schnupfen bekommen im deutsch-amerikanischen oder im europäisch-amerikanischen Verhältnis, dann bekommen viele um uns herum eine Lungenentzündung. Deshalb ist es eine hochriskante Sache. Deshalb muss dieser Konflikt so schnell wie möglich beendet werden.
    Geers: Sie haben ja schon erwähnt, Herr Altmaier, Jean-Claude Juncker, der EU-Kommissionspräsident, reist Mitte der Woche in die USA. Was soll er, was kann er denn Donald Trump im direkten Gespräch anbieten? Was soll er sagen?
    Altmaier: Ich bin überzeugt, dass dieses Treffen zunächst einmal in einem vertraulichen und in einem diskreten Umfeld stattfinden muss. Der Vertreter der Europäischen Kommission und der amerikanische Präsident müssen die Möglichkeit haben, sich offen und frei auszusprechen. Und danach wird man dann sehen, wie die Ergebnisse zu bewerten sind. Ich möchte keine überzogenen Erwartungen wecken und damit das Gespräch überfrachten. Ich glaube, es geht einfach darum, dass die beiden Politiker sich umfassend austauschen, dass alle Möglichkeiten erörtert werden. Und dann wird man sehen, welche von den möglichen Lösungen realistisch ist, welches Ergebnis das am wenigsten problematische ist.
    Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU)
    Weitere US-Zölle gegen deutsche und europäische Produkte könnte Arbeitsplätze gefährden, fürchtet Peter Altmaier (imago / Thomas Trutschel)
    Denn wir sollten immer auch im Kopf haben: Es geht eben nicht nur um abstrakte Zölle, die Produkte für Menschen teurer machen. Es geht eben auch um sehr konkrete Arbeitsplätze. Und gerade die deutsche Automobilindustrie ist sehr stark auf dem amerikanischen Markt. Wir haben in den letzten Jahren neue Geschäftsanteile hinzugewinnen können, weil eben Autos made in Germany sehr gefragt sind, insbesondere auch in der oberen Mittelklasse, in der Oberklasse. Und das wollen wir gerne erhalten, weil wir dies brauchen, um in anderen Bereichen, wo andere besser sind, einen Ausgleich zu haben.
    Deutschland ist Weltspitze bei den Autos, im Maschinenbau, in der optischen Industrie, in der Medizingerätetechnik. All das sind die Stärken dieses Standortes. Die wollen wir erhalten. Wir haben die höchste Zahl von Industriearbeitsplätzen in ganz Europa, rund 20 Prozent, und deshalb kämpfen wir um jeden einzelnen industriellen Arbeitsplatz.
    EU muss international weiter als Einheit auftreten
    Geers: Es gab diese Woche schon eine Anhörung im amerikanischen Handelsministerium zu diesen Zöllen und dort hat unter anderem auch der Präsident des Verbandes der deutschen Automobilindustrie, Bernhard Mattes, gesprochen. Er hat namens der deutschen Autoindustrie auch die Möglichkeit ins Gespräch gebracht, dass man die Zölle wechselseitig in den USA und in der EU auf Autos auch ganz abschaffen könnte. Ist das für Sie eine Option?
    Altmaier: Es gibt ja mehrere Optionen, die auf dem Tisch liegen. Das ist eine, die Herr Mattes genannt hat. Es gibt andere und ich wäre ein schlechter Verhandler, wenn ich zu diesem Zeitpunkt eine Präferenz erkennen ließe für die eine oder für die andere Lösung, weil das die Gespräche für Jean-Claude Juncker erschweren würde.
    Wir müssen sehen, was aus Sicht der USA an Verhandlungen möglich und an Ergebnissen möglich ist. Wir müssen dann im Kreise der EU-Handelsminister darüber diskutieren. Und ein wichtiger Punkt ist, dass die EU auch in Zukunft geschlossen bleibt. Denn wir können unsere Interessen weltweit überhaupt nur durchsetzen, wenn wir als Einheit auftreten. Und das bedeutet auch, dass die Entscheidungen nicht alleine in Berlin und nicht alleine in Paris getroffen werden, sondern eben zu einem erheblichen Teil auch in Brüssel.
    Geers: Ist die EU denn geschlossen?
    Altmaier: Bisher ist die EU geschlossen. Wir haben ja vor vielen Jahren einmal, vor mehr als 15 Jahren, im zweiten Irak-Krieg ein jämmerliches Schauspiel der Zerstrittenheit abgegeben. Das hat sich seither so nicht wiederholt. Die EU ist geschlossen in der Ukraine-Frage, wo wir den Friedensprozess von Minsk zum Erfolg bringen können. Wir haben gerade eben die Sanktionen gegen Russland noch einmal verlängert. Die EU ist geschlossen im Hinblick auf das Pariser Klimaschutzabkommen.
    Und die EU ist geschlossen im Hinblick auf den Umgang mit anderen Ländern weltweit im Bereich des internationalen Handels. Wir haben uns gerade erst mit Japan verständigt auf ein neues Abkommen und wir werden mit Australien, mit Singapur, mit vielen anderen Ländern solche Abkommen schließen, weil die Welt heute so miteinander verflochten ist, dass kein Land mehr eine völlige Autarkie für sich beanspruchen oder ermöglichen kann.
    Wir können erfolgreiche Volkswirtschaften nur sein, wenn wir vielfältigen Austausch pflegen, auch mit anderen Volkswirtschaften. Das ist seit vielen Jahrzehnten so. Das nennt sich Multilateralismus und dieser Multilateralismus hat für einen erheblichen Teil unseres individuellen Wohlstands gesorgt.
    Amerikanische Politik nicht nur auf Präsident Trump reduzieren
    Geers: Das Problem, Herr Altmaier, ist nur, dass beim Multilateralismus alle mitspielen müssen und einer, nämlich Donald Trump, hat da so seine Schwierigkeiten, mitzuspielen. Deshalb noch einmal gefragt: Sehen Sie überhaupt eine Chance, wenn man jetzt auch sieht, wie sich möglicherweise der Handelskonflikt zwischen den USA und China aufschaukelt, wie Herr Trump mittlerweile jetzt sogar droht, Zölle auf die gesamten chinesischen Exporte von 500 Milliarden Dollar im Jahr zu erheben. Was ja eine ungeheuerliche Drohung ist.
    Glauben Sie, dass man aus dieser Spirale des wie du mir, so ich dir noch wieder herauskommen kann, wenn Trump ständig neue Einfälle hat, mit denen er sich dann zu Hause in Amerika als Verteidiger der amerikanischen Industrie, als Verteidiger der amerikanischen Jobs wunderbar präsentieren kann oder glaubt, sich präsentieren zu können?
    Altmaier: Ich kann nicht sagen, ob wir aus dieser Spirale herauskommen. Wir müssen jede Möglichkeit nutzen. Im Übrigen sage ich als jemand, der seit vielen Jahren selbst auch Politik verantwortlich gestaltet, dass wir die Frage nach der amerikanischen Politik nicht nur auf Präsident Trump verkürzen dürfen. Wir haben transatlantische Beziehungen zwischen Europa und den USA, Deutschland und den USA seit vielen Jahrzehnten. Das hat uns im Kalten Krieg unschätzbare Dienste geleistet. Wir können auch nur gemeinsam unsere Werte verteidigen.
    Us-Präsident Trump während einer Kabinettssitzung im Weißen Haus
    US-Präsident Donald Trump droht China und Europa mit weiteren Importzöllen (imago)
    Das Transatlantische Bündnis ist eine Wertegemeinschaft. Und deshalb sage ich auch bei jeder Gelegenheit, dass das deutsch-amerikanisch, das europäisch-amerikanische Verhältnis von einer existenziellen Bedeutung ist für alle Beteiligten. Das gilt eben nicht nur für uns, das gilt auch für unsere amerikanischen Partner. Die erleben im Augenblick eine etwas schwierige Situation, weil eine neue Administration ins Amt gekommen ist, die so niemand auf dem Schirm hatte. Aber wir haben die Verpflichtung, mit allen demokratisch Gewählten zusammenzuarbeiten und Lösungen zu finden, die für die Bürger und für die Arbeitnehmer, gerade auch in Deutschland, positiv und von Vorteil sind.
    Deutschland muss in der Sicherheitspolitik Glaubwürdigkeit zeigen
    Geers: Sie heben so besonders ab auf die besonderen Beziehungen, die transatlantischen zwischen Europa und Amerika. Aber wenn man sich Herrn Trumps Agieren zuletzt anschaut, wenn man auch sich anschaut, dass er schon seit Längerem Handelsfragen verknüpft, deutlich verknüpft mit Sicherheitspolitik, indem er sagt: Wieso sollen wir, die USA, ein Land wie Deutschland über die NATO beschützen vor Russland, wenn Deutschland gleichzeitig mit diesem Russland Milliardengeschäfte macht? Stichwort Gasgeschäfte. Was entgegnen Sie da?
    Altmaier: Zum einen, was die Sicherheitspolitik angeht, hat Deutschland eine klare Verpflichtung unterschrieben sowie alle anderen europäischen NATO-Partner auch. Nämlich, dass wir unsere Verteidigungsausgaben erhöhen werden. Das geht ganz bewusst nicht um Offensivausgaben. Es geht nicht um Aufrüstung. Es geht darum, dass wir in einem vernünftigen, nachvollziehbaren Ausmaß gegenüber Präsident Barack Obama schon zugesagt haben, unsere Ausgaben zu erhöhen. Das tun wir im Augenblick.
    In welcher Geschwindigkeit wir dorthin gelangen können, das hängt auch von der Übereinstimmung in der Koalition ab. Aber ich glaube, wir müssen hier Glaubwürdigkeit zeigen. Und es geht nicht nur darum, dass wir der größte Truppensteller der NATO sind in Europa. Es geht halt eben auch darum, dass anerkannt wird international, was wir leisten und dass wir entsprechend unserer wirtschaftlichen Stärke uns auch militärisch verteidigen können.
    Geers: Macht es die Verständigung, Herr Altmaier, mit Amerika, mit Herrn Trump, nicht wesentlich schwieriger, wenn ein Donald Trump Fragen der Handelspolitik, Fragen der Zölle, Fragen der Währungspolitik - er kommt ja auch mit dem Vorwurf, wir würden die Währung manipulieren -, wenn er dieses alles verknüpft mit dem sicherheitspolitischen Aspekt, Stichwort NATO, Artikel 5, und, und, und?
    Altmaier: Nein, das glaube ich definitiv nicht. Wir haben in den letzten Monaten gesehen, dass es zwei große Diskussionsstränge gibt. Der eine bezieht sich in der Tat auf diesen Sicherheitsaspekt. Der wird von den Verteidigungsministern insbesondere und von den Staats- und Regierungschefs gesondert diskutiert, losgelöst von der anderen Frage, wie wir die Handelspolitik gestalten. Das ist auch richtig so, weil das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.
    Geers: Und die Gefahr, dass das verknüpft wird, sehen Sie auch nicht?
    Altmaier: Ich sehe diese Gefahr jedenfalls im Augenblick nicht. Und wir werden von unserer Seite auch alles tun, damit es dazu nicht kommt. Was allerdings auch richtig ist, ist der Umstand, dass wir noch längst nicht bei der Lösung sind, die wir eigentlich brauchen. Das muss ordentlich vorbereitet werden. Da müssen wir auch die Gesprächsmöglichkeiten nutzen zu amerikanischen Senatoren und Kongressabgeordneten. Vielen von denen haben ein deutsches Unternehmen im Wahlkreis und die möchten ebenfalls nicht, dass es zu einem immer schärfer eskalierenden Handelskonflikt kommt.
    Geers: Das heißt, Herr Altmaier - wenn ich sie unterbrechen darf -, Sie setzen schon darauf, dass es auch noch massiven Gegenwind in Amerika selbst gegen Trumps Zollpläne zum Beispiel gibt? Aus der dortigen Wirtschaft, aus der dortigen Industrie, aus dem Parlament, aus dem Kongress?
    Altmaier: Ja. Das ist doch eine ganz normale Situation, dass beispielsweise auch amerikanische Politiker und Diplomaten sich an die deutsche und europäische Öffentlichkeit wenden und versuchen, Bundesgenossen zu finden für amerikanische Positionen. Und umgekehrt ist es doch ganz logisch, dass auch wir mit unseren Freunden und Partnern in den USA darüber reden, welche Auswirkungen womit verbunden sind.
    Das Bild zeigt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier in Washington, im Hintergrund ist das Weiße Haus zu sehen.
    Bundeswirtschaftsminister Altmaier in Washington (dpa-Bildfunk / AP / Andrew Harnik)
    Ich habe festgestellt, dass gerade solche Abgeordnete, die Automobilhersteller aus Deutschland in ihren Wahlkreisen haben, mit Zweigniederlassungen, mit Produktionsstandorten, sehr, sehr sensibel für diese Debatte sind. Und deshalb habe ich bei meinem Washington-Besuch eben nicht nur mit der amerikanischen Administration gesprochen, sondern gerade auch mit sehr, sehr vielen Industrievertretern aus Deutschland.
    Projekt Nord Stream 2 steht nicht in Frage
    Geers: Herr Altmaier, Sie haben vorhin auch mit Bezug auf das Handelsthema gesagt, es sei ganz essenziell, dass Europa zusammenbleibt und zusammensteht. Dazu noch mal die Frage: Tut Deutschland nicht aber auch andererseits einiges, um dieses Europa so ein bisschen auseinanderzubringen, indem es mal immer wieder einige EU-Partner vor den Kopf schlägt? Es ist ja nicht nur das Thema CSU gewesen, Thema Zuwanderung, Thema Asylpolitik, wo möglicherweise die CSU beim letzten Gipfel die ganze EU fast schon in Geiselhaft genommen hat.
    Ich will noch ein anderes Beispiel nennen, wo Deutschland auch nicht gerade ein europäischer Musterknabe ist, das ist die Ostsee-Pipeline Nord Stream. Dieses Projekt wird ebenfalls durchgezogen, koste es, was es wolle. Die polnischen Proteste, die Proteste im Baltikum, die Gegenposition der EU-Kommission, all das scheint nicht zu interessieren. Und die Bundesregierung macht sich manchmal so einen "schlanken Fuß", könnte man fast glauben, indem man einfach sagt, das Ganze sei ein rein kommerzielles Projekt.
    Altmaier: Nord Stream 2 ist ja beileibe nicht die einzige Pipeline, die weltweit gebaut wird. Es gibt viele vergleichbare Projekte, aus einem ganz einfachen Grund: Der Energiehunger der Welt nimmt zu. Wir werden irgendwann den Anteil an Kohle und Braunkohle an der Energiegewinnung reduzieren, um unser Klima zu schützen. Und dann bleibt als einzige fossile Energiequelle auf lange Sicht Gas die Alternative. Wir erleben derzeit, dass die Gasproduktion in Deutschland, aber auch in wichtigen Nachbarländern, wie den Niederlanden, stark rückläufig ist, während der Gasverbrauch insgesamt bestenfalls stagniert, in vielen Fällen sogar weiterwächst. Und das bedeutet, wir müssen uns die Frage stellen, wie wir unsere Energieversorgung sichern wollen.
    Wir haben uns entschieden, sie zu diversifizieren. Das ist richtig. Aber richtig ist auch, dass wir sehr viel russisches Gas in der Vergangenheit bezogen haben - selbst auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges ohne Problem für die Verlässlichkeit dieser Gaslieferungen. Und das bestärkt uns in der Auffassung, dass dieses privatwirtschaftliche Projekt Nord Stream 2 jedenfalls nicht von dieser Bundesregierung infrage gestellt wird. Sondern das ist ein Projekt, dass seine Genehmigungen braucht, das sich einfügen muss in den gesamten Rahmen derartiger Projekte, aber es muss möglich sein, auch ein solches privates Projekt zu bauen.
    Davon unabhängig ist die Frage, was wir tun können, um die berechtigten Interessen der Ukraine zu gewährleisten, ganz egal, ob und wann Nord Stream fertig wird. Die Ukraine ist ein großes Gas-Transitland und wir wollen, dass sie das auch in Zukunft bleibt. Dazu muss sie ihr Gasnetz organisieren, dazu muss sie dazu beitragen, dass klare und verlässliche Transitbedingungen bestehen. Das alles ist in der Ukraine in Planung und in Vorbereitung. Und das ist der Grund, warum die Bundeskanzlerin mich gebeten hat, gemeinsam mit meinem russischen Kollegen Lawrow und dem ukrainischen Außenminister Klimkin darüber zu sprechen, wie wir eine Einigung zwischen Russland, der Ukraine, der EU und der Beteiligung von Deutschland so darstellen können, dass die berechtigten Interessen aller respektiert sind.
    Russische Gaslieferungen: günstig und "absolut verlässlich"
    Geers: Noch einmal zurück zum Thema "Gasversorgung", Herr Altmaier. Es gibt durchaus hierzulande auch Menschen, denen so ein bisschen mulmig wird, wenn sie den hohen Anteil Russlands an der deutschen Gasversorgung nehmen, der ungefähr jetzt bei einem Drittel liegt, was die Gasimporte betrifft. Und dann kommt ein Donald Trump daher und sagt: "Deutschland macht sich beim Thema Gas zum Gefangenen Russlands" - hat er wörtlich gesagt. Sehen Sie das nicht so?
    Altmaier: Das war mit Sicherheit keine weiterführende oder zutreffende Bemerkung. Denn wir leben nun mal in einer internationalen Welt, wo Abhängigkeiten nicht die Ausnahme, sondern die Regel sind. Wir sind vielfältig abhängig von Zulieferern von bestimmten hochspezialisierten Teilen, wir sind abhängig von Seltenen Erden, von besonderen Elementen und Metallen, die es in Deutschland nicht gibt. Wir haben die Energieversorgung noch nie in Deutschland völlig autark nach dem Krieg herstellen können.
    Verlegung der Ostsee-Erdgaspipeline Nord Stream 2 vor der Küste der schwedischen Insel Gotland
    Verlegung der Ostsee-Erdgaspipeline Nord Stream 2 vor der Küste der schwedischen Insel Gotland (picture alliance/ dpa/ Itar-Tass/ Ruslan Shamukov)
    Deutsche Steinkohle beispielsweise, wird ab dem Herbst dieses Jahres nicht mehr abgebaut, weil sie zu teuer ist. Das bedeutet dann auch, dass wir stärker abhängig werden von Importen aus Australien beispielsweise und anderswo, wo Steinkohle in Tagebauen gewonnen wird. Also, ich persönlich bin überzeugt, dass wir in der Vergangenheit gesehen haben, dass diese Gaslieferbeziehung absolut verlässlich ist. Und ich bin auch der Auffassung, dass wir nicht in eine Abhängigkeit geraten werden, die problematisch ist. Aber darüber hinaus sind wir gerne bereit, auch mit unseren amerikanischen Freunden zu reden.
    Geers: Das heißt, solange diese Balance gewahrt ist, nach dem Motto: "Wir brauchen russisches Gas und Russland braucht unser Geld, mit dem wir das Gas bezahlen", ist alles in Ordnung? Und solange diese Balance gewahrt ist, passiert auch nichts, nach dem Motto: "Nichts ist stabiler, als gegenseitige stabile Abhängigkeiten"? Das ist Ihre Sicht?
    Altmaier: Ja, das ist ... Es gab vielleicht vor 100 oder 200 Jahren Ökonomen, die davon geträumt haben, dass ein Land völlig autark sein könnte. Das war in den letzten Jahrzehnten noch nie der Fall, für kein Land auf dieser Welt - vielleicht mit Ausnahme Chinas, weil dieses Land so groß und bedeutsam ist. Alle anderen Ländern sind darauf angewiesen, Grund- und Rohstoffe zu importieren.
    Russland ist ein sehr rohstoffreiches Land, aber sie müssen dafür vieles andere, was Teile und Ausrüstungsgegenstände angeht, importieren. Und letzten Endes macht es keinen Unterschied, ob ich davon abhängig bin, dass Gas geliefert wird durch eine Pipeline oder ob ich davon abhängig bin, dass ich die neueste Technologie oder die neuesten Fördermöglichkeiten zur Verfügung habe.
    Geers: Dennoch noch mal gefragt, Herr Altmaier. Die Amerikaner - Donald Trump insbesondere - wollen Nord Stream 2 noch stoppen. Können sie das noch?
    Altmaier: Ich kann oder ich möchte jedenfalls nicht den Teufel an die Wand malen. Nord Stream 2 hat Genehmigungen erhalten in Finnland und in Deutschland, und es ist ein privates Konsortium, das dieses Projekt betreibt, also nicht die Bundesregierung und nicht die öffentliche Hand. Die Frage, welche Instrumente die amerikanische Regierung zur Verfügung hat, das müssen Sie dann mit meinen amerikanischen Kollegen diskutieren. Weil ich habe natürlich überhaupt gar kein Interesse daran, noch irgendjemand auf dumme Ideen zu bringen. Wir tun aus meiner Sicht gut daran, wenn wir uns auf die gemeinsamen Gegner konzentrieren, statt uns selbst gegenseitig zu zerfleischen.
    Geers: Ein anderes Argument, Herr Altmaier, in Sachen Nord Stream 2, was oft kommt, lautet: Die Amerikaner sind nur deshalb gegen diese Pipeline, weil sie selbst ihr eigenes Gas gerne in Europa und auch an Deutschland verkaufen möchten. Was ist da dran?
    Altmaier: Es ist ja nicht verboten, dass die USA ihr Gas verkaufen möchten nach Europa. Allerdings kann man so lange Pipelines gar nicht bauen. Das heißt, das Gas wird verflüssigt und dann als Flüssiggas in großen Schiffen an die Entladestationen an der Küste transportiert. Wir werden eine solche Terminalanlage auch in Deutschland aller Voraussicht nach schaffen können.
    Aber es geht nicht darum, dass das Gas in Tankern die Terminals erreicht, sondern es geht darum, dass dieses Gas auch preislich wettbewerbsfähig ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand in Europa freiwillig mehrere Cent mehr für einen Kubikmeter Gas zahlen würde, wenn er dieses Gas günstiger etwa aus Russland beziehen könnte.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.