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Bunte Gedanken zur schönen neuen Medienwelt

Norbert Bolz hat sich in seinem neuen Buch mit dem didaktischen Titel "Das ABC der Medien" vorgenommen, den gegenwärtigen Stand der Medienwissenschaft einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Dabei ist ein intelligent und witzig geschriebenes Buch herausgekommen, das bei näherer Betrachtung die Problematik der Medienwissenschaft allerdings eher verschleiert als entwickelt.

Von Leander Scholz | 25.01.2008
    Im wissenschaftlichen Streitgespräch ist der Vorwurf der Vereinfachung eine beliebte Strategie, um dem Gegner die akademische Kompetenz abzusprechen. Denn unterkomplex zu argumentieren, bedeutet nicht nur, falsch zu argumentieren, sondern das Problem, um das es geht, überhaupt nicht erfasst zu haben. Der Vorwurf der Vereinfachung mündet daher meist im Etikett der Populärwissenschaft. Wem auf diese Weise erfolgreich die Glaubwürdigkeit entzogen worden ist, dem bleibt oft nichts anderes übrig, als die wissenschaftliche Praxis insgesamt anzugreifen. Eine beliebte Gegenstrategie ist deshalb, sich bewusst vom Akademismus abzugrenzen und die Regeln des wissenschaftlichen Betriebs für veraltet zu erklären. Dem Klischee des umständlichen Professors, der mit allzu vielen Fußnoten hantiert, steht so das Image des flotten Denkers gegenüber, der den Mut hat, selbst komplexe Wahrheiten auf simple Formeln zu bringen.

    Dass sich Norbert Bolz im Bild des mutigen Vereinfachers gespiegelt sieht, dürfte außer Frage stehen. In seinem neuen Buch mit dem didaktischen Titel aus der Goethe-Zeit "Das ABC der Medien" hat er sich vorgenommen, den gegenwärtigen Stand der Medienwissenschaft einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Dabei ist ein intelligent und witzig geschriebenes Buch heraus gekommen, das bei näherer Betrachtung die Problematik der Medienwissenschaft allerdings eher verschleiert als entwickelt. Warum sich Bolz ausgerechnet zum Ziel gesetzt hat, zwei so konträre Medientheorien wie die von Niklas Luhmann und die von Friedrich Kittler zusammenzuführen, bleibt das dunkle Geheimnis des Autors. Zwar kommen sowohl Luhmann als auch Kittler dem deutlich spürbaren Bedürfnis von Norbert Bolz entgegen, an die Stelle der kulturpessimistischen Medienkritik eine Apologie der modernen Medienevolution zu setzen, aber auf die erheblichen Differenzen der beiden Theoretiker geht "Das ABC der Medien" an keiner Stelle ein.

    Schon der erste Satz des Buches, der wie ein Leitfaden die einzelnen Kapitel durchzieht, trägt eher zur Verwirrung als zur Klärung des Medienbegriffs bei: "Die Welt ist flach, klein, leer und bodenlos", lässt Bolz sein Buch zugleich etwas thetisch und gedrechselt beginnen, um in den folgenden fünfzehn Kapiteln diese vier Attribute der Welt zu erläutern. Flach ist die Welt der Medien, so Bolz, weil es darin keine technisch privilegierten Orte mehr gebe und alle Hierarchien abgeflacht seien. Das hört sich irgendwie nach Niklas Luhmann an. Wer aber ein wenig Friedrich Kittler gelesen hat, weiß, dass selbst das Netz der Netze auf sicherheitstechnisch hochsensible Orte angewiesen ist, deren Zugangsbedingungen recht strikt geregelt sind.

    Die zweite Aussage, nämlich dass die Welt klein ist, scheint dahingegen unproblematisch zu sein. Niemand braucht mehr Marshall McLuhan gelesen zu haben, um die Rede vom globalen Dorf zu verstehen. Dazu dass der größte Teil der Weltbevölkerung weder virtuell noch physisch an die vermeintlich weltweite Infrastruktur angeschlossen ist, verliert Bolz allerdings kein Wort. Für jemanden, der nicht als Vortragsreisender, sondern als Flüchtling versucht, von einem Ort zum anderen zu gelangen, hat die Aussage, dass die Welt klein geworden sei, kaum einen Sinn. Längst haben auch Globalisierungseuphoriker einsehen müssen, dass jeder Grenzüberwindung auch eine neue Form der Grenzziehung korrespondiert. Stattdessen bietet Bolz das Klischee vom erfolgreichen indischen Informatiker an, der sich mit dem Computer unter dem Arm seinen Zugang zum Weltmarkt verschafft habe. Zur weltweiten Arbeitsteilung sucht man bei Bolz vergeblich nach einer Reflexion.

    Die dritte Aussage seines Buches lautet: Die Welt ist leer. Damit ist gemeint, dass die Welt nicht determiniert ist, und zwar weder durch eine Makrostruktur, noch durch einen historischen Prozess. Sowohl im Kleinen als auch im Großen gelten die gleichen Regeln der Selbstschöpfung. Auch das klingt irgendwie nach Niklas Luhmann. Aber erst ganz am Schluss wird der Leser feststellen, dass es Bolz weder um die Systemtheorie geht, noch um eine Techniktheorie, die den Motor der Entwicklung im Krieg sieht. Worauf es Norbert Bolz ankommt, ist die Rehabilitierung des Wettbewerbs als schöpferische Kraft einer freien Zivilisation, wie es im letzten Abschnitt des Buches ein wenig pathetisch lautet. Nachdem Luhmann und Kittler als Zitat-Statisten aufgetreten sind, fällt deshalb erst ganz zum Schluss der Name eines großen Denkers der Vergangenheit, wie Bolz ehrfürchtig formuliert, nämlich der Lieblingstheoretiker aller Neoliberalen: Friedrich von Hayek, der Entdecker des Wettbewerbs der Entdeckungsverfahren. Zuletzt läuft bei Bolz alles auf die alte Metapher des Marktplatzes hinaus, so dass das Internet als ein großer Jahrmarkt der Ideen erscheint, von dem manche gut sind und manche eben schlecht. Aber zum Glück regelt der Markt die Selektion des Guten und Schlechten von selbst, es sei denn, die Marktmechanismen versagen und alle irren sich.

    In dieses etwas naive Bild fügt sich auch die vierte und letzte Aussage des Buches, nämlich dass die Welt bodenlos ist. Mit dieser feschen Aussage ist gemeint, dass die Selbstschöpfung keine Grenzen kennt. Auch diese Aussage wiederholt einen Topos, mit dem sich das liberale Denken seit gut zweihundert Jahren in Szene setzt, wenn behauptet wird, dass die Spielräume des Einzelnen immer größer werden in einer Gesellschaft, die immer weniger strikte Vorgaben macht. Während diese Feststellung bei Luhmann noch eine problematische Dimension besitzt, gerät sie bei Bolz zur Plattitüde eines sich selbst feiernden Individualismus, dem die alltägliche Erfahrung dieser vermeintlichen Spielräume deutlich entgegensteht. Selbstverständlich kann man "Das ABC der Medien" von Norbert Bolz mit Gewinn lesen. Denn es gibt eine ganze Reihe von klugen Sätzen in diesem Buch, über die es sich lohnt ernsthaft nachzudenken. Wer allerdings von diesem Nachdenken mehr erwartet als ein Tableau bunter Gedanken zur schönen neuen Medienwelt, dem sei empfohlen, die entsprechenden Bücher von Niklas Luhmann und Friedrich Kittler besser im Original zu lesen.

    Norbert Bolz: Das ABC der Medien. Wilhelm Fink Verlag 2007, 163 S.