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Bunte Pillen fürs gute Gewissen

Vitamin C für die Immunabwehr, Vitamin D für die Knochen - die Pharmaindustrie hat den Glauben an die Kraft von Nahrungsergänzungsmitteln fest in den Köpfen der Verbraucher verankert. Doch die positive Wirkung lässt sich wissenschaftlich meist nicht nachweisen.

Von Ursula Mense | 28.12.2012
    "Ich nehme ein Kombipräparat, was aus Naturmaterial, letztlich einer Mixtur aus Kräutern, Obst und Gemüsesorten besteht, sodass man von Vitaminen, Mineralien und Spurenelementen mehr als das nötige Maß hat."

    Bernhard Schmitz achtet sehr auf seine Gesundheit und auch auf eine gute Ernährung. Weil er glaubt, gesunde Lebensmittel allein reichen dazu nicht aus, ergänzt er seine Nahrung mit Vitaminen und Mineralstoffen in Pulverform. Seit drei Jahren trinkt er jeden Morgen einen Cocktail aus Vitaminen und Mineralstoffen und fühlt sich seitdem gesünder und leistungsfähiger. Dass man damit neben einer an Obst und Gemüse ohnehin schon reichen Kost zu viel des Guten tun könnte, hält er für unbedenklich.

    "Natürlich, dass da mitunter Überversorgungen möglich sind, aber diese Überversorgungen sind unproblematisch, die scheidet der Körper aus. Wenn man ein vernünftiges Präparat hat, das an keine kritische Grenze stößt."

    Stimmt. Aber nicht ganz, sagt dazu die Wissenschaft. Hoch dosierte Präparate über einen längeren Zeitraum eingenommen sind durchaus nicht harmlos. Nur solange die Pillen und Pülverchen die gesetzlich festgesetzten Tagesdosen für Vitamine und Spurenelemente nicht überschreiten und als Nahrungsergänzungsmittel gehandelt werden, schaden sie nicht, sagt Professor Marc Birringer von der Hochschule Fulda:

    "Sie können sich aber auch nichts Gutes tun. Sie können im Prinzip das Geld sparen und davon Obst und Gemüse kaufen. Es hilft nichts, aber es schadet auch nicht, kann man so stehen lassen."

    Für viele Verbraucher ist der tägliche Griff zur Vitamintablette dennoch inzwischen normal geworden. Sie füttern damit ein Milliardengeschäft. Wenn die Alltagshektik oder das oft auch zu Unrecht verschmähte Kantinenessen keine ausgewogene Ernährung zulassen, fühlen sich viele Leute mit Vitamin- und Mineralstofftabletten auf der sicheren Seite. Denn mehr als die Hälfte der Bevölkerung kommt nicht auf die empfohlene Menge von 600 Gramm Obst und Gemüse täglich. Es sind aber gerade diese Lebensmittel, die viele gesunde Substanzen enthalten; neben Vitaminen und Mineralstoffen. Zum Beispiel auch die noch weitgehend unerforschten, aber überaus wichtigen sekundären Pflanzenstoffe. Und die lassen sich schon mal gar nicht in eine Pille pressen, erklärt Professor Bernhard Watzl vom Max Rubner Institut in Karlsruhe:

    "Weil wir allein bei dem Prozess des Herauslösens die chemische Struktur verändern. Wir bekommen immer nur einen kleinen Ausschnitt und nicht das, was an chemischer Vielfalt in den Lebensmitteln vorhanden ist."

    Unser Körper braucht aber offenbar das Zusammenspiel dieser Vielfalt. Und das bieten nur die Lebensmittel selbst. Obst und Gemüse helfen Herz-Kreislauferkrankungen, Bluthochdruck und Schlaganfall vorzubeugen. Das weiß man aus Studien. Dagegen

    "…gibt es keine Hinweise, dass Vitamine und Mineralstoffe, wenn diese supplementiert werden, in einer ähnlichen Wirkung, wie das für Obst und Gemüse sehr deutlich nachgewiesen ist, das Risiko reduzieren können."

    Der gebetsmühlenartig wiederholte Appell an die Bevölkerung, mindestens fünf Mal am Tag eine Portion davon zu essen, hat deshalb nichts von seiner Aktualität verloren. Mal einen Apfel oder eine Banane, eine Handvoll Beeren oder eine Möhre zwischendurch - das sollte nicht so schwer sein, hofft Professor Watzl. Denn wer sich so ernährt, hat entsprechend weniger Platz für süße oder fettige Dickmacher und verändert langfristig seine Ernährung.

    Manche Menschen wollen diese Empfehlung allerdings gar nicht beherzigen. Zum Beispiel, wer nur 1000 bis 1200 Kalorien am Tag zu sich nimmt oder sich stark einseitig ernährt, gehört in diese Gruppe. Oft sind das junge Mädchen und Frauen, die mehr oder weniger ständig Diäten ausprobieren oder alte Menschen, die es nicht mehr schaffen, mehr zu essen. Sie sind schon aufgrund der geringen Kalorienzufuhr mit Nährstoffen unterversorgt, sagt Professor Helmut Heseker, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ernährung:

    "Da macht es schon Sinn, ein Multivitaminsaftgetränk zu sich zu nehmen oder eine Brausetablette aufzulösen. Es hat auch den Effekt, dass ältere Menschen zu wenig trinken und dann so auch noch ihr Wasserdefizit mit beheben."

    Auch andere Risikogruppen können mit bestimmten Vitaminen so unterversorgt sein, dass sie Präparate benötigen: Alkoholiker gehören dazu und starke Raucher, Menschen, die Nährstoffe nicht richtig verdauen können und natürlich Schwangere und Stillende, die einen erhöhten Bedarf an Folsäure haben. Für diese Gruppe machen Nahrungsergänzungsmittel Sinn.