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Burg Herzberg-Festival
Wir sind Sternenstaub

Mit mehr als 12.000 Besuchern ist das Burg Herzberg-Festival, das mit Unterbrechungen seit 1968 im Vogelsbergkreis stattfindet, das größte Hippietreffen Europas - und es ist ein Jahr älter als das legendäre Woodstock. Das Motto dieses Jahr lautete "Stardust We Are", und um Musik geht es bei diesem Treffen: auch.

Von Tim Baumann | 04.08.2019
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    Musik: Love Machine - "Sun Paradox"
    Von Feuer im Himmel singen die bärtigen Rocker von Love Machine, die das Burg Herzberg-Festival schon zum dritten Mal mit ihrem psychedelischen Sound verzaubern – und dieses Feuer im Himmel ist Ende Juli auch Programm im hessischen Breitenbach am Herzberg: Brütende Hitze liegt über dem Campinggelände "Neue Heimat". Knapp 360 Tage im Jahr ist es eine Pferdewiese, von Wald umgeben, von Windrädern umsäumt. Für eine Woche im Jahr aber verwandelt sich die "Neue Heimat" gemeinsam mit der etwas höher "Freak City" und der großen Hauptbühne in das Zentrum der europäischen Hippiekultur.
    Mit mehr als 12.000 Besuchern ist das Burg Herzberg-Festival, das mit Unterbrechungen seit 1968 hier veranstaltet wird, das größte Hippietreffen Europas. 1968 – genau, noch ein Jahr vor den legendären Geschehnissen auf Max Yasgurs Farm, die als das Woodstock-Festival im kollektiven Gedächtnis der Menschheit den Höhepunkt der Hippiebewegung einläuteten. Beim Gang über den Zeltplatz kann man dieses reiche Erbe deutlich sehen – zwischen den Zelten stehen liebevoll restaurierte Hippiebusse und Wohnmobile aus alter Zeit, voller Prilblumen und indischer Inschriften, tibetanische Gebetsfahnen und bunte Tücher flattern im leichten Wind.
    Auch geruchlich wird dem Besucher schnell klar, wer sich hier trifft: Weihrauch und Räucherstäbchen vermischen sich mit anderen süßlichen Düften.
    Gegen die tagsüber schier unerträgliche Hitze haben sich die meisten Festivalbesucher mit haushaltsüblichen Zerstäuberflaschen gerüstet, mit denen sie sich gegenseitig etwas Abkühlung verschaffen – es drängt sich das Bild einer ausgesprochen bunten und enthusiastischen Horde von Zimmerpflanzen auf, die sich um eine Bühne scharen, um im Klang der Musik gemeinsam zu wachsen. Das könnte an den erwähnten süßen Düften liegen, aber auch an der allgemeinen Atmosphäre von Offenheit und verrückter Kreativität. Die spiegelt sich auch im bunten musikalischen Programm wider, wie die Hamburger Marching-Band Meute beweist, die das Publikum mit handgemachtem Techno trotz der Nachmittagshitze zum Tanzen bringt:
    Musik: Meute - "Rej"
    Das Line-Up des Festivals ist ebenso bunt wie die Besucher – die kommen aus allen Schichten und den verschiedensten musikalischen Spektren der Hippiebewegung: Goa-Fans kommen auf nächtlichen Partys auf ihre Kosten, Bluesrock-Liebhaber freuen sich über Acts wie den Ausnahmegitarristen Doyle Bramhall II., der als Linkshänder virtuos eine auf den Kopf gedrehte Rechtshändergitarre spielt. Oder über die Supergroup um Black Crowes Sänger Chris Robinson – die Chris Robinson Brotherhood:
    Musik: Chris Robinson Brotherhood – "Get Out Of My Life Woman"
    Und auch die Altersstruktur ist so durchmischt, wie sie auf einem Festival nur sein kann. Vom Hippie-Original bis zum Säugling sind alle vertreten, 80-Jährige tanzen gemeinsam mit 12-Jährigen, auf dem Herzberg wimmelt es von jungen Familien – und so manche Hippie-Oma bringt die Enkel mit zum jährlichen Spektakel. Und so freuen sich die älteren Semester über Auftritte wie den der britischen Hardrock-Legenden von UFO, die auf ihrer Jubiläumstour zum 50-jährigen Bandbestehen am Herzberg vorbeischauen oder über Graham Nash von Crosby, Stills, Nash & Young, während die jungen Eltern mit ihren Kleinen Kindermusik hören - etwa die Berliner Einmannband Bummelkasten:
    Musik: Bummelkasten – "Liebe Kinder"
    Eine der großen musikalischen Stärken des Herzberg-Festivals sind aber die kleinen Bühnen in "Freak-City" – jenseits der Mainstage und ihrer großen Acts. Hier erleben die Festivalbesucher mitunter musikalische Offenbarungen wie den französischen Bassvirtuosen Geoffrey Neau, der unter dem Namen Shob gemeinsam mit seinen Mitstreitern an Gitarre, Schlagzeug und Keyboard hochkomplexen Funk spielt, der trotzdem nicht verkopft oder unnötig verkünstelt klingt, sondern direkt ins Bein geht.
    Musik: Shob - "Hostile"
    Letztendlich ist die Musik aber nicht das Herz des Festivals – klar, sie ist allgegenwärtig, vom Mainact über die Newcomer auf den kleineren Bühnen bis hin zum Chicagoer Jazz-Trompeter Jeff Silvertrust, der traditionell seit Jahren jeden Abend am Rand des Festivalgeländes Straßenmusik mit seiner One-Man-Band-Show macht.
    Musik: Jeff Silvertrust One Man Band
    Das, was das Burg Herzberg-Festival besonders macht, sind seine Besucher und der Spirit der Hippiezeit, der in ihnen nicht nur irgendwie überlebt, sondern sich weiterentwickelt hat. Denn das Herzberg-Festival ist kein Museum einer vergangenen Epoche, die mit dem Vietnam-Krieg, Rassenunruhen und sexueller Verklemmtheit zurechtkommen musste – die Probleme von heute sind andere, die Welt ist komplexer geworden.
    Die Hippies vom Herzberg haben das begriffen – und anstatt verkniffenes Hippie-Reenactment zu betreiben und vergeblich zu versuchen, einen durch Legendenbildung und Kommerzialisierung vollkommen diffusen "Spirit von Woodstock" zu konservieren, begegnen sich und anderen schlicht mit einer Offenheit, Großzügigkeit und Freundlichkeit, die niemals aufdringlich, aber immer authentisch wirkt.
    Musik: Long Distance Calling – "Avoid the light"
    Und wenn man in der endlich, endlich erfrischenden Kühle des Abends auf der Festivalwiese liegt und hinter der tanzenden Menge einfach nur der Musik von großartigen Bands wie Long Distance Calling lauscht, während man in den von unzähligen Sternen übersäten Himmel blickt, dann wird das Festivalmotto "Stardust We Are" erfahrbar. Das ist es, was so Viele Jahr für Jahr wieder auf den Herzberg zieht – und das ist es auch, was die Rückkehr in den Alltag jedes Jahr aufs Neue so schwer macht.