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Burgtheater Wien
Zwischen Grand Guignol und Pathosposse

Frank Castorf inszeniert das Stück "Die Krönung Richards III." von Hans Henny Jahnn am Burgtheater in Wien. Dieses Stück gilt eigentlich als unspielbar. Auch in dieser Inszenierung türmt sich das Sprachungetüm immer wieder auf, ohne sich wirklich preiszugeben.

Von Sven Ricklefs | 14.03.2014
    Fast ist es wie in der Operette: Da dreht sich die scherenschnitthafte Silhouette einer Burg ständig auf der Drehbühne im Kreis und gibt wahlweise den Blick auf das Innere des Turms, auf Schlafgemächer oder einen Saal mit Wandeltreppen frei. Ein kleines Häuslein mit rauchendem Schornstein steht auch noch da, da ist dann eigentlich das Märchen nicht mehr fern, immerhin sollen hier ja auch Knaben geschlachtet werden, Hänsel lässt grüßen.
    Doch spätestens das Plumpsklo zeigt, wir sind immer noch bei Frank Castorf und vor allem: bei Hans Henny Jahnn, dem der Inbegriff des Kreatürlichen des Menschen noch immer das Gedärm war und damit auch alles, was sich damit verbinden lässt. Und so stehen sie immer wieder darunter, unter dem Plumpsklo und lassen sich im wahrsten Sinne des Wortes bescheißen.
    Vielen gilt das Stück "Die Krönung Richards III.", diese expressionistische, nicht enden wollende Suada der Grausamkeiten, der Todesangst, des Machtkalküls und der Verzweiflung über die Banalität alles Menschlichen eigentlich als unspielbar, was wiederum für Frank Castorf eher wohl ein Anreiz war, der sonst gern einmal auch 1000 Seiten Romane auf die Bühne wuchtet.
    Richard: "Ich bin gekrönter König worden. Als die Krone auf meinem Haupte ruhte, hat ein Engel die Hand bewegt"
    Richard, der die Witwe des Bruders heiratet, um König zu werden, und der dann alle morden lässt, die ihm den Thron streitig machen könnten, ist in Gestalt des wie immer fulminanten Martin Wuttke eher eine leidende Witzfigur als ein rasender Tyrann, mit riesiger Langhaarperücke, und wahlweise in kronenbedrucktes Tuch gehüllt oder gleich im rotglitzernden Paillettenkostüm sieht er aus wie ein verkleideter alternder Rockstar auf Voodoo-Trip.
    Tatsächlich hat Frank Castorf schwarze Darsteller und afrikanische Riten in seine Inszenierung hineingeflochten. Es ist eine dieser Assoziationsfransen, die der Regisseur aus dem hochkomplexen Stück herauszieht, das in seiner Sprachwucht eigentlich ohnehin überfordert. Kolonialismus und Sklaverei – Castorf pumpt das Stück auf ins Machtpolitisch-Monströse, wozu er auch Texte seines Leibundmagen-Autors Heiner Müller zitieren lässt, zugleich verleiht er diesem Theaterabend durch afrikanische Tänze und Masken eine merkwürdige kultische Dimension. Dabei hat Hans Henny Jahnn eigentlich nur eine Erzählung aus eben diesem Afrika bemüht, um den Appetit von Königin Elisabeth auf frisches Knabenfleisch zu wecken:
    Richard: "Was ist das, ein zweiter Knabe nackt: Frau Schwägerin, seh ich recht, so ehrt ihr den Gemahl?"
    Elisabeth: "Kann ich dafür, wenn sich unter meinem Bett nicht nur Mörder, sondern auch kleine Buben verstecken?"
    Natürlich ist es immer wieder eine Freude, Martin Wuttke und Sophie Rois, diesen beiden eingespielten Castorf-Recken, bei all ihren Exaltiertheiten, bei ihren akrobatischen Stimmkippern, bei allem aus der Rolle fallen zuzuschauen, bei allem, was das psychologische Als-ob-Theater so klug und schrill und witzig Adabsurdum führt. Und auch der Regisseur hat alles zwischen Grand Guignol und Pathosposse aufgeboten, um nur keine Langeweile aufkommen zu lassen und zugleich den kaum erträglichen Sprachschwulst Jahnns zu konterkarieren.
    Das ist oft wahnwitzig furios, zumal sich viele Sätze an diesem Abend nach dem unehrenhaften Rauswurf von Burgtheaterkönig Mathias Hartmann doppeldeutig lesen lassen und auch gelesen werden, dann wieder ist manches auch einfach nur Kindertheaterhaft banal. Und so kann auch Frank Castorf nicht wirklich verhindern, dass sich Hans Henny Jahnns "Die Krönung Richard III", dieser Stückbastard, dieses Sprachungetüm auch in dieser Wiener Burgtheaterinszenierung immer wieder wie ein verstiegener Monolith vor einem auftürmt, ohne sich wirklich preiszugeben.