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Burn-out bei Lehrkräften
Es kann jeden treffen

Viele Lehrkräfte leiden unter einem Burn-out und scheiden deshalb zeitweise oder dauerhaft aus dem Schuldienst aus. Davon betroffen sind nicht nur ältere Pädagogen. Zwar ist Burn-out keine wissenschaftlich anerkannte Krankheit, dennoch gibt es vier Kriterien, um festzustellen, ob man von Burn-out betroffen ist.

Von Lena Sterz | 30.03.2018
    Eine Lehrerin steht mit einer Schülerin und einem Schüler an einer Tafel und schreibt eine 1.
    Lehrer arbeiten neben dem Unterricht oft viele Stunden zusätzlich. Das fördert die Gefahr des Burn-outs. (dpa-Zentralbild/Jens Kalaene)
    Es gibt viele verschiedene Studien mit verschiedenen Fragebögen, mit denen Forscher schon versucht haben festzustellen, wie viele Lehrer und Lehrerinnen in Deutschland ungefähr von Burn-out betroffen sind. Die Ergebnisse sind naturgemäß so unterschiedlich wie die Fragebögen und Untersuchungen. Nadia Waschek, Professorin an der Hochschule Heidelberg, hat ganze Buchkapitel zu Burn-out bei Lehrern geschrieben und kennt die Bandbreite der wissenschaftlichen Untersuchungen zum Thema. Sie hat festgestellt,
    "dass bei diesen Fragebögen oftmals so circa 30 Prozent der untersuchten Lehrer speziell die Kriterien für ein sogenanntes Burn-out schon in sehr frühen Jahren erfüllen."
    Burn-out ist keine Frage des Alters
    Das heißt: Schon im Referendariat wurde bei knapp einem Drittel der untersuchten Lehrer nach den Fragebögen ein Burn-out oder zumindest eine Gefährdung festgestellt. Tendenziell seien es in den letzten Jahren eher mehr als weniger Betroffene geworden, so Waschek.
    "Das zieht sich eigentlich bis ins höhere Beamtendasein so weiter, bis es bei circa 50 Jahre einen kleinen Knick gibt, das heißt, die Burn-out-Rate nimmt etwas ab, um dann wieder etwas zuzunehmen, was man sich dadurch erklärt, dass ein Teil der sogenannten Burn-out-Betroffenen sich früh pensionieren lässt oder andere Arbeitsverhältnisse eingeht und somit quasi aus dieser Stichprobe ausscheidet."
    Vier Merkmale für Burn-out
    Gemessen wird die Burn-out-Gefährdung letztendlich an vier Merkmalen. Zusammengefasst geht es um Stressbewältigungskompetenzen.
    "Das ist zum einen: Die Unfähigkeit zu entspannen, sich zu erholen. Also die Zeit, die Ihnen als Freizeit bleibt, auch für sich und für den Ressourcenaufbau zu nutzen."
    Zweitens: Wie gut schafft man es, den eigenen Arbeitstag zu organisieren. Drittens: Wie geht man mit schwierigen Schülern, nicht so netten Kollegen oder anspruchsvollen Eltern um und viertens wie gut oder schlecht schafft man es, sich gedanklich von der Arbeit zu distanzieren?
    Außerdem wird die allgemeine persönliche geistige Fitness abgefragt. Auffällig sei aber, dass viele Lehrer bestimmte Persönlichkeitsmerkmale aufwiesen, die sie besonders anfällig für ein Burn-out machen.
    "Wir wissen auch, dass gewisse persönliche Pre-Dispositionen, quasi noch bevor man in den Lehrerberuf startet, bei Personen, die eher ein Burn-out entwickeln, festzustellen sind. Das sind zum Beispiel hohe Anspruchserwartungen, ein hohes Bedürfnis auch, soziale Belohnungen zu erhalten, die eigentlich ganz natürlich sind. Und das ist natürlich in sozialen Berufen sehr schwierig auch zu steuern."
    Sich stattdessen selbst zu loben und sich so über Tage oder Monate selbst zu motivieren, kann manchmal sehr schwer und anstrengend sein, so Waschek. Dazu kommt, dass im Lehrerberuf nur die Zahl der Unterrichtsstunden vorgegeben ist, nicht die gesamte Arbeitszeit.
    Professor Martin Rothland, der an der Universität Siegen Lehrer ausbildet, meint, dass das ein wesentlicher Faktor ist.
    "Es bleibt dann letztendlich den Lehrern selbst überlassen, zu entscheiden, wie viel Zeit sie selbst für die Vor- und Nachbereitung der Unterrichtsstunden aufwenden, für die Begleitung von Schülerinnen und Schülern, das ist nicht definiert. Und wenn man da jetzt sehr engagiert ist, gibt es in Anführungszeichen kein natürliches Ende – man kann immer noch mehr machen.
    Und letztendlich lebt ja auch die Idee von diesem Beruf davon, dass das Menschen sind, die besonders engagiert sind."
    Burn-out ist aus wissenschaftlicher und medizinischer Sicht eine schwierige Sache: Der Begriff ist weit verbreitet und gesellschaftlich als Krankheit akzeptiert oder zumindest etabliert – aber aus medizinischer Sicht ist Burn-out keine Diagnose. Die Psychologin und Professorin Nadia Waschek erklärt, warum:
    "Wir haben eine große Vielzahl verschiedener psychischer Erkrankungen, die die Beschwerden der Personen, die unter Burn-out leiden, sehr gut beschreiben können. In der Regel sind das Depressionen, möglicherweise sind es Angststörungen, möglicherweise sind es diese klassischen psychosomatischen Störungsbilder wie die somatoformen Störungen, also chronische Schmerzen oder andere körperliche Beschwerden ohne medizinischen Befund."
    Aus wissenschaftlicher Sicht ein überflüssiger Begriff
    Eigentlich sei der Begriff Burn-out deshalb aus wissenschaftlich-medizinischer Perspektive überflüssig. Im Prinzip könne man bei jeden Burn-out-Patienten auch eine oder mehrere schon länger bekannte psychische Krankheiten diagnostizieren, meint Waschek.
    "Auf dem anderen Blatt steht natürlich auch die Realität, dass es viele Kliniken, aber auch Psychotherapeuten oder angebliche Coaching-Experten gibt, die sich nahezu ausschließlich auf die Burn-out Therapie spezialisieren."
    Insgesamt hat der Begriff "Burn-out" auch nur so eine steile Karriere gemacht, weil andere psychische Krankheiten gesellschaftlich nicht so akzeptiert sind, meint Professor Martin Rothland.

    "Weil es gesellschaftlich wesentlich akzeptierter ist, zu sagen: Ich habe mich sehr für meinen Beruf engagiert und das hat dazu geführt, dass ich mich so verausgabt habe, dass ich meine Ressourcen aus eigener Kraft nicht wieder herstellen kann, als wenn ich sage: Ich bin depressiv. Und insofern hat es eine Funktion für die Lehrerschaft gehabt und hat es auch heute noch, auf die besondere Anforderungen im Lehrerberuf hinzuweisen."
    Daher kann man trotzdem über von Burn-out betroffene Lehrer sprechen – auch wenn es offiziell nicht als Krankheit klassifiziert wird.